»Paß doch auf deine Füße auf!« ruft ein Matrose beim Verladen der schweren Gewächse seinem Kollegen zu. Und in ihrer Begeisterung über den fremden Besuch fragen der Häuptling und seine dicke Frau, ob sie nicht gleich mitkommen dürften in das gelobte Land am Nil. So kehrt denn die Expedition zurück, reich beladen mit kostbaren Schätzen und in Begleitung des exotischen Fürsten Perehu und seiner Frau Eti.
»Heil dir, Ägyptens König, weiblicher Sonnengott!« rufen die beiden, als sie sich bei der Ankunft vor Hatschepsut auf den Boden werfen. »Dein Name reicht so weit wie der Himmel, dein Ruf, Hatschepsut, umgibt das Meer!« Heinrich Brugsch, der die Szenerie mit dem Finger beschrieben und die Hieroglyphenzeilen vorgelesen hatte, hielt einen Augenblick inne; keiner der vier sagte ein Wort. Jeder war ergriffen von der Botschaft, die sich da vor ihnen auftat. Wie menschlich zeigte sich auf einmal die erhabene Geschichte des alten Ägypten! Menschen hatten diese Geschichte gelebt, nicht große Namen. Mariette fand als erster seine Sprache wieder. »Hier«, sagte er und zeigte mit dem Finger auf einen Königsring an der Wand, »fällt Ihnen daran etwas auf?« Harris und Selima traten nahe an die Mauer heran und musterten den verwitterten Namensring kritisch: erhobene Arme als Zeichen des Schutzgeistes Ka, die sitzende Göttin mit Feder im Haar als Ma und die runde Scheibe als Symbol für den Sonnengott Re. Makare lautete der Name im Zusammenhang gelesen, der Thronname der Königin Hatschepsut. »Drüben, auf der anderen Seite des Nils, die beiden Jubi-läumsobelisken im Tempel von Karnak tragen die gleichen Namensringe«, meinte Harris, »nur sind sie besser erhalten.« »Merkwürdig, nicht?« sagte Mariette, »die Obelisken waren zweieinhalb Jahre der gnadenlosen Sonne und verheerenden Sandstürmen ausgesetzt, aber ihre Beschriftung ist besser zu lesen als diese hier in einem ehemals geschlossenen Raum. Was aber das Merkwürdigste ist - die übrigen Reliefs an dieser Wand sind in einem sehr viel besseren Zustand.« Anthony Harris schüttelte den Kopf: »Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Wir denken seit Tagen darüber nach«, antwortete Brugsch, »und ich glaube, es gibt nur eine einzige Erklärung, der Name Hatschepsuts wurde gleichsam ausradiert, hier, da, dort, überall das gleiche Bild. Und betrachten sie einmal diesen Namensring Thutmosis' III., sehen Sie ganz genau hin!«
»Ja«, rief Selima, »er ist tiefer in die Wand geschlagen als die übrigen Schriftzeichen. Was hat das zu bedeuten?« Brugsch lächelte: »Könnte es nicht sein, daß dort, wo jetzt Thutmosis' Name steht, ursprünglich der Name Hatsche-psuts zu lesen war?«
Selima fiel dem Forscher aufgeregt ins Wort: ».. . daß Thutmosis ihren Namen ausmeißeln und durch seinen eigenen ersetzen ließ? Notgedrungen ist dieser Name dann tiefer eingegraben als die übrige Schrift. Aber warum hat Thutmo-sis das getan?«
»Ach, wissen Sie«, sagte Dr. Brugsch, »die Pharaonen waren auch nur Menschen, sie hatten genau wie wir ihre Sorgen und Probleme, auch Eheprobleme. Der dritte Thutmosis, zum Beispiel, war Hatschepsuts Stiefsohn, das Kind ihres Mannes mit einer Nebenfrau namens Isis. Das hat der Bedauernswerte während ihres ganzen Lebens zu spüren bekommen. Sie unterdrückte ihn, wo sie nur konnte, obwohl er als einziger Anspruch auf den Thron hatte. Das hat auch die Liebe der beiden nicht gerade gefördert.«
»Sie war eben eine edle Dame mit Anstand und Moral.« »Anstand und Moral?« Brugsch lachte laut. »Made-moiselle, ich glaube, ich muß Ihnen die Augen öffnen. « Er faßte die dunkelhäutige Selima am Arm und führte sie vor ein Relief. »Sehen Sie sich diesen netten Mann an!« »Könnte mir gefallen«, lachte Selima, »wirklich.« »Hatschepsut fand auch Gefallen an ihm«, meinte Brugsch, »mehr noch . . .«
»Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Hatschepsut...« »Doch. Wie anders wäre es zu erklären, daß dieser Senen-mut, der sich selbst, hier steht es, >der Größte von allen< nannte, daß dieser Senenmut auf allen Reliefs - wenn auch manchmal winzig klein - auftaucht? Dort drüben und hier, überall. Dabei galt es als Sakrileg, wenn ein Nichtmitglied des Königshauses bei Opferhandlungen auftauchte oder auf Wandbildern verewigt wurde.«
Selima dachte nach. »Meinen Sie, Hatschepsut hat das absichtlich getan? Sie muß es doch erlaubt haben, daß dieser Mann überall abgebildet wurde. Oder konnte er Hatsche-psut überlisten?«
Brugsch hob die Schultern. »Denkbar wäre das schon. Schließlich führte er die Bauaufsicht. Er ging in diesem Bauwerk nicht ohne Raffinesse vor. Bei allen Türdurchgängen, die wir bisher ausgegraben haben, verewigte sich Senenmut an der Innenseite, hier zum Beispiel. Standen die Türen offen, so war sein Name verdeckt, wurden sie geschlossen, konnte man seinen Namen lesen; aber nur von innen. Und im Innern des Tempels durfte sich außer den Priestern ohnehin nur die Königin aufhalten.«
Das Gespräch wurde von Anthony Harris unterbrochen, der sich entschuldigte, er wolle noch nach el-Kurna, ein Fellache habe ihm ein mysteriöses Angebot unterbreitet, einen Papyrus, den müsse er sich ansehen. »Und ich dachte, Sie würden mit uns an Bord der >Sama-noud< dinieren«, sagte Mariette.
Harris bedankte sich und bat, seine Adoptivtochter mit auf das Schiff zu nehmen, er selbst werde später nachkommen. Brugschs Angebot, ihn nach el-Kurna zu begleiten, schlug er aus, er habe fest zugesagt, allein zu erscheinen: »Sie wissen selbst, wie mißtrauisch diese Leute sind!« Mariette gab zu bedenken, daß die Dunkelheit bereits hereinbreche, und drängte den Engländer, wenigstens seine Flinte mitzunehmen. Aber Harris argumentierte, ein Gewehr in der Hand könnte die Grabräuber höchstens nervös machen und zu Kurzschlußhandlungen verleiten. Außerdem gehe er nicht zum erstenmal einen solchen Gang, und bisher sei es noch nie zu Gewalttätigkeiten gekommen. Während die Dämmerung an dem Felsenkessel von Der el-Bahari emporkroch, entfernte sich Anthony Harris in Richtung el-Kurna. Er schlich um das Dorf herum, um kein Aufsehen zu erregen, und gelangte in der Dunkelheit zu der bezeichneten Stelle. Dann schlug er die südliche Richtung ein und zählte seine Schritte. Plötzlich tanzte vor ihm der Lichtschein einer Laterne. Deutlich vernahm er das Entsichern eines Gewehres. Er blieb stehen. »Mister Harris?« fragte eine Stimme. »Ja.«
»Sind Sie allein und unbewaffnet?« »Ja.«
»Kommen Sie näher.«
Harris tat, wie ihm geheißen, schritt auf den Lichtschein zu, da tauchte vor ihm ein Araber in einem langen Gewand auf. Er trug einen Turban und hatte das Gesicht bis auf die Augen vermummt - eine gespenstische Erscheinung im Schein der Laterne. »Kommen Sie«, sagte die Stimme. Der Araber ging voraus, ließ Harns im Gehen aber nicht aus den Augen. Vor einem etwa sechs bis sieben Meter tiefen Krater blieb er stehen und leuchtete nach unten. Steine polterten laut durch die Finsternis, als der Araber und Anthony Harris in den Krater hinabrutschten. »Ich habe
Sie hierher bestellt, weil Sie sehen sollen, wo wir unseren Fund gemacht haben«, sagte der Unbekannte, »man erzählt, Sie kaufen keine Papyrusrollen, deren Herkunft unbekannt ist.«
»Das ist richtig«, sagte Harris. Das Geschäftsgebaren des Arabers gefiel ihm. Gebückt schlüpften beide in einen Höhleneingang. Harris hatte ein kostbares Grab erwartet; die bis auf einen Steinblock leere Grotte ließ bei dem Engländer Zweifel an der Bedeutung des angekündigten Fundes aufkommen.
Der Araber stellte die Laterne auf den Boden, sie warf den Schatten der beiden Männer überdimensional an die Wand. »Als wir diese Höhle entdeckten, sah es hier nicht viel anders aus als jetzt«, sagte der vermummte Unbekannte, »ein paar Mumiengewänder und Knochen. Aber dann fanden wir das hier.«