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Drei Stunden hielten sie sich nun schon im zwanzigsten Grab auf. Sie sprachen kaum ein Wort; denn jeder Satz forderte Sauerstoff, und der war knapp. Brugsch lag und kopierte, und Auad war in der Hauptsache damit beschäftigt, Hunderte von Fledermäusen abzuwehren. Er vertrug die stickige Hitze im Grab besser als der Deutsche. Brugsch klebten die Kleider am Leib, er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. »Nur diese eine Inschrift noch!« sagte er zu Auad. Der nickte.

Die tief stehende Sonne traf sie schmerzend, als sie erschöpft ans Tageslicht krochen. Dunst stieg vom Nil wie heiles Gewölk auf, schwarze Büffel-, Schaf- und Ziegenherden kehrten von den Flußweiden heim, Kamele trabten den Häusern zu, Esel erklommen mit schwerer Last die Pfade zu den Gräberwohnungen, aus denen der Rauch zum Himmel stieg. »Effendi«, sagte Auad, »bist du zufrieden mit dem heutigen Tag?«

»Ja«, erwiderte der Doktor und schmunzelte, »ich bin mit jedem Tag zufrieden; denn jeder Tag ist für mich ein kleines Mosaiksteinchen in einem riesengroßen Bild.« »Wer war Ti-ti«, fragte Auad.

»So genau kann ich das nicht sagen«, meinte Brugsch. »Sie war eine Königin, die Gemahlin irgendeines Ramses.« »Irgendeines?«

»Ja. Es gab vermutlich ein ganzes Dutzend Pharaonen, die diesen Namen trugen. Aber das ist vorläufig nur eine Vermutung.«

»Und wann wirst du es genau wissen?« Heinrich Brugsch lachte schallend. Er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Felsenwände von Der el-Bahari: »Dahinter - im Tal der Könige, liegt das Geheimnis begraben. Es würde mich wundern, wenn man in diesem Tal nicht alle Ra-messiden bestattet hätte.« »Ein ganzes Dutzend?« »Ein ganzes Dutzend.«

»Aber alle Gräber sind gefunden, Effendi. Die Männer von el-Kurna suchen seit 50 Jahren. Sogar die Felsenwände haben sie abgeklopft.«

Während sich die beiden unterhielten, gesellte sich ein etwa vierzehnjähriger Junge zu ihnen. Obwohl er von der Unterhaltung nichts verstand, begriff er schnell, daß ihr Gespräch um das Tal der Könige ging. Jeder hier im Tal kannte inzwischen den Doktor, und ihr anfängliches Mißtrauen hatte sich längst in wortreiche Sympathie gewandelt. Für hundert Piaster erbot sich der Junge, Brugsch zu einer Stelle im Tal der Könige zu führen, unter der ein Pharaonengrab zu vermuten sei. Aber dieses Ansinnen ging gegen Auads Ehre, schließlich sei er der Führer des Effendi, er jagte den Halbwüchsigen davon.

Ob er den Jungen gekannt habe, erkundigte sich Brugsch. Und ob er ihn kenne! Er heiße Achmed Abd er-Rassul und Stamme aus einer alten Grabräuber-Familie, der schlimmsten von ganz el-Kurna. Der Vater, der Großvater, sogar der Urgroßvater sei schon Grabräuber gewesen. Heute seien die Abd er-Rassuls die reichste Familie des Dorfes. Reichtum wurde in Kamelen oder in Pferden gemessen.

Mit fünf bis zehn Kamelen zählte eine Familie noch zu den Armen, 30 bis 40 zeichneten den gehobenen Mittelstand aus. Wer mehr als 60 Tiere sein eigen nannte, galt als reich. Ein Scheich besaß ein paar hundert Kamele. Nach außen hin sah man kaum einen Unterschied zwischen einem armen Fellachen und einem reichen Scheich. Jeder trug das gleiche schlichte lange Gewand, aß nicht mehr und nicht besser als der andere; kam aber ein Fremder und nahm die Gastfreund Schaft in Anspruch, so wurden Standesunterschiede schnell deutlich. Dann warfen sich Ehefrauen und Töchter des Scheichs in kostbar bestickte Kleider, und gespeicherte Vorrate brachten die niedrigen Tische fast zum Biegen. Düfte von ungesäuertem Fladenbrot, über einer Glut aus Kameldüng gebacken und mit triefender Butter bestrichen, zogen durch das Haus. Den Gast erwartete ein am offenen Feuer gegrilltes Lamm, dessen Innereien separat in Kamelmilch gedünstet und in einer sauer geronnenen Soße serviert wurden, in die man Brocken des Fladenbrotes eintauchte. Als besonders vornehm galt es, statt Fladenbrot Reis zu reichen, der im möglichst viel zerlassener Butter schwamm. Butter war im Gegensatz zu Fleisch keineswegs Luxus. Die Frauen stellten sie täglich frisch her, indem sie die Schaf- oder Ziegenmilch frühmorgens nach dem Melken in Schläuche aus Ziegenleder gössen und zwei Stunden in der Luft herumwirbelten, Auch Auads Frau tat dies.

