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»Mehr weiß ich nicht!« beteuerte Chris. »Bitte laß mich los. Du tust mir weh. «

Tatsächlich hatte Mike seinen Griff um Chris' Schulter so verstärkt, daß es weh tun mußte. Hastig ließ er den Jungen los und trat einen halben Schritt zurück. Er musterte Chris sehr aufmerksam, aber alles, was er auf dem Gesicht des Jungen las, war ein Ausdruck maßloser Verwirrung -und wohl auch ein bißchen Angst. Statt weiter in ihn zu dringen, fuhr er auf dem Absatz herum und sah sich hastig um. »Astaroth!« rief er. »Wo bist du?« Vom Kater war keine Spur zu sehen, aber einen Moment später hörte er seine lautlose Stimme direkt in seinem Kopf. Es ist nicht nötig, zu brüllen, sagte der Kater. Nicht, wenn du mit einem zivilisierten Wesen wie mir -»Hör mit dem Quatsch auf!« schnappte Mike. »Wie seid ihr hierhergekommen? Ich will es wissen, auf der Stelle!«

Obwohl er den Kater nicht sah, hatte er noch lauter gesprochen als bisher, ja, fast wirklich geschrien. Er bekam auch unverzüglich eine Antwort -allerdings nicht die, die er hören wollte.

Frag Serena, sagte der Kater. Sie kann es dir besser erklären als ich.

»Das habe ich bereits getan. Aber sie sagt nichts!« Und wie kommst du dann auf die Idee, daß ich es täte? wollte Astaroth wissen. Ich verrate ihre Geheimnisse ebensowenig wie du die deiner Freunde. »Verdammt, Astaroth, es ist wichtig! « Mike schrie nun tatsächlich mit dem einzigen Ergebnis, das Astaroth nicht mehr antwortete.

»Was ist denn nun schon wieder los?« Trautman trat gebückt aus einem fast mannsgroßen Loch im Rumpf der Yacht heraus und sah Mike tadelnd an. »Wieso schreist du hier so herum?«

»Es geht um Serena!« antwortete Mike erregt. »Sie ist nicht -«

»Da!« Bens Schrei ließ Mike mitten im Satz verstummen und wie alle anderen zu ihm herumfahren. »Der Nebel! Er reißt auf!»

Tatsächlich begann sich der Nebel aufzulösen, und er tat es auf eine Art und Weise, die so unheimlich war wie er selbst: schnell und lautlos, und er wurde nicht etwa vom Wind auseinandergerissen, wie Bens Worte hatten vermuten lassen, sondern verblaßte einfach. Aus dem wattigen Grau wurde ein zartes Weiß, das nach wenigen Sekunden vollends durchsichtig zu werden begann und sich dann ganz auflöste. Der

Nebel verschwand einfach vor ihren Augen. Aber nicht nur der Nebel.

Zusammen mit den grauen Schwaden verschwand auch

der Sturm. Der Wind flaute von einer Sekunde auf die andere ab und legte sich dann ganz, und plötzlich lag das Meer, das bis jetzt von meterhohen Wellen aufgepeitscht worden war, wie ein flacher, dunkelgrüner Spiegel vor ihnen, durchbrochen von Hunderten und aber Hunderten spitzer Riffe und Felsnasen, die eine wirklich undurchdringliche Barriere vor der Eisküste bildeten. Zum ersten Mal konnte Mike die gestrandeten Schiffe und Wracks wirklich erkennen, die dieser Barriere zum Opfer gefallen waren. Sie bildeten ein fast geometrisches Muster vor dem halbrunden Strand, die andere Hälfte des gedachten Kreises, den die eisige Zufahrt zur Insel darstellte.

Und trotzdem war es nicht dieser Anblick, der Mike bis ins Mark erschütterte. Was ihn wie eine eisige Hand im Nacken berührte und sein Herz vor Schrecken eine Sekunde lang stillstehen ließ, das war vielmehr das, was er nicht sehen konnte. Die NAUTILUS. Das Schiff war verschwunden!

Wo es gelegen hatte, da erstreckte sich jetzt nur eine glatte, vollkommen unberührte Wasserfläche. Der Ozean war so klar, daß sein Blick bis tief unter die Wasseroberfläche reichte, aber er konnte die NAUTILUS auch dort nirgends sehen. Sie war einfach nicht mehr da. »Aber das... das gibt es doch nicht«, stammelte Juan. »Wo ist die NAUTILUS?«

»Verschwunden«, murmelte Trautman. »Sie ist fort.

Einfach verschwunden. So wie... wie die Insel vorhin!« Mikes Gedanken begannen sich wild im Kreis zu drehen. Ganz egal, ob es unmöglich war oder nicht, es gab nichts an den Tatsachen zu rütteln -das Unterseeboot war nicht mehr da. Entweder das, oder... ... oder sie waren nicht mehr dort, wo sich die NAUTILUS befand. Und der Rest der Welt. »Vielleicht... vielleicht können wir sie nur nicht mehr sehen«, stammelte Juan. Seine Stimme verriet, daß er einer Panik nahe war, aber damit befand er sich in guter Gesellschaft. Auch Mike fiel es immer schwerer, wenigstens äußerlich die Beherrschung zu wahren. Und den anderen wahrscheinlich auch. »Ja, das muß es sein!« stieß Juan hervor, offenbar verzweifelt darum bemüht, eine Erklärung für das Unerklärliche zu finden. Er war von allen an Bord immer der gewesen, dem es am schwersten fiel, irgend etwas zu akzeptieren, was er nicht mit Logik und klarerÜberlegung erklären konnte. »Sie ist noch da, aber irgendwie können wir sie nicht mehr sehen. Dasselbe muß vorhin mit der Insel passiert sein. Irgendeine... irgendeine Art von Spiegelung. So etwas wie eine umgekehrte Fata Morgana!«

