Für die Lady war ein Raum gegenüber dem Trakt vorbereitet, den der Franzose bewohnte. Teppiche lagen übereinander, und ein Diwan mit Tischchen stand ziemlich verlassen herum, ein alter intarsiengeschmückter Kasten konnte gerade das Notwendigste aufnehmen, dafür gab es nach Südosten eine Terrasse, deren Aussicht für vieles entschädigte. Sally und Omar fanden im Rückgebäude Unterkunft, wohin sie das fürs erste nicht benötigte Gepäck brachten. Mit einer Verbeugung zogen sich der Aga und der Nazir zurück, sie würden morgen wieder nach dem Rechten sehen. »Sie ist eine schöne Frau!« sagte der Konsul, als sie sich außer Hörweite glaubten. Der Nazir pflichtete bei: »Und eine außergewöhnliche Frau obendrein. Ich hoffe nur, daß sie nicht allen Männern in Luxor den Kopf verdreht!« Geweckt wurde die schöne Engländerin vom strahlenden Glanz eines Morgens, wie ihn nur der Himmel Oberägyptens werden läßt. Ihr linker Daumen schmerzte, und da er eine Verletzung aufwies, an die sie sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, kam Lady Gordon zu dem Schluß, daß sie des nachts von einer Ratte angeknabbert worden sein mußte. »Lucie«, sagte sie halblaut vor sich hin, »das soll nicht wieder passieren!«
Während sie hurtig in ihre türkischen Pluderhosen schlüpfte, blickte sie interessiert zur Nillände hinab, wo ein stattliches Dampfschiff festmachte. Neugierig ob des frühen
Besuches trat sie auf die Terrasse und beobachtete die Geschäftigkeit an Deck. Kaum war die Landungsbrücke an Bord gehievt, schritt ein Mann im dunklen Gehrock, den roten Fez auf dem Kopf, über die schwankenden Bohlen. Der imposanten Erscheinung folgte in gebührendem Abstand eine Schar ebenso elegant gekleideter Europäer. Erhobenen Hauptes und rhythmisch mit den Armen wedelnd, marschierte der stattliche Herr geradewegs auf das Maison de France zu, die Begleiter hinter ihm versuchten mühsam Schritt zu halten. Vor dem Balkon der Lady blieb er plötzlich stehen, blickte mit schrägem Kopf nach oben und verneigte sich lächelnd zu einem Gruß.
Lady Gordon erschrak, sie bemerkte plötzlich, daß sie na-belaufwärts nackt war. Sie riß hastig die Arme vor die Brust und verschwand, um sich schnell etwas überzuziehen. Die Männer waren inzwischen im Innenhof angelangt, und als die Engländerin die Türe öffnete, stand der stattliche Mann vor ihr und sagte freundlich: »Gestatten Sie, mein Name ist Auguste Mariette.«
»Dann verdanke ich Ihnen diese bezaubernde Unterkunft?« meinte die Lady, aber Mariette winkte ab: »Nicht der Rede wert, Madame. Die meiste Zeit steht das Maison sowieso leer. Ich hoffe, Sie fühlen sich bald wohl bei uns!« »Davon bin ich überzeugt«, antwortete die Engländerin, »vorläufig ist alles noch zu neu für mich. Ich habe mich hier noch gar nicht so recht umgesehen.« Mariette kündigte an, er werde nach der größten Hitze am Nachmittag über den Nil setzen, um die Fortschritte bei den Ausgrabungen am Terrassentempel in Augenschein zu nehmen. Wenn sie wolle, könne sie mit ihm kommen, er werde sich erlauben, Madame abzuholen. Maunier kam verschlafen aus seiner Haustüre und wurde von Mariette lautstark begrüßt. »Mein Freund«, rief er dem Landsmann auf französisch zu, »Sie haben sich unschätzbare Verdienste erworben. Wenn Sie nicht gewesen wären, dann wäre der Schatz der Königin heute verstreut, und die einzelnen Stücke würden auf dem schwarzen Markt verkauft.« Er erklärte Lady Duff Gordon, daß Maunier von der Entdek-kung des Grabschatzes der Königin Ahotep Wind bekommen und den Fund der Direktion für Altertümer in Kairo gemeldet habe. Er, Mariette, habe daraufhin den Provinzgouverneur von Kairo mit der ordnungsgemäßen Bergung des Schatzes beauftragt, seinen Männern aber schließlich den Schatz gewaltsam entreißen müssen. »Was mich vor allem interessiert«, meinte Mariette, »war der Sarkophag bei seiner Auffindung bereits aufgebrochen?« »Ich war nicht dabei«, antwortete Maunier, »aber wie ich erfuhr, mußte der Sarkophag aufgesägt werden.« »Dann lag also in dem Sarkophag die Mumie der Königin !«
»Ja, soviel ich weiß, ja. Man hat sie herausgeholt und verbrannt.«
Mariette ballte die Fäuste. Gemeinsam nahmen sie im luftigen Innenhof das Frühstück ein: Mariette, sein Assistent Theodule Deveria und Luigi Vassali, Maunier und seine schwarzhaarige Frau und Lucie Duff Gordon. Man sprach französisch, italienisch und englisch durcheinander. Nach dem Frühstück machte die schöne Engländerin sich in Begleitung Omars auf den Weg, um sich ihre neue Winterheimat näher anzusehen. In der Sharia el-Markaz pulsierte das Leben des unberührten Orients: Fliegende Händler, die ihren Laden auf dem Kopf trugen, Scheichs, die Sklaven vor sich hertrieben, lautstark teilten sich Menschen und Tiere die Straße. Lady Gordon fiel in ihrer orientalischen Tracht kaum auf. Nur ein trotz europäischer Kleidung exotisch aussehender Mann mit buschigem Schnauzbart schien sie zu bemerken.
