Argwöhnisch verfolgte er täglich die Bemühungen des Schotten, und er war nicht gerade traurig, daß sie trotz des großen Aufwandes erfolglos zu verlaufen schienen - sieben Wochen lang jedenfalls. Dann aber kam Bewegung in die Grabungen am Fuße des Dorfes. Spuren künstlicher Bearbeitung im Felsengestein hatten Alexander Rhind zu einem vermauerten unterirdischen Steinportal geführt, das mit dem Namensring Amenophis' III. versiegelt war. Rhinds Assistent stemmte ein meterdickes Loch in das Ge-maüer. Kerzen wurden gebracht. Rhind schickte Wenham voraus, reichte zwei brennende Lichter durch die Öffnung, dann schwang er sich selbst durch das Loch. Ein langer finsterer mannshoher Korridor tat sich auf, schmucklos, ohne Reliefs oder Malereien an den Wänden, aber mitten im Gang Stand ein vielbeiniger Totenbaldachin aus Holz, eine Art Tisch mit aufstülpbarem Gehäuse - offenbar zur Aufbewahrung von Toten. Der Tisch war leer, und Rhind und Wen-ham drückten sich daran vorbei, an die Wand gelehnt entdeckten sie zwei meterhohe Krüge und dazwischen eine kleine Figurengruppe, ein knieendes Paar. Über Knochen, Steinbrocken und allerlei Gerumpel arbeiteten sich die beiden 20 Meter weiter vor, bis ihnen eine schwere Holztüre den Weg versperrte. Rhind warf sich erfolglos dagegen. Und da es bereits Abend geworden war, beschlossen beide, ihre Untersuchung erst am nächsten Tag fortzusetzen.
Als Rhind und Wenham aus dem Mauerloch hervorkrochen, wurden sie mit Jubel begrüßt. Rhind versuchte, die Fellachen zu beschwichtigen, man wisse überhaupt noch nicht, ob größere Schätze zu erwarten seien. Aber die Leute waren nicht so schnell zu beruhigen. Von Mißtrauen geplagt, ließ Rhind die nubischen Matrosen von seinem Boot kommen und teilte eine Nachtschicht ein. Er selbst fand in dieser Nacht keinen Schlaf und kontrollierte zweimal die Wachmannschaften.
Kurz nach Sonnenaufgang stiegen Alexander Rhind und sein Assistent erneut in das Grab. Das Aufbrechen der Tür bereitete keine Schwierigkeiten, dahinter führte der Gang steil nach unten. Hinter einer Seitenkammer, die ein Bild der Verwüstung bot, wurden die beiden von einem senkrechten Schacht aufgehalten. Rhind versuchte, mit einer Kerze hinabzuleuchten, doch er konnte nichts erkennen; deshalb forderte er von draußen einen Balken und ein Seil an. Damit sollte Wenham sich abseilen. Das Manöver gelang: Sieben Meter tief landete der Assistent im zentimetertiefen Staub. »Was sehen Sie, Wenham?« rief Rhind von oben und lauschte in die Tiefe. »Vier Gänge, nach allen vier Seiten!« »Wo führen sie hin?«
»Ich weiß nicht. Da steht etwas . .. Und da ...«
»Wenham! Was ist los? - Wenham!«
Der Schotte lauschte in die Tiefe - nichts. »Wenham, um
Gottes willen, was ist passiert?« Sekunden verharrte Rhind wie versteinert, befürchtete, sein Assistent sei abgestürzt dann aber hörte er Schritte, die sich näherten: »Weeen-haaam!«
»Chef!« hörte er die Stimme seines Assistenten, er war atemlos. »Hier unten stehen lauter Sarkophage mit Mumien.« »Wie viele?«
»Ich weiß nicht, Chef. Es sind mehrere Kammern.«
»Sind die Sarkophage aufgebrochen?«
»Soweit ich es erkennen kann, nicht!«
Da hielt es den jungen Schotten nicht mehr, er riß sich die
Kleider vom Leib und nackt seilte er sich in den Schacht ab.
Man sprach französisch, denn zwei von ihnen waren ohnehin Franzosen und der dritte zumindest ein halber: Ferdinand de Lesseps, Auguste Mariette und Said Pascha. Der orientalische Aufwand des neuen Khedivenpalastes am Nil war weit weniger pompös als der des Vorgängers. Der neue Herrscher war mehr Soldat. Man schrieb November 1857, und das Problem war ein diplomatisches.
