»Warum nicht?« fragte Mason trotzig. »Auf diese Weise hätten sie jedenfalls Besseres zu tun, als uns zu jagen. « In Trautmans Augen blitzte es zornig auf. »Also gut«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Wir reden später darüber. Der Schaden ist einmal angerichtet; sehen wir, daß wir das Beste daraus machen. « Und es wurde auch wirklich Zeit, daß sie wegkamen. Die Dinosauroiden waren zwar verschwunden, aber die Tiere in ihrer Nähe wurden immer unruhiger. Der Boden zitterte unter dem wütenden Stampfen und Trampeln der Kolosse, und das Knurren der Tiere klang nun eindeutig drohend. So schnell sie konnten, verließen sie die Herde endgültig und wandten sich nach Süden. Natürlich hatten die anderen nicht am Fuße des großen Baumes auf sie gewartet, sondern kamen ihnen entgegen, lange ehe sie den Waldrand überhaupt erreichten; allen voran Serena, auf deren Gesicht sich bei Mikes Anblick ein Ausdruck von solcher Erleichterung breitmachte, daß er für einen Moment fast die Gefahr vergaß, in der sie noch immer schwebten. Sie rannte auf ihn zu und breitete im Laufen die Arme aus, wie um ihm um den Hals zu fallen, aber im allerletzten Moment besann sie sich dann doch eines anderen und blieb abrupt stehen. Für eine Sekunde sah sie beinahe verlegen drein, aber da außer Mike niemand etwas davon bemerkt zu haben schien, fing sie sich sofort wieder. »Wie ist es gelaufen?« fragte Ben. »Wo wart ihre so lange, und -«
»Annie!« Mason schrie so laut auf, daß man es weithin hören mußte, und war mit ein paar gewaltigen Sätzen bei seiner Tochter und schloß sie in die Arme. »Annie, du lebst! Und du bist gesund!« Er drückte sie so heftig an sich, daß das Mädchen für einen Moment keine Luft mehr bekam, wirbelte sie ein paarmal im Kreis herum und setzte sie schließlich lachend zu Boden. »Gott im Himmel sei Dank, du lebst!«
»Wo wart ihr so lange?« fragte Ben noch einmal, und jetzt direkt an Mike gewandt. »Was hatte dieser Lärm zu bedeuten? Wir haben schon gedacht, sie hätten euch erwischt. «
»Das hätten sie auch fast«, antwortete Trautman an Mikes Stelle. Er warf Mason einen bösen Blick zu. Die Schiffbrüchigen waren allesamt damit beschäftigt, abwechselnd Annie zu umarmen und sich immer wieder aufs neue davon zu überzeugen, daß das Mädchen tatsächlich unverletzt und wohlauf war. Die noch immer bedrohliche Lage, in der sie sich nach wie vor befanden, schienen sie vollkommen vergessen zu haben. „Was ist passiert?« fragte nun auch Serena. »Später. « Trautman schüttelte den Kopf und ging mit ein paar raschen Schritten zu Annies Familie hinüber. Er räusperte sich ein paarmal, mußte Mason aber schließlich am Arm ergreifen, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Ich verstehe, daß Sie sich freuen, Ihre Tochter wiederzusehen«, sagte er »Aber wir haben jetzt wirklich keine Zeit dafür. Wirmüssen hier verschwinden. « Mason löste sich mit sichtlicher Überwindung von Annie und richtet sich auf. »Sie haben recht«, sagte er. »Und wohin?«
»Keine Ahnung«, gestand Trautman. »Aber hier können wir nicht bleiben. Sie werden ganz bestimmt bald hier auftauchen. «
»Das beste wird sein, wenn wir uns in den Wald zurückziehen«, sagte Mason. »Es ist nicht ungefährlich, aber dort können wir uns zumindest verstecken. Wir sind ihnen auf diese Weise immerhin ein paar Tage lang entkommen. « Er zögerte einen Moment, dann fuhr er in verlegenem Tonfall fort: »Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt. Gestatten Sie, daß ich das nachhole. Ohne Sie wären wir diesen Ungeheuern niemals
entkommen. Weiß der Himmel, was sie uns noch angetan
hätten. «
»Was haben sie Ihnen denn angetan?« fragte Serena. Mason sah die Atlanterin verwirrt, aber auch ein bißchen feindselig an, während Mike Serena in Gedanken beipflichtete.
