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Ein dänischer Archäologe fand schließlich die erste heiße Spur: Die ovalen Umrandungen, mit denen manche Hieroglyphen eingekreist waren, markierten offensichtlich die Eigennamen von Königen. Und ein englischer Physiker glaubte daraufhin auf dem Stein von Rosette den Namen Ptolemaios zu erkennen. Weiter kam auch er nicht. Bis dann am 22. September 1822 ein französischer Professor die Welt mit dem schlichten Satz überraschte: »Je tiens l'affaire - ich hab's, ich hab's!« Er meinte die Entschlüsselung der Hieroglyphen.

Jean-Francois Champollion, so hieß der erst 32-jährige Professor, ein Genie, das griechisch, lateinisch, hebräisch, arabisch, koptisch, syrisch, chaldäisch und chinesisch sprach, vermutete, daß im Altägyptischen wie im Koptischen die persönlichen Fürwörter durch acht verschiedene Endungen oder Lautzeichen ausgedrückt wurden, und daß die Hieroglyphen nicht nur aus Sinnbildern, sondern auch aus Lautzeichen bestünden. Unter dieser Voraussetzung studierte Champollion die Königsnamen auf dem Stein von Rosette und stieß dabei auf den verstümmelten Namen PTOLMIS. Aus dem griechischen Text wußte er, daß auch der Name Kleopatra erwähnt wurde. Hätte er recht mit seiner Theorie, so hätte er in diesem Namen zumindest die ersten vier Buchstaben aus PTOLMIS finden müssen; denn sie waren - wenn auch in anderer Reihenfolge - im Namen kLeOPaTra enthalten. Aber Champollion fand den Namen nicht. Von der Richtigkeit seiner Theorie überzeugt, sagte er sich, der Name könne nur auf der linken oberen Ecke der Rosette-Tafel gestanden haben - die Ecke fehlte. Was tun? Auf der Nilinsel Philae hatten englische Ausgräber einen Obelisk gefunden und im Vorjahr nach England geschafft. Er trug ebenfalls eine griechische und eine Hieroglyphenschrift und nannte im griechischen Text die Namen Ptole -maios und Kleopatra Champollion ließ die Abschrift kommen und fand seine Annahme in bezug auf die Schreibung von Kleopatra bestätigt. Genau eine Woche dauerte es nun noch, bis das Geheimnis der Hieroglyphen gelüftet war. Jetzt konnte man die Hieroglyphen zwar lesen - ein zweifelhafter Gewinn beim Erkennen von Namen -, aber übersetzen konnte man die Pyramidentexte und Totenbücher deshalb noch lange nicht. Und nach Champollions frühem Tod 1832 zweifelten namhafte Gelehrte überhaupt an der Richtigkeit der Arbeiten des französischen Sprachgenies. Ein deutscher Landratssohn, der ein Jahr nach Champol-lions Tod zufällig nach Paris kam, übernahm das schwierige Erbe. Einmal von dem Hieroglyphen-Problem fasziniert, ging er von Champollions Theorien als Grundlage aus, korrigierte offensichtliche Irrtümer und baute das System wissenschaftlich weiter aus. Dieser Mann hieß Richard Lepsius und er kopierte mit unglaublicher Besessenheit alle in Europa erreichbaren Hieroglypheninschriften, lieferte die ersten Übersetzungen und wurde so zum führenden Experten für die Probleme des alten Ägypten. Eine preußische Expedition unter seiner Leitung brachte 1845 nicht weniger als 194 Kisten mit 15ooo Einzelfunden nach Berlin, darunter einen tonnenschweren bemalten Pfeiler aus dem Grab Sethos' I. Männer aus Politik, Wissenschaft und Kunst pflegten Umgang mit Lepsius. Seine äußere Erscheinung, das feingeschnittene Gesicht mit den geistvollen Zügen, die jedoch bisweilen Kälte und Härte verrieten, wirkte edel und vornehm. Dieser Mann hatte einen nachhaltigen Eindruck auf den jungen Brugsch gemacht. Vielleicht wollte er dem großen Vorbild nacheifern, als er als Pennäler mit sechzehn Jahren eine demotische Sprachlehre schrieb. Dennoch liebte Brugsch den 17 Jahre älteren Professor nicht gerade, er litt eher unter ihm: Konfrontiert mit den Forschungsarbeiten des Gymnasiasten, hatte Richard Lepsius einmal gesagt, er solle sich lieber um seine Schularbeiten kümmern. Während Brugsch dankbar war, auf allerhöchst gnädigen Befehl des Königs 1500 Thaler im Jahr zu erhalten, hatte Lepsius' Ägyptenreise dereinst 100000 Thaler gekostet. Besonders begünstigt vom Schicksal und den Umständen war er nicht, dieser Brugsch, wenngleich sich seine Fähigkeiten mit jedem anderen Forscher messen konnten.

