»Mit wieviel Arbeitskräften rechnen Sie?« .»Said Pascha stellt 25000 leibeigene Fellachen zur Verfügung.«
»Seit dem Bau der Pyramiden gab es kein solches Bauprojekt mehr«, staunte Mariette.
Lesseps lachte: »Wenn Sie etwas erreichen wollen, dann müssen Sie mit hohem Einsatz arbeiten!« Die Worte klangen in Mariettes Ohren wie eine Aufforderung: Wollte er etwas erreichen, dann mußte auch er mit größtmöglichem Aufwand arbeiten. Er mußte an verschiedenen Stellen graben, viele hundert Arbeitskräfte anwerben, moderne technische Geräte einsetzen, vielleicht den Dampfpflug, den man soeben in England erfunden hatte. Natürlich war das alles eine Kostenfrage; aber nun, mit der Vollmacht des Paschas, war die Gelegenheit günstig wie nie zuvor. Ich werde es schaffen, schoß es durch sein Gehirn, ich werde die ägyptische Kultur wieder ans Tageslicht holen!
III. Die Herren Maulwürfe
Auguste Mariette versuchte an 37 verschiedenen Orten gleichzeitig dem Boden abzuringen, was seit Jahrtausenden verschüttet war. 2700 Arbeitskräfte schaufelten zwischen Nildelta und dem ersten Katarakt im Dienste der Geschichtsforschung.
Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Ein Schotte hat in Luxor den größten Schatz entdeckt, der je auf ägyptischem Boden gefunden wurde. Von weit her aus der Provinz pilgerten die Fellachen zu dem schwerbewachten Grabeingang bei el-Kurna, um einen Blick auf den unermeßlichen Reichtum zu werfen. Konsul Aga Ayat spuckte Gift und Galle, daß der Fund seinen eigenen Leuten entgangen war und ein junger lungenkranker Schotte ihm das größte Geschäft seines Lebens vor der Nase weggeschnappt hatte. Und weil Alexander Rhind niemandem außer ein paar Vertrauten den Zugang zu dem Labyrinth gestattete, wucherten die Spekulationen über den Wert der gefundenen Gegenstände noch mehr. Man hätte meinen können, Rhind wäre auf eine riesige Goldader gestoßen.
Die Wahrheit war etwas komplizierter: Von vorneherein Stand fest, daß es sich bei diesem Grab um kein Pharaonen-grab handeln konnte. Das war selbst einem Amateur wie Rhind klar. Die Wände trugen keinerlei Schmuck oder Aufzeichnungen, woraus geschlossen werden konnte, daß dem ursprünglichen Grabherren wohl kaum historische Bedeutung zukam. Die Lage fernab vom Tal der Könige vor el-
Kurna deutete vielmehr auf einen königlichen Bediensteten oder einen Edelmann hin, von deren Grabstätten man in in der Umgebung bereits mehrere entdeckt hatte. Schon bei der sorgfältigen Untersuchung des ersten Mumienraumes wurde deutlich, daß die hier abgestellten Sarkophage zwar nicht aufgebrochen worden waren, daß das Grab und sein Inhalt aber nicht aus ein und derselben Zeit stammten, daß man das Grab also irgendwann einmal entdeckt und als Versteck für weitere Särge gewählt hatte. Gewölbe Nr. 1 enthielt einen schweren, unvollendeten Mumiensarg in der üblichen Form eines umwickelten Körpers mit blauen Hie -roglyphen auf weißem Grund. Auf den Knien der weiblichen Mumie lagen die kleinen Körper zweier Babys, nur mit einfachen Bandagen umwickelt. Die Bemalung des Sarkophages wies typische Merkmale der spätägyptischen Zeit, und zwar der römischen Epoche auf.
Neben diesem Mumiensarg fanden Rhind und Wenham zwei Kisten. Eine enthielt eine schmucklose, unbezeichnete Mumie. In der größeren lagen die präparierten Leichen eines Mannes und eines jungen Mädchens. Das Mädchen trug Schmuck: Halskette, Armreifen und Ohrringe aus Eisen. Zwei Mumien in einem Sarg, das war höchst ungewöhnlich und ließ den Schluß zu, daß der ursprüngliche Leichnam entfernt wurde, bevor die beiden hier ihre letzte Ruhestätte fanden.
Gewölbe Nr. 2 lag hinter einer verschlossenen Holztür, Sie verbarg einen großen, aber uninteressanten Sarkophag mit einer kurzen demotischen Inschrift. Drei ähnliche Sarkophage enthielt das dritte Gewölbe, darunter den einer Frau, Eine aufregende Entdeckung machten die beiden Ausgräber in Gewölbe Nr. 4. Ein massiver Sarkophag aus dunklem Assuan-Granit, roh bebauen und unpoliert, rief ihre höchste Bewunderung für die Leistung der Grabarbeiter hervor, die den Koloß mit Rollen, Hebelstangen und einer Art Flaschenzug hierher befördert haben mußten. Der Deckel war ver-schlossen. Mit Stemmeisen und Hebelstangen wuchteten die Ausgräber die steinerne Platte beiseite. Die Zeit der hier Bestatteten war so weit weg, so unbekannt, so unwirklich, exotisch, daß pietätvolle Bedenken überhaupt nicht aufkamen. Abenteuer- und Entdeckerlust eines neuen Zeitalters, das überall erkennbar wurde, eine zweite Aufklärung mit neuen Maßstäben, stand hinter dem monumentalen Projekt der Wiedergeburt des Alten Ägypten. Und dafür schien alles erlaubt - jedenfalls den Europäern. Die moslemischen Ägypter kannten vor diesen Mumien allerdings ebensowenig Ehrfurcht; für sie waren es die Leichname von Gottlosen. Unter der schweren Granitplatte verbarg sich die mit Pech übergossene Mumie eines Mannes, unkenntlich konserviert für die Ewigkeit. In Höhe des linken Armes lag jedoch eine gänzlich unversehrte Schriftrolle. Dieser Fund veranlaßte die Ausgräber, auch in den anderen Sarkophagen nach Papyrusrollen zu suchen. Und siehe da - im dritten Gewölbe fand sich ein weiterer Papyrus, er lag ebenfalls in Höhe des linken Armes der Mumie, diesmal war es eine Frau. Brugsch wurde zu Hilfe gerufen. Der brütete einen Tag und eine ganze Nacht über den beiden Papyri. Szenische Darstellungen der Einbalsamierung eines Toten umrahmten verschiedenartige Schriftreihen. Die Rolle aus dem Granitsarkophag trug den Namen des königlichen Bediensteten Se-bau, er war im 13. Regierungsjahr des Ptolemäus Philopater III. geboren und 59jährig im 21. Regierungsjahr von Cäsar Augustus gestorben, lebte also von 68 bis 9 vor Christus. Die zweite Rolle lag an der Seite seiner Ehefrau Tabai, die, fünf Jahre jünger als ihr Mann, diesen nur um einen Monat überlebt hatte.
Auf beiden Papyrusrollen nahm die Aufzählung und Wie -derholung von Namen, Titeln und Abstammung breiten Raum ein. Darauf folgten die Totenklagen der Isis. Ersteres erwies sich als historisch wenig interessant, letzteres hatte man schon von anderen Dokumenten erfahren. Fasziniert war Heinrich Brugsch jedoch von der anschließenden zweiten Schriftenreihe. Die erste war hieratisch geschrieben, die zweite wiederholte den Text in demotisch. Damit hatte Brugsch einen weiteren Schlüssel zur Entzifferung der ägyptischen Schrift in den Händen. Die alten Ägypter, das mitteilsamste Volk der Weltgeschichte, hatten nämlich ihre Überlieferung vor eineinhalb Jahrtausenden mit ins Grab genommen. Überall an Tempelmauern, in Gräbern und auf Schriftrollen prangten kilometerlange Inschriften, Beschwörungen der eigenen Vergangenheit, nur - deuten oder gar lesen konnte diese Mitteilungen niemand, und es gab auch nicht die geringste Hoffnung, dieses Geheimnis jemals lüften zu können. Doch dann geschah das Unfaßbare: Ein französischer Soldat grub während Napoleons Ägypten-Feldzug 1799 im Mündungsdelta des Nils eine sechseckige schwarze Steintafel, groß wie eine Tischplatte, aus dem Wüstensand. Das war irgendwo in der Gegend von Raschid, das die Franzosen »Rosette« nannten. Fortan hieß die Platte »Stein von Rosette«. Dieser »Stein von Rosette« war mit 14 Zeilen griechischem Text beschrieben, enthielt aber auch einen demotischen und einen in Hieroglyphen abgefaßten Text. Die Forscher in Napoleons Ägypten-Expedition äußerten sofort die Vermutung, daß alle drei Texte denselben Inhalt haben könnten. Die griechische Schrift konnten sie lesen. Der Inhalt war nebensächlich: Um das Jahr 196 v. Christus priesen die Priester von Memphis den Pharao Ptolemäus V., der sie mit Wohltaten überhäuft hatte. Aber die demotische Schrift und die Hieroglyphen blieben vorerst ein Geheimnis. Abschriften wurden angefertigt, und Forscher in aller Welt versuchten, ein System in den zwei verschiedenen Schriftarten zu ergründen. Sie stellten abenteuerliche Theorien auf, und manch einer verkündete lauthals, er habe nun tatsächlich den geheimnisvollen Schlüssel gefunden. Vorerst entpuppte sich jedoch alles als blanker Unsinn.