»Was ist das für eine Frage?« sagte Mason schließlich. »Sie haben uns verschleppt, oder nicht? Frag deine Freunde hier -schließlich haben sie uns befreit. Sie sind über uns hergefallen -«
»- nachdem Sie als erste auf sie geschossen haben«, fiel ihm Serena ins Wort. Sie deutete auf Annie. »Ich habe mit Ihrer Tochter gesprochen. Sie haben als erste auf sie geschossen. «
Für einen Moment erschien ein Ausdruck von Betroffenheit auf Masons Gesicht, der aber dann sofort in Zorn umschlug. »Wir haben uns nur verteidigt!« behauptete er. »Was hätten wir tun sollen? Sie sind plötzlich aufgetaucht, und wir mußten uns wehren! Was verstehst du schon davon?"
»Vielleicht mehr, als Sie jemals begreifen werden«, sagte Trautman.
Mason wandte sich mit einem Ruck zu ihm herum, aber in diesem Moment erklang Astaroths Stimme wieder in Mikes Kopf: Streitet euch ruhig weiter, sagte er. Ich schätze, ihr habt noch zwei Minuten, bis sie hier sind. »Sie kommen«, sagte Mike -und das reichte, um den aufkeimenden Streit auf der Stelle zu beenden. Ohne ein
weiteres Wort drangen sie in den Dschungel ein.
Während der ersten halben Stunde kamen sie überraschend gut voran. Sie folgten der Spur, die die Herde in den Wald geschlagen hatte, so daß sie trotz der fast vollkommenen Dunkelheit, die unter dem Blätterdach des Dschungels herrschte, ein rasches Tempo einschlagen konnten. Astaroth bildete jetzt nicht mehr die Vorhut, sondern lief ein Stück hinter ihnen her, um sie rechtzeitig vor irgendwelchen Verfolgern warnen zu können. Der Himmel über dem Dschungel begann sich allmählich grau zu färben, als sie das Ende der Spur erreichten -genauer gesagt, einen Punkt, an dem sie in nahezu rechtem Winkel nach Westen abknickte, so daß sie stehenblieben und einen Moment darüber diskutierten, was sie tun sollten. Wenn sie der Spur weiter folgten, konnten sie zweifellos ihr Tempo halten, vielleicht sogar noch ein wenig steigern, jetzt, wo es bald hell wurde. Aber sie würden sich dann auch wieder von der Küste entfernen und somit von ihrer einzigen Chance, diese Insel jemals wieder zu verlassen. Schließlich entschieden sie sich, das Risiko einzugehen und weiter nach Süden zu marschieren, auch wenn sie in dem dichten Unterholz viel langsamer vorankamen und zudem die Gefahr bestand, auf räuberische Bewohner dieses Dschungels zu stoßen. Zumindest waren sie nicht mehr ganz wehrlos. Die Dinosauroiden hatten Mason und die anderen zwar entwaffnet, aber Mason hatte noch eine Anzahl loser Patronen in der Jackentasche gehabt, die sie entweder übersehen oder nicht als das erkannt hatten, was sie darstellten. Trautman hatte das Gewehr damit geladen und es - zu Masons sichtlicher Enttäuschung -an Singh weitergegeben, der von ihnen allen vermutlich am besten mit einer Waffe umzugehen verstand. Mason hatte nichts dazu gesagt, aber Mike ahnte, daß die große Auseinandersetzung zwischen ihm und Trautman noch bevorstand. Jetzt war es die gemeinsame Gefahr, die sie zusammenschmiedete, aber sobald sie in Sicherheit waren, würden sie Probleme mit Mason bekommen, da war er sicher. Mike hatte die Frage, wie um alles in der Welt sie die Eiswand hinunter und an Bord der in fünfhundert Meter Entfernung wartenden NAUTILUS gelangen sollten, zwar bisher angstvoll vermieden, aber er wußte auch, daß das ihre einzige Chance war. Selbst wenn sie den Dinosauroiden irgendwie entkommen sollten
- was logisch betrachtet so gut wie unmöglich war -, wären sie in dieser unheimlichen, urzeitlichen Welt gefangen. Aber dann ging die Sonne auf, und was sie im ersten hellen Licht des Tages sahen, das machtealle Überlegungen Mikes hinfällig.
Sie hatten den Waldrand erreicht. Vor ihnen erstreckte sich eine weite, grasgewachsene Ebene, die auf einer Strecke von zwei- oder dreihundert Metern sanft anstieg und schließlich in einen Wald aus kahlen, versteinerten Bäumen überging, der sich wie ein übergroßer Stacheldrahtverhau in beiden Richtungen erstreckte, so weit der Blick nur reichte.