Warum ich Sie hierher gebeten habe«, der Pascha ging mit auf dem Rücken verschränkten Armen im Audienzsaal auf und ab, »Seine Hoheit Prinz Napoleon, ein Vetter seiner kaiserlichen Hoheit Napoleons III., hat den Wunsch geäußert, mein Land zu besuchen. Mir und meinem Volk ist das eine große Ehre. Prinz Napoleon ist, wie man hört, ein Bewunderer unserer frühen Kultur und . . .« »... ich glaube«, fuhr Lesseps fort, »wir könnten uns keinen würdigeren und kenntnisreicheren Führer vorstellen als Sie, Mariette. Sie hatten die Freundlichkeit, mich durch den unterirdischen Serapis-Tempel zu führen, und ich muß sagen, ich war begeistert.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, sagte der Pascha: »Ich habe mir vorgestellt, Sie beginnen sofort damit, neue unbekannte Denkmäler freizulegen, die bis zum Eintreffen seiner Hoheit niemand zu Gesicht bekommt. Ich erwarte, daß Sie Wertvolle Funde bereithalten, die dem Prinzen als Andenken an seine ägyptische Reise zugedacht werden können. Sehen Sie irgendwelche Schwierigkeiten?« Mariette war überrascht. Da hatte er nun sieben Jahre unter größten Schwierigkeiten und stets ein wenig am Rande der Legalität gearbeitet, er hatte die Behörden mit allen nur erdenkbaren Tricks an der Nase herumgeführt, geheuchelt, gelogen und betrogen, und nun, auf einmal, sollte das alles auf allerhöchsten Befehl im Einklang mit den Gesetzen vonstatten gehen? Und nur weil Prinz Plonplon, so nannte man Napoleon, seinen Besuch angekündigt hatte? Mariette verstand die Welt nicht mehr.
»Sehen Sie irgendwelche Schwierigkeiten?« wiederholte der Pascha seine Frage.
»Schwierigkeiten? Nein, keine Schwierigkeiten. Das ist alles nur eine Frage des Geldes. Der Boden Ihres Landes hält noch immer mehr Schätze verborgen, als bisher freigelegt wurden. Mit den nötigen Mitteln, den erforderlichen Arbeitskräften und den entsprechenden Vollmachten wühle ich
Ihnen die gesamte frühe Kultur Ihres Landes an die Oberfläche.«
»Wo wollen Sie denn beginnen?« erkundigte sich der Pascha, »ich meine, wo versprechen Sie sich die meisten Erfolge?«
»Ach, Hoheit«, seufzte Mariette, »dieses Land ist so mit Schätzen gesegnet, daß es kaum eine Stelle gibt, an der nicht mit Zeugnissen aus der Vergangenheit gerechnet werden kann. Freilich, nicht überall stoßen wir auf die Hinterlassenschaft eines Königs.«
Ein König, meinte der Pascha, wäre für den Prinzen natürlich angemessener als irgendein anderer Fund. Ob er nicht vielleicht in der Lage sei, einen zu finden? Lesseps nickte zustimmend. Mariette lachte, sagte, am vielversprechendsten seien vielleicht Grabungen im Tal der Könige, sein Freund Heinrich Brugsch, ein Preuße, sei überzeugt, daß dort noch weitere Pharaonen begraben lägen. Ihm hätten jedoch bisher die Mittel sowie eine Konzession gefehlt, größere Suchgrabungen in Angriff zu nehmen.
»Dann holen Sie sich doch diesen Brugsch!« sagte Said Pascha, »ich übernehme alle Kosten des Unternehmens, außerdem steht Ihnen der Dampfer >Samanoud< aus meiner Flotte zur Verfügung, und wir werden für die Sicherheit der Monumente garantieren. Sie werden die Mudirs aller Provinzen davon in Kenntnis setzen, daß ich ihnen verbiete, auch nur einen Stein aus dem Altertum anzurühren. Sie werden jeden Fellachen verhaften, der einen Tempel betritt.« Said klatschte in die Hände. Der Schreiber erschien und zeichnete einen entsprechenden Firman auf, und Lesseps beglückwünschte seinen Landsmann. Langsam, ganz allmählich, rückte die gesamte Tragweite dieses Beschlusses in dessen Bewußtsein: Das ganze alte Ägypten lag Mariette zu Füßen.
Die beiden Franzosen verabschiedeten sich gemeinsam. »Ich hoffe nur«, sagte Lesseps auf dem Weg zum Portal, »Sie geraten nicht ebenso wie ich zwischen die politischen Machtblöcke,«
»Monsieur«, entrüstete sich der Ausgräber, »ich grabe nicht für Frankreich, schon gar nicht für England oder Preußen: Mein Interesse gilt der jahrtausendealten Kultur dieses Landes!«
Ferdinand de Lesseps blieb stehen. »Das glaube ich Ihnen, mein Freund, ich habe mein Kanalprojekt anfangs auch als eine internationale Angelegenheit betrachtet, und jetzt schlagen sich Engländer und Franzosen darum. Dabei würden die Engländer von dem Kanal am meisten profitieren. 2719 englische Schiffe fuhren in einem einzigen Jahr um das Kap der Guten Hoffnung, und wissen Sie, wie viele Schiffe unter der Flagge Frankreichs das Kap umrundeten? - 444! Trotzdem versucht Premierminister Palmerston alles, um den Kanalbau zu verhindern. Er setzt den türkischen Sultan unter Druck, und der wiederum pfeift Said Pascha zurück.« »Ich hörte, die Bauarbeiten hätten bereits begonnen?« Lesseps machte eine resignierende Handbewegung. »Wir sind eben erst dabei, von Zagazig am östlichen Nilarm einen Süßwasserkanal zum Timsah-See auszuschachten, nur einen bis eineinhalb Meter tief, aber hundert Kilometer lang; damit wir Trinkwasser für die Arbeiter in der Wüste gewinnen.«