In Ägypten begannen nun Ausgrabungen, wie sie das Land in seiner 5000jährigen Geschichte noch nicht erlebt hatte. Auguste Mariette versuchte an 37 verschiedenen Orten gleichzeitig dem Boden abzuringen, was seit Jahrtausenden verschüttet war. 2700 Arbeitskräfte schaufelten zwischen Nildelta und dem ersten Katarakt im Dienste der Geschichtsforschung. In manchen Dörfern requirierte Mariette alle arbeitsfähigen Männer, und das Projekt geriet zu einer wahren Grabungsorgie. Kostbare Funde und unerwartete Entdek-kungen quollen nur so aus dem Boden. Tempelruinen wurden bis zu den Säulenenden freigelegt - jede Ausgrabung lieferte einen neuen Mosaikstein vom faszinierenden Verlauf der alten Geschichte.

Brugsch mußte Inschriften entschlüsseln, Symbole deuten, die beiden Freunde gruben zusammen in Sakkara und Giseh, in Theben, Abydos und auf der Insel Elephantine, eilten an Bord der »Samanoud« nilauf, nilab, Mariette kontrollierte, registrierte, holte die Funde ab. Dem Deutschen wurde der Ausgräberwahn Mariettes allmählich unheimlich. Längst hatte er die Übersicht verloren, um wissenschaftlich Nützliches leisten zu können. Ungestüm wie ein ausbeuterischer Unternehmer im heimischen Europa forderte er von seinen Leuten den letzten Einsatz, immer größere Leistung, sprich neue Funde.

Im oberägyptischen Edfu mußten die Araber ihr eigenes Dorf vom Dach des verschütteten Tempels abtragen und in der Ebene wieder aufbauen, um dann den besterhaltenen Pylontempel zu Ehren des Gottes Horus freilegen zu können. In Theben, wo Mariette und Brugsch den Terrassentempel der Königin Hatschepsut auszugraben begannen, wäre es beinahe zu einer bewaffneten Auseinandersetzung mit englischen Forschern gekommen, die in dem unmittelbar daneben gelegenen Mentuhotep-Tempel arbeiteten. Was sie in wochenlanger Plage dem Wüstenboden abgerungen hatten, wurde vom Schutt der Mariettschen Arbeiter wieder zugedeckt. Unverhofft stießen er und Brugsch auf eine Totenstadt aus der 11. und 17. Dynastie. Nur ein Gebiet schien für Mariette tabu, das Tal der Könige. Von Brugsch wußte er, daß den Geheimnissen dieses Ortes nicht mit Gewalt beizukommen war. Und allmählich stellte sich auch die Frage, wohin mit den Tausenden von Funden? Es bereitete dem Franzosen keine allzu große Mühe, Said Pascha von der Notwendigkeit eines Museums zu überzeugen, könne dies doch seinen vizeköniglichen Ruhm nur mehren. Der Pascha gab den türkischen Beamten Order, den Plan in Abstimmung mit Mariette zu verwirklichen. Zu die -sem Zweck ernannte er ihn zum »Direktor aller ägyptischen Altertümer«. Da traf Ende Juli 1858 die Nachricht ein: Prinz Plonplon kommt nicht!

Wenn Hoheit verhindert sei, meinte Mariette listig, so würde es großen Eindruck machen, dem Prinzen Napoleon einige Funde von den letzten Grabungen nach Paris zu senden. Und so geschah es. Prinz Plonplon ergötzte sich kurze Zeit an den Kostbarkeiten und übereignete sie schließlich dem Louvre.

In Kairo häuften sich indes die Ausgrabungsfunde in Schuppen und anderen Verliesen. Schließlich fand Mariette in der früheren Anlegestelle der Postdampfer zwischen Kairo und Alexandria im Vorort Bulak ein geeignetes Grundstück. Die Post wurde jetzt mit der Eisenbahn befördert, und die Station lag verwaist. Auf der Südseite dämmerte ein halbverfallenes Gebäude vor sich hin, in dem früher die Poststelle untergebracht war, die Nordseite nahm ein riesiger Kohlenschuppen ein, aus dem die Dampfschiffe versorgt wurden. Kein Mensch hätte es damals für möglich ge-halten, das daraus das erste ägyptische Museum entstehen könnte. Aber Mariette verfügte nicht nur über Durchsetzungsvermögen, auch Phantasie gehörte zu seinen Tugenden.