Ob er ihr behilflich sein könne, fragte er zuvorkommend auf deutsch. Die Lady, die fließend deutsch sprach, seit sie in Kindertagen mit ihren Eltern einige Jahre in Köln verbracht hatte, wunderte sich. Er heiße Boulos Todrous, sagte der Unbekannte, sei preußischer Konsularagent, obendrein Christ, ob sie sich für antiken Schmuck interessiere. Natürlich interessierte Lucie sich für Schmuck. Todrous bat die Engländerin, ihm zu folgen.
Das weitere Gespräch der beiden mußte mit Omar als Dolmetscher geführt werden, weil der Vertreter Preußens eingestand, nicht mehr als zwei Sätze deutsch zu sprechen. Allah habe gewollt, daß er arabisch spreche, sonst hätte er ihn in Berlin, London oder Paris in die Welt gesetzt. Lucie lächelte. »Nennen Sie mich einfach Theodore!« sagte der Konsul, »ganz Luxor nennt mich so.«
Das Konsulat lag nicht weit vom Maison de France entfernt im ehemaligen Tempel Amenophis III. Die Haustür führte direkt in den Salon, »Salon« nannte freilich nur Theodore diese mit tausenderlei Krimskrams verstellte Kammer. Todrous legte sich bäuchlings auf den Boden und tauchte mit dem Kopf unter den grellgemusterten Diwan, schließlich zog er eine Kiste hervor, und sein Blick verklärte sich. Aus gelbem Seidenpapier wickelte der Konsul ein Schmuckstück nach dem anderen, legte es vorsichtig auf den Teppich und sagte jedes Mal andächtig: »Kadim, Madame, alt!« Lucie war begeistert von der pharaonischen Pracht. Der Gedanke, ein solch kostbares Stück auf dem Dekollete zu tragen, ermunterte sie zu der Frage, was denn das eine oder andere koste. Dem christlichen Araber waren derlei Fragen sichtlich peinlich. Gerne, so schien es, trenne er sich nicht von diesen Pretiosen. Dann aber überwand er sich und sagte: »Weil Sie es sind - 25 Pfund.«
»Das ist sehr vie l Geld«, sagte Lady Gordon und legte das schönste Schmuckstück von einer Hand in die andere. Es sei aber auch über dreitausend Jahre alt und deshalb von unermeßlichem Wert.
Nach einigem Hin und Her einigte man sich schließlich auf einen Kaufpreis von zwanzig Pfund, Lucie war selig.
Als Auguste Mariette den stolzen Erwerb der englischen Lady sah, sagte er nur ein Wort: »Todrous.« Lucie nickte. Er rief sofort nach Deveria, der ihm auf der Stelle diesen Boulos Todrous herbringen solle. »Wissen Sie«, erklärte der Direktor der ägyptischen Altertümer, »dieser Todrous ist ein gerissener Hund. Die Leute von el-Kurna verkaufen ihm ihre ille -galen Funde, das ist allgemein bekannt. Wenn er deshalb etwas anbietet, zweifelt niemand an der Echtheit. Dabei ist mindestens die Hälfte aller Objekte gefälscht. Todrous ist der größte Fälscher in Luxor. Er ist gelernter Silberschmied und nützt seine Kenntnis in der Bearbeitung von Edelmetallen zur Nachahmung antiker Fundstücke. So wie in diesem Fall.«