Er sah Trautman flehend an, aber die Bestätigung, auf die er wartete, kam nicht. Mike war nicht einmal davon überzeugt, daß Trautman die Worte überhaupt gehört hatte. Er starrte noch immer fassungslos das Meer und die Stelle an, an der eigentlich die NAUTILUS sein sollte. Schließlich löste sich sein Blick von der Wasseroberfläche und glitt ein Stück nach rechts. »Das Boot«, murmelte er.

»Es ist auch verschwunden. « Mike blickte das Boot, neben dem noch immer Ben und Serena standen, einen Moment lang verständnislos an, ehe er begriff, daß Trautman von dem zweiten Boot der NAUTILUS sprach, mit dem Ben und er gekommen waren. Es hätte eigentlich jetzt, wo der Nebel nicht mehr da war, deutlich sichtbar auf dem Strand liegen müssen. Aber es war nicht da.

»Vielleicht hat es eine Welle fortgerissen«, sagte er. »Wir haben es festgebunden, genau wie ihr«, antwortete Trautman. »Unmöglich. «

Hinter Mikes Stirn jagten sich noch immer die Gedanken, aber sie begannen nun allmählich wieder in geordneteren Bahnen zu verlaufen. Irgend etwas war an diesen scheinbar unmöglichen Vorgängen, was doch wieder eine Art von Logik zu haben schien. Etwas Wichtiges, und es war im Grunde ganz einfach. Er mußte sich nur zwingen, einen Moment lang in Ruhe nachzudenken.

Juan schrie plötzlich gellend auf und deutete auf Ben, Serena und das zweite Boot, das noch immer ein kleines Stück vom Wasser entfernt auf dem Eis lag, und als Mikes Blick seinem ausgestreckten Arm folgte, da entrang sich auch seiner Kehle ein entsetzter Schrei. Das Boot begann zu verblassen.

Es war der gleiche Effekt wie vorhin beim Nebel, nur jetzt, wo er etwas Massives, Greifbares betraf, ungleich erschreckender: Das schmale Boot schien alle Farbe zu verlieren und sich in einen Schatten aus rauchigem Dunst zu verwandeln, der nur noch durch Zufall die Umrisse eines fünf Meter langen Bootes bildete, und nur eine Sekunde später konnten Mike und die anderen das Eis durch seinen Rumpf hindurchschimmern sehen.

»Serena! Ben!« schrie Trautman mit überschnappender, schriller Stimme. »Lauft!«

Seine Warnung wäre nicht nötig gewesen -die beiden hatten ebenfalls bemerkt, was mit dem Boot geschah, und reagierten ganz instinktiv -sie wirbelten auf der Stelle herum und rannten, was das Zeug hielt. Trotzdem hatten sie die Distanz zu Mike und den anderen noch nicht einmal zu einem Drittel hinter sich gebracht, als das Boot vollends durchsichtig zu werden begann und dann verschwand. Wie der Nebel, wie der Sturm und die NAUTILUS war es einfach nicht mehr da.

»Großer Gott!« flüsterte Trautman. Seine Hände zitterten, und sein Gesicht war fast so weiß wie das Eis, auf dem sie standen. »Weg hier. Wir... wir müssen von diesem Strand herunter, schnell!« Das letzte Wort hatte er geschrien. Noch bevor Ben und das Mädchen heran waren, lief er bereits mit weit ausgreifenden Schritten auf die Eiswand zu, wobei er Chris kurzerhand am Arm ergriff und hinter sich herzerrte. Die anderen folgten ihm, und auch Mike rannte über das Eis, so schnell es der glatte Untergrund zuließ -aber er hatte die ganze Zeit über das Gefühl, einen Fehler zu begehen. Etwas an dem, was sie taten, war falsch, aber er wußte einfach nicht, was. Und ihm blieb auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Dicht vor Ben und Serena erreichte er die Eiswand, und Trautman faßte ihn grob am Arm und stieß ihn vorwärts. Mike griff nach oben und klammerte sich an dem Seil fest, das Singh an der Wand befestigt hatte, und seine Füße fanden einen schmalen, aber sicheren Halt auf den Steigeisen, die aus dem Eis ragten. Sofort begann er zu klettern, und die Todesangst, die sich mittlerweile in ihm breitgemacht hatte, verlieh ihm scheinbar übermenschliche Kräfte. Ehe er es sich auch nur versah, hatte er bereits die Hälfte der Strecke nach oben überwunden und mußte sein Tempo ein wenig zurücknehmen, da Chris vor ihm herkletterte. Ein Blick nach unten zeigte ihm, daß auch Juan und Serena bereits damit begonnen hatten, die Eismauer zu erklimmen. Ben griff in genau diesem Moment nach dem Seil, während Trautman noch dastand und den nunmehr leeren Strand anstarrte, auf dem das Schiff gelegen hatte, das -Und dann wußte Mike es.