Lesseps fuhr nach England, um Premierminister Palmer-ston umzustimmen. Der aber erklärte höflich und bestimmt, das Kanalprojekt sei in der Lage, die Überlegenheit Englands als Handelsmacht zu untergraben, und aus diesem Grund werde man jedes Mittel einsetzen, um den Kanal zu verhindern. Wirksamste Waffe sei die Absetzung des ägyptischen Vizekönigs, die man beim Sultan in Konstantinopel durchzusetzen gedenke.
Said Pascha verfiel in Panik, als er von den englischen Plänen erfuhr, der Vizekönig fürchtete um Amt und Würden. Denn der Sultan, ohnehin unzufrieden mit seinem Satrapen am Nil, wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um den ungeliebten Khediven loszuwerden. Als Lesseps im Ras-el-Tin-Palast vorsprach, zeigte der Pascha auf seinen Gehrock, der ihm inzwischen drei Nummern zu groß am Leibe hing, und meinte: »Sieh nur, was diese Engländer mir angetan haben!« Er bat seinen Freund allen Ernstes, die Bauarbeiten am Suez-Kanal einzustellen, bis das internationale Klima sich verbessert habe. Lesseps zog sich ohne irgendeine Zusage zurück. Der Kanal fraß sich weiter durch die Wüste.
Aufgepflanzt wie eine Gallionsfigur stand Auguste Mariette im Bug der »Samanoud«. Mit der linken Hand schirmte er die Augen vor dem grellen Sonnenlicht ab, in der Rechten hielt er sein Gewehr. Das Dampfschiff fuhr mit voller Kraft voraus, denn Mariette hatte es eilig. Hinter ihm stand Deve-ria, sein Assistent, der Bonnefoys Stelle eingenommen hatte. Bonnefoy war gestorben. Böse Zungen behaupteten, Ma-riette habe ihn zu Tode gehetzt. »Ich schieße ihn über den Haufen!« rief Mariette und klemmte seine Flinte fester unter den Arm. »Ich schieße ihn über den Haufen, wenn er auch nur ein Stück beschädigt hat, dieser gottverdammte Kameltreiber.« »Sie kennen den Provinzgouverneur?« erkundigte Deveria sich zaghaft.
»Und ob ich den Kerl kenne! Der Dorfschulze von Kena glaubt bisweilen, er habe Theben, Karnak und das Tal der Könige gepachtet. Aber es gibt nur einen, der dort Rechte anzumelden hat, und das bin ich, verstehst du, Deveria?« Theodule Deveria hätte nie gewagt, daran zu zweifeln. Er kannte die Unberechenbarkeit Mariettes nur zu gut, wenn er in Zorn geriet. Deshalb nickte er zustimmend. Im Süden tauchte die Rauchfahne eines Raddampfers auf. Der Franzose stach mit dem Zeigefinger in die Luft: »Das müssen sie sein!« rief er in höchster Erregung aus und gab der Brücke das Kommando: »Kurs auf den Dampfer!« Von der Brücke kam die Antwort: verstanden. »Ich möchte wissen, was ihn das überhaupt angeht«, knurrte Mariette, »wenn heute irgendwo ein archäologischer Fund gemacht wird, dann ist das einzig und allein meine Angelegenheit und nicht die irgendeines Provinzgouverneurs.« Deveria meinte, es sei überhaupt ein Wunder, daß der Fund gemeldet worden und nicht auf dem Schwarzmarkt verschwunden sei. Wo es sich doch angeblich um so viel Gold handele.
»Abwarten!« mahnte sein Chef, »das Gold wollen wir erst einmal sehen. Aber auch wenn es sich bei dem angeblichen Goldschmuck nur um Talmi handelt, ist die Entdeckung der Königin von größtem Interesse für die Wissenschaft. Sie hieß Ahotep und war die Mutter Ahmoses, des ersten Pharaos des Neuen Reiches, das in Theben seinen Anfang nahm.«
»Wer hat Ahotep identifiziert?«
»Engländer, die in Theben arbeiten. Ich hoffe, sie haben sich nicht geirrt.«
Der Kapitän der »Samanoud« gab dem entgegenkommenden Schiff Zeichen beizudrehen; doch das reagierte nicht. Da schoß Mariette dreimal in die Luft, und mitten im Nil begann ein ungewöhnliches Anlegemanöver. Kaum lagen die Schiffe längsseits, sprang Mariette auf den anderen Dampfer und riß sein Gewehr hoch. »Habt Ihr den Schatz der Königin Ahotep an Bord?« schrie er den erstbesten Matrosen an. Der nickte verschüchtert und rannte davon, als ginge es um sein Leben.
Hassan, der Kapitän, erschien, protestierte gegen diesen Piratenakt und kündigte an, sich beim Khediven in Kairo zu beschweren, für den er im Auftrag des Provinzgouverneurs von Kena unterwegs sei. Mariette schob den Kapitän zur Seite, drohte, ihn über Bord zu werfen, und fragte, wo der Schatz der Königin sei.
Der Flußfahrer schlug die Hände über dem Kopf zusammen, bat um Gnade für seine drei Frauen und vierzehn Kinder. Sie alle müßten verhungern, wenn er seine Arbeit verliere, und das sei so gut wie sicher, falls er seinen Auftrag nicht ausführe.