Er spuckte auf den Boden. Nein, mit den Abd er-Rassuls wolle er, Auad, nichts zu tun haben. Brugsch nickte verständnisvoll, trotzdem notierte er in sein Kopienbuch den Namen Achmed Abd er-Rassul. Vielleicht, dachte er, sollte man diesem Abd er-Rassul doch einmal hundert Piaster zukommen lassen. Er konnte sich tausehen, aber manchmal wurde er den Verdacht nicht los, die Fellachen verrichteten gegen den üblichen Lohn zwar alle Arbeiten, die man ihnen auftrug, sie buddelten und wühlten den lieben langen Tag. Aber mitunter kam es ihm so vor, als wühlten sie zielsicher an interessanten Dingen vorbei. Später wurden dann »zufällig« Grabeingänge oder Schätze an den Stellen gefunden, die Brugsch bereits untersucht hatte. War es Zufall, daß sich in letzter Zeit solche Funde häuften, die Aga Ayat den Fellachen für gutes Geld abkaufte?

Das Geschrei des alten Auad klang aufgeregt und beinahe wie eine Kriegsmeldung: »Effendi, die Engländer kommen!« Heinrich Brugsch trat vor die Tür, wo Auad nach Luft rang und mit beiden Armen ins Tal deutete. Zwei Männer in Knik-kerbockern mit Tropenhelm auf dem Kopf, gefolgt von einem Trupp Fellachen mit Grabungswerkzeugen, marschierten geradewegs auf el-Kurna zu. »Wer ist das?« erkundigte sich Brugsch. »Engländer, Effendi! Sie haben beinahe hundert Arbeiter angeworben, sie zahlen gut. Aber Auad bleibt dir treu, Ef-fendi.«

Brugsch verfolgte von seinem erhöhten Standort, wie die beiden Engländer ihren Ausgräbertrupp in fünf Gruppen aufteilten. Sie gestikulierten wild und zeigten in alle vier Himmelsrichtungen, schließlich setzte sich eine Gruppe in Richtung Assasif in Bewegung, eine zweite westlich nach Kurnet Murai, eine dritte marschierte nach Dra abu el-Naga und die vierte schien über die Felsen ins Tal der Könige zu wollen, während der verbleibende Rest mit dem Anführer an der Spitze geradewegs auf el-Kurna und Brugschs Behausung zuging.

»Komm«, sagte Brugsch, setzte seinen Sonnenhut auf den Kopf und zog Auad mit sich den steilen Trampelpfad hinab. Am Ortseingang von el-Kurna, dort, wo der felsige Hügel in eine flache Landschaft übergeht, trafen sie aufeinander: Heinrich Brugsch und Alexander Rhind. Brugsch war erregt. Erfragte den Fremden, mit welchem Recht er das ganze Tal in Beschlag nehme. Doch der Brite konfrontierte ihn gelassen mit einem Firman des Kairoer Außenministeriums - eine Grabungslizenz für ganz Ägypten. Er sei Alexander Rhind, kein Engländer, sondern Schotte, Rechtsanwalt, eigentlich aus Gesundheitsgründen hier, die Lunge, Sie verstehen, aber warum solle man nicht das Notwendige mit dem Interessanten verbinden. »Und was hat Sie hierher verschlagen?« Brugsch, dem sein Auftritt peinlich war, wurde verlegen. Er erklärte, er sei ein preußischer Forscher und beschäftige sich schon seit ein paar Jahren mit der Übersetzung von Inschriften, besitze aber keine Grabungslizenz, er habe auch kein Geld, so viele Arbeitskräfte zu bezahlen. Der Schotte, gerade zwanzigjährig, zeigte sich begeistert, einen Schriftgelehrten in seiner Nähe zu wissen, man würde sich sicher gut verstehen. Er stellte Mr. Wenham vor, seinen Assistenten, und Ali, seinen Diener, und erzählte, daß er so lange auf seinem Schiff wohnen wolle, bis sein Quartier errichtet sei, das Haus, in dem schon Sir Gardiner Wilkinson und Henry Salt gewohnt hätten, ob er es kenne. Natürlich kenne er es, erwiderte Brugsch und zeigte auf einen aus rötlichen Nilschlammziegeln errichteten, mit einer hohen Mauer umgebenen Komplex. Richard Lepsius habe während der preußischen Expedition vor zehn Jahren ebenfalls dort logiert. Es gehöre der Regierung. »Man hat es mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt«, sagte der Schotte.

Heinrich Brugsch saß an diesem Abend allein in seinem Grab vor einer Kerze und brütete über Hieroglyphen und demotischen Abschriften; aber so recht konzentrieren konnte er sich nicht; er fühlte sich allein gelassen. Wie sollte er, Dr. Heinrich Brugsch aus Berlin, mit 1500 Thalern Jahressalär, von dem auch noch eine Frau in der Heimat leben mußte, die Geschichte des Pharaonenreiches wiederentdek-ken?