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»Ja, Sir«, sagte Selima, »und dieser Dr. Brugsch?« »Ist auch da«, antwortete Harris, »aber auch schon verheiratet. Die beiden machen doch alles gemeinsam. Tolle Männer, die beiden.« »Ja, Sir«, sagte Selima.

Der Fährmann übergab dem Schiffsjungen das Ruder und kam breitbeinig auf Harris zu. »Mister!« sagte er und blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um, »haben Sie Interesse für Papyrus?«

»Papyrus? Immer! Was soll er kosten?« Der Fährmann legte den Finger auf den Mund. »Kein gewöhnlicher Papyrus, Mister .. .«

»Was heißt, kein gewöhnlicher Papyrus?« fiel ihm Harris ins Wort, »Ihr haltet Euch wohl schon Euere eigenen Gelehrten ?«

»Nein, Mister«, antwortete der Fährmann und bemühte sich, leise zu sprechen, »dieser Papyrus ist so groß, riesengroß, es ist die längste Schriftrolle, die je gefunden wurde.« Harris zeigte mit ausgebreiteten Armen ein Maß an. »So groß oder länger?« fragte er.

»Dreißig Meter«, sagte der Fährmann gelassen, »vielleicht vierzig.«

Der Engländer wurde unruhig: »Aber das ist doch ganz unmöglich. Wann kann ich den Papyrus sehen?« »Heute abend.« »Gut. Und wo?«

»Mister, Sie gehen hinter dem Tempel von Medinet Habu in der Schlucht, die nach Der el-Medina führt, 225 Schritte bis zum Fuß des südlichen Hügels. Dort wird ein Mann mit einer Laterne auf Sie warten. Aber kommen Sie allein und ohne Waffen und bringen Sie zweihundert Pfund mit.« »Zweihundert Pfund?« rief Harris entrüstet; aber er hätte auch bei der Hälfte der Summe Entrüstung geheuchelt. Der Fährmann blieb ruhig: »Mister, es ist der größte Papyrus, der je gefunden wurde .. .« Dann ging er an sein Ruder zurück, um das Fährboot sicher ans Ufer zu steuern. Dort warteten zwei Dutzend Fellachenjungen mit ihren Eseln und balgten sich darum, wessen Tiere die Herrschaften nach Der el-Bahari tragen durften. Mariette kam den beiden entgegen. Schon von weitem rief er: »Sie müssen es gesehen haben. Es ist, als könnten die Steine reden.« Und dann berichtete er von den Grabungsarbeiten im Talkessel von Der el-Bahari: »Ein Tempelchen haben wir unter dem Geröll vermutet, aber nun kommt eine ganze Anlage in mehreren Stockwerken zum Vorschein, ein Terrassentempel auf drei Ebenen. Diese Königin Makare-Hatschepsut scheint viel bedeutender gewesen zu sein, als wir bisher angenommen haben.«

»Sie meinen, diese Königin hat sogar das Land regiert, war also nicht nur Ehefrau eines Pharaos?« fragte Harris. »Ja, das meine ich«, sagte Mariette, »und eigentlich war das seit langem klar. Der achte Pylon, die beiden Obelisken in Karnak, all das ist ihr Werk. Und wir sollten in Karnak alle Inschriften mit dem Namen Thutmosis' III. noch einmal unter die Lupe nehmen.«

Harris und seine Tochter sahen den Franzosen fragend an, und Mariette meinte: »Sie werden gleich sehen, warum«. Es gehörte schon sehr vie l Phantasie dazu, sich unter den Hügeln, Gräbern und Schuttmassen einen Tempel mit drei hintereinanderliegenden Terrassen vorzustellen. Das Her-ausragendste der Anlage war ein festungsartiger Turm, der, so kündigte der Ausgräber an, in den nächsten Tagen eingerissen würde, weil er nicht dazu gehöre. Vermutlich habe sich darin einmal ein arabischer Scheich verschanzt. Doch dann zeigte Mariette auf einzelne Pfeiler und Säulen und erklärte, wie man sich das Bauwerk vorzustellen habe. In der Tat, Mariette schien recht zu haben: Mit einiger Phantasie erhob sich vor ihnen eine gewaltige Tempelanlage. »Meine Leute haben schon Feierabend«, erklärte der Ausgräber, während sie sich über rollendes Gestein emporarbeiteten. Die Fellachen lagen müde im Sand, manche schliefen, den Kopf auf ihren Tragekorb gelegt, andere redeten lautstark miteinander. Selima erkundigte sich nach der Anzahl der Arbeitskräfte. Mariette wußte es nicht, aber ein paar hundert, meinte er, würden es schon sein. Inzwischen war es ziemlich schwierig, noch genügend Fellachen zu bekommen, da sie von Lesseps für den Bau des Suezkanals in Beschlag genommen wurden. Dabei hatten die Bauarbeiten noch nicht einmal begonnen.

In einer Mulde, aus der ein unterschiedlich hohes Mauerwerk herausragte, saß Heinrich Brugsch mit einem Zeichen-brett und kopierte Hieroglyphen. »Wir haben Besuch, mon ami!« sagte Mariette, und Brugsch begrüßte Anthony Harris und seine Tochter herzlich. Der Engländer erkundigte sich, ob er noch immer vom Heimweh nach Berlin geplagt sei, und Brugsch antwortete, Berlin könne er verschmerzen bei all den Wundern, die sich hier vor ihm auftäten. »Aber Pauline, meine Frau, ist mit meiner Arbeit fern von der Heimat nicht so ganz einverstanden. Sie schreibt, sie habe mich nicht geheiratet, um nur noch schriftlich mit mir zu verkehren. Ich werde im März nach Berlin zurückgehen.« Mariette hob die Schultern. »Aber jetzt«, meinte er schließlich, »zeigen Sie unseren Besuchern doch einmal unsere Entdeckungen.«

Auf einmal war alle Traurigkeit aus dem Gesicht des Deutschen verflogen, er richtete sich auf, stellte sich breitbeinig vor das Mauerwerk, die Arme in die Hüften gestützt, als habe er einen Gegner besiegt, und begann zu berichten: »Sie war die Tochter Thutmosis' I. und mit Thutmosis II., ihrem Stiefbruder, verheiratet. Es waren wohl Erbstreitigkeiten, die dazu führten, daß Hatschepsut schließlich die Macht übernahm. Hier, sehen Sie sich das an« - Brugsch deutete auf ein Relief in der Mauer - »die Königin trat wie ein Mann auf, im Lendenschurz mit nacktem Oberkörper, sogar eine Bartperücke hängte sie sich um.« »Unglaublich«, staunte Selima.

Harris betrachtete die zum Teil bemalten Reliefs aus der Nähe und erkundigte sich nach der Bedeutung der seltsamen Bilder, auf denen Sklaven an Tragestangen aufgehängte grünblättrige Bäume durch die Wüste schleppten. »Das ist der wohl interessanteste Teil unserer Entdek-kung«, sagte der Deutsche. »Hatschepsut betrieb offensichtlich eine systematische Außenpolitik und weitete die Handelsbeziehungen mit fernen Ländern aus. Hier sehen wir sie vor dem Thronrat. Die Erklärung lautet: >Im Jahre 9 ihrer Regierung erschien die Königin mit ihrer Atef-Krone auf dem großen Goldthron in der Herrlichkeit des Palastes. Beamte und Hofstaat wurden hereingeführt, um den Befehl der Königin an die Würdenträger, an die Priester und Königsfreunde zu hören: Meine Majestät hat befohlen, nach dem Myrrhengebirge zu reisen, die Wege auf ihm zu erkunden, seine Ausdehnung zu erfahren und seine Pfade zu öffnen .. .!<«

Brugsch ging zu der gegenüberliegenden Wand. Dort sah man fünf Schiffe, Bug und Heck hoch aufgebogen, die Segel wurden zur Fahrt in das Weihrauchland Punt gesetzt. »Stecht in See!« riefen die Daheimgebliebenen. »Nehmt den Weg ins Gottesland, reist in Frieden nach Punt!« »Wo liegt Punt?« fragte Selima. »An der Ostküste Afrikas«, erwiderte Mariette. »Und welchen Weg nahmen die Schiffe?« wollte Selima wissen. »Ich meine, wie gelangten sie zum Roten Meer?« »Das haben wir uns auch schon gefragt«, antwortete Brugsch. »Aber aus diesen Bildern und Texten geht das leider nicht hervor. Vielleicht gab es unter Hatschepsut doch schon einen schiffbaren Kanal vom Nil zum Roten Meer. Andernfalls müßten die Schiffe wohl in Einzelteile zerlegt und mit einer Eselkarawane durch die Wüste zum Roten Meer transportiert worden sein - ein phantastisches Unternehmen.«

Wie ein mit kurzen Texten versehenes Bilderbuch breitete sich vor ihnen das weitere Geschehen an den Wänden aus: Die fünf Schiffe erreichen das Weihrauchland. Unter Dattelpalmen sieht man Rundhütten auf Pfählen, Fische im Wasser, Affen auf den Bäumen und in der Takelage der Schiffe, Exotik selbst für die Ägypter. »Wie seid Ihr in unser Land gekommen, das keiner kennt?« fragt Perehu, der Fürst von Punt, dessen kleine, dicke Frau Eti auf einem Esel angetrabt kommt, dahinter drei ihrer Kinder. Hatschepsuts Leute überreichen Schmuck, Messer und Äxte, außerdem bieten sie von ihrem mitgebrachten Proviant an, Fleisch, Früchte und Wein. Da lassen sich natürlich auch die Puntier nicht lumpen und schleppen Säcke voll Gold herbei, gezähmte Affen, Windhunde und kostbare Leopardenfelle, Haufen von Weihrauchharz, Ebenholz und Elfenbein. Die Schiffe werden beladen. Sogar 31 Weihrauchbäume nehmen sie mit.