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»Aber Sie haben sich das Schmuckstück doch gar nicht richtig angesehen!« entsetzte sich Lucie, »warum glauben Sie an eine Fälschung?«

Mariette lächelte: »Weil das Original in meinem Besitz ist. Es stammt aus dem Schatz der Königin Ahotep und kann im Museum in Kairo besichtigt werden.« Theodore wußte, warum er gerufen wurde. Er winkte beim Eintreten mit der Zwanzig-Pfund-Note, gab sie zurück, nahm das Schmuckstück in Empfang und verschwand, ohne daß ein Wort gewechselt wurde. Während der Überfahrt zum jenseitigen Nilufer erzählte Mariette von seinen neuesten Ausgrabungen in Sakkara. Dort hatte er nahe dem Serapis-Tempel die Gruft eines reichen Edelmannes aus der 5. Dynastie entdeckt. Er hieß Ti und war der Verwalter der königlichen Totentempel, keine Figur von Bedeutung also. Was die Stätte aber höchst bedeutungsvoll machte: Die Wände eines Pfeilerhofes spiegelten den gesamten Alltag dieser Zeit wider. Da sah man auf feinsten Hochreliefs, wie Herr Ti Jahrtausende vor der Zeitenwende gelebt hat, wie die Bauern im Delta das Vieh weideten und Ti als feudaler Gutsherr die Landwirtschaft überwacht. Auch Opferzeremonien wurden bis ins kleinste Detail genau abgebildet und dargestellt, wie der Edelmann ins Jenseits einging-

»Sie sollten sich das bei Gelegenheit einmal ansehen«, meinte Mariette, »denn das Leben im Alten Reