»Und wenn?« fragte Mike. Seine Geduld neigte sich nun dem Ende zu. »Was ist los? Du bist doch nicht nur gekommen, weil dir langweilig ist, oder?« »Nein«, gestand Ben. Er sah sich suchend um und setzte sich schließlich auf den einzigen Stuhl, den es in der Kabine gab. Das Bett wäre weitaus bequemer gewesen, aber Mike hatte das sichere Gefühl, daß Ben die Nähe des Katers scheute. »Also um ehrlich zu sein -ich... ich wollte dich schon lange etwas fragen. Vielleicht ist die Gelegenheit nicht so ideal, aber vorhin, als ich gesehen habe, wie du mit Astaroth gesprochen hast -« Er brach ab, blickte wieder kurz den Kater an und begann nervös mit den Füßen zu scharren. Mike hatte ihn selten so verlegen und nach den richtigten Worten ringend wie jetzt gesehen.
»Glaubst du, daß... daß ich das auch könnte?« fragte Ben
plötzlich übergangslos. Mike blinzelte. »Was?«
»Ich meine, glaubst du, daß er auch mit mir reden würde. So wie mit dir?« Es war Ben anzusehen, wie schwer es ihm fiel, die Worte auszusprechen. Mike war vollkommen überrascht. Daß er und der Kater in Gedanken miteinander kommunizieren konnten, war allen an Bord immer ein bißchen unheimlich gewesen, aber sie hatten es schließlich akzeptiert. Daß nun gerade Ben diese Frage stellte, damit hatte er wirklich nicht gerechnet.
Der einäugige Kater war nämlich keineswegs das, wonach er aussah: ein ganz normaler, wenn auch ein bißchen großgeratener Kater. Mike hatte ihn vor nunmehr fast einem Jahr in einer Kuppel auf dem Meeresboden gefunden, zusammen mit dem Mädchen Serena, von der sie damals noch nicht gewußt hatten, daß sie die letzte überlebende Atlanterin war. Serena hatte in einem gläsernen Sarg gelegen, in dem sie etwa zehntausend Jahre lang geschlafen hatte, und Astaroth war ihr Wächter gewesen.
Daß er kein normales Tier war, das hatte Mike spätestens am nächsten Tag begriffen. Astaroth hatte ihn gebissen, und Mike war in einen Fiebertraum gefallen, in dem ihn die bizarrsten Alpträume und Visionen plagten. Und als er am nächsten Morgen daraus erwachte, da hatte er zum ersten Mal die lautlose Stimme des Katers in seinem Kopf gehört.
»Ich bin nicht sicher«, sagte er nach einer Weile. »Ich müßte ihn fragen. «
»Würdest du das tun?« sagte Ben kleinlaut. Mike nickte. »Gern. Aber es ist nicht nötig. Du kannst ihn selbst fragen. Er tut nämlich nur so, als ob er schläft. Er ist längst wach. «
Er rechnete fest damit, daß Astaroth weiter den Schlafenden mimen würde, aber der Kater hob den Kopf und sah Ben aus seinem gelben Auge an. Er schwieg. »Sehr begeistert scheint er nicht gerade zu sein«, sagte Ben. Er klang enttäuscht. »Aber vielleicht -« Jemand hämmerte gegen die Tür. Dann drang Serenas aufgeregte Stimme durch das Metalclass="underline" »Mike, schnell! Sie haben wieder Funkkontakt zu den Schiffbrüchigen!«
Mike und Ben waren die letzten, die in den Salon stürmten. Serena war bereits wieder zurückgelaufen, ehe sie auch nur aus der Kabine herausgewesen waren, und auf halbem Wege hatte Astaroth sie überholt. Die anderen standen dichtgedrängt auf dem breiten Podest, das das hintere Drittel des Salons einnahm und auf dem die komplizierten Steuerinstrumente der NAUTILUS untergebracht waren, und belagerten Singh, der mit angespanntem Gesichtsausdruck vor dem Funkgerät saß und in seine Kopfhörer lauschte. Trautman drehte sich zu Mike und Ben herum. »Wir haben irgend etwas gehört«, sagte er. »Aber der Empfang ist sehr schlecht. Vielleicht « »Da ist es wieder!« sagte Singh. Er legte die linke Hand auf den Kopfhörer und drehte mit der anderen an einigen Knöpfen an dem Gerät vor sich. Einen Augenblick später nahm er die Kopfhörer ab und schaltete den Lautsprecher ein, so daß sie nun alle verstehen konnten, was das Gerät empfing.
Im ersten Moment hörte Mike nichts außer einer Folge knisternder, pfeifender Laute. Aber dann drehte Singh erneut an einem Knopf, und inmitten der Störgeräusche begann eine Stimme hörbar zu werden. Sie war nicht sehr deutlich, so daß er sich sehr konzentrieren mußte, um die Worte wenigstens halbwegs zu verstehen. »... nicht länger hierbleiben!« sagte die Stimme. Nein, verbesserte sich Mike in Gedanken. Sie schreit es. »Es werden immer mehr. Unsere Munition wird knapp. Wir können uns nicht mehr lange halten und werden... « Die statischen Störungen und das Pfeifen wurden immer lauter, und die Stimme schwankte so stark, daß sie jetzt nur noch Satzfetzen vernehmen konnten. Aber sie war immer noch deutlich genug, um die Panik erkennen zu lassen, die darin mitschwang. »... versuchen, die Berge zu erreichen«, fuhr die Stimme fort. Mike identifizierte sie jetzt als die eines Mannes, und im Hintergrund glaubte er Schreie und die Geräusche eines Kampfes zu hören -und Schüsse. »Wir folgen dem Fluß. Vielleicht finden wir auf der anderen Seite eine Möglichkeit, die... «
Wieder wurden die Störgeräusche so laut, daß sie die Stimme verschluckten. Singh begann hastig an den Schaltern und Knöpfen zu drehen, aber diesmal gelang es ihm nicht mehr, die Verbindung wiederherzustellen.
Und schließlich gab er es auf. Mit einem enttäuschten Seufzer schaltete er den Funkempfänger ab und schüttelte den Kopf.
»Sinnlos«, sagte er. »Irgend etwas hier stört den Funkverkehr. Vielleicht eine Art Magnetismus. Wir sind sehr weit im Norden. «
»Also gibt es doch noch Überlebende!« sagte Ben. Er warf Mike einen verzeihungheischenden Blick zu. »Du hattest recht. Tut mir leid. «
»Aber was kann da nur los sein?« murmelte Juan. »Das waren doch Schüsse!«
»Vielleicht«, sagte Trautman. »Die Verbindung war zu schlecht, um das genau zu sagen. Aber irgend etwas stimmt da nicht. « Er klang sehr besorgt. »Offensichtlich ist diese Insel nicht ganz so verlassen, wie es bisher aussah. «
»Aber was soll denn das heißen?« fragte Juan. »Wir folgen dem Fluß? Welchem Fluß?«
»Von hier aus sieht man ja nur die Steilküste«, wandte Chris ein. »Dahinter kann -«
»Unsinn«, unterbrach ihn Juan überzeugt. »Es kann hier keinen Fluß geben. Nicht bei diesen Temperaturen. Jeder Fluß würde sofort zufrieren. « »Genug«, sagte Trautman. »Wir haben im Moment Wichtigeres zu besprechen. Ihr habt es alle gehört -die Menschen dort auf der Insel sind in Lebensgefahr. Wir müssen etwas tun. « »Und was?« fragte Ben.
Trautman blickte einen Moment lang mit besorgtem Ausdruck an ihm vorbei ins Leere. »Viel ist es nicht«,
sagte er. Wir fahren zur Insel hinüber und versuchen den
Leuten zu helfen. «
»In Ordnung!« sagte Juan. »Ich gehe an Deck und mache das Boot fertig. «
»Und ich kümmere mich um die Ausrüstung«, sagte Ben. »Wir brauchen warme Sachen und vor allem Waffen. «
Die beiden wollten auf der Stelle losstürmen, aber Trautman hielt sie mit einer befehlenden Geste zurück. »Nicht so hastig«, sagte er. »Ich sagte, ein paar von uns gehen. Nicht alle. Und schon gar nicht jetzt. « »Aber worauf wollen wir denn noch warten?« protestierte Ben. »Die Leute dort drüben sind in Gefahr!« »Das ist noch lange kein Grund, Selbstmord zu begehen«, antwortete Trautman ernst. »Und das wäre es, überhastet aufzubrechen und noch dazu nachts. Wir werden in aller Ruhe entscheiden, wer von uns geht, und wir brechen erst morgen früh auf, sobald es hell geworden ist. Keinen Moment eher!« »Aber bis dahin kann es zu spät sein!« protestierte Juan. »Sie haben es doch selbst gehört!« »Ich weiß«, erwiderte Trautman. »Trotzdem, wir warten, bis es hell geworden ist. Seid vernünftig. Selbst wenn wir lebend drüben ankämen, hätten wir in der Dunkelheit gar keine Chance, sie zu finden. Außerdem muß eine solche Expedition gründlich vorbereitet werden. Ich glaube, ihr macht euch keine Vorstellung von dem, was uns dort drüben erwartet. « Juan wirkte sehr enttäuscht. Aber er widersprach nicht mehr. Vielleicht hatte er eingesehen, daß Trautman recht hatte.