»Und wie lautet dein Auftrag?« fragte der Franzose ungeduldig.
»Ich soll die beiden Kisten hinten im Frachtraum beim Khediven abliefern«, Hassan zog ein Papier hervor, »hier ist die Liste.«
Mariette überflog den Schein mit einem kurzen Blick und bekam große Augen. Da schürfte er mit Tausenden von Arbeitern auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, und dann machte nicht er die großen Entdeckungen, sondern der Zufall!
Plötzlich spürte Mariette, daß jemand hinter ihm stand, er zögerte keinen Augenblick, faßte das Gewehr mit beiden Händen, drehte sich blitzschnell um und rammte einem baumlangen Matrosen den Kolben des Schießeisens in den Leib. Der sackte lautlos zusammen, die Schlinge, mit der er Mariette erwürgen wollte, glitt aus seiner Hand. Die übrige Mannschaft, die den Vorfall aus sicherer Entfernung beobachtet hatte, drückte sich hinter den Kajütenvorbau; aber der Franzose sprang hinzu, gestikulierte wild mit seiner Flinte herum, schrie, er werde sie alle auf die Ga-leeren schicken oder ihnen das Gehirn rösten, wenn sie sich seinen Anordnungen widersetzten. »Los, die Kisten werden auf mein Schiff verladen. Aber plötzlich!« Widerwillig, mit hilfesuchenden Blicken zu ihrem Kapitän wuchteten die Matrosen die kostbare Fracht an Deck. Ma-riettes Leute nahmen sie vorsichtig an Bord der »Sama-noud«, und der Franzose kritzelte ein paar Zeilen auf ein Papier: »Schatz der Königin Ahotep übernommen. Mariette, Direktor der Altertümer.« Das drückte er Hassan, dem Kapitän, in die Hand; dann drehte die »Samanoud« ab und nahm Kurs nilabwärts auf Kairo.
Die vernagelten Kisten wurden unter Deck in den Salon der »Samanoud« gebracht. »Deveria«, sagte Mariette, während er die kleinere mit einem Stemmeisen öffnete, »Deve-ria«, gleich wirst du sehen, womit man vor dreieinhalbtausend Jahren einer Königin das Jenseits verschönen wollte.« Der Assistent beobachtete den Holzdeckel, der jeden Augenblick abzuspringen drohte. Mariette wurde ungeduldig, er riß ein einzelnes Brett des Deckels ab, Holz splitterte. Erwartungsvoll starrten sie in die Kiste. Als erstes zog Mariette eine Axt hervor, einen halben Meter lang, der Stiel aus Zedernholz mit Blattgold verkleidet, auf der Klinge ein Namensring: Ahmose. Ein Dolch trug ebenfalls diesen Namen, dann aber folgten Spiegel, Arm- und Beinringe, Haarreifen und Schmuckstücke, die ohne Zweifel aus dem Besitz einer Dame stammten. Ein goldenes Armband war mit bunten Edelsteinen besetzt, eine Ordenskette trug als Schmuck drei goldene Fliegen, ein Armband zierte das Bild eines schwebenden Geiers, ein weiteres die Krönung des Königs Ahmose. Einige hundert Einzelteile, Tiere und Ornamente aus Gold und Email, gehörten vermutlich zu einem großen Brustschmuck, den kunstfertige Hände einst an Bändern und Drähten aufgereiht hatten. Ein solches Stück zu rekonstruieren, konnte Jahre dauern und bedeutete vor allem eine mühsame Rechnerei. Man mußte die Anzahl der einzelnen Orna-mente in Beziehung zueinander setzen, und die Wahrscheinlichkeit war groß, daß Ornamente, von denen weniger vorhanden waren, näher am Hals lagen als Ornamente, die um die Brust gelegt waren. Eine solche Reihe war länger und bedurfte mehrerer Einzelteile.
Mariette hängte die einzelnen Schmuckstücke seinem Assistenten um den Hals, steckte sie an seine Handgelenke und bald bewegte Deveria sich wie ein schwerbehangenes Zirkuspferd. »Wie fühlst du dich?« fragte sein Chef lachend, und Deveria antwortete: »Wenn ich ehrlich sein soll, es ist ein unbehagliches, beinahe beängstigendes Gefühl, wenn man bedenkt, daß Königin Ahotep die letzte war, die damit spazierenging!«
Wie kostbares Spielzeug sahen die weiteren Stücke aus, die Mariette nun aus der Kiste hervorholte: Eine Nilbarke aus Gold, etwa vierzig Zentimeter lang mit zwei silbergetrie -benen Ruderern auf den Ruderbänken, ein weiteres silbernes Boot maß knapp einen halben Meter und wurde von einem kleinen Steuermann auf Kurs gehalten. Wozu mochte wohl das winzige Wägelchen gedient haben mit seinen zehn Zentimeter hohen Bronzerädern? Für ein komplettes Sortiment Brettspielsteine in Löwenkopf-Form, Goldblech über einen Holzkern getrieben, stellte sich diese Frage nicht. Sie dienten dem Zeitvertreib im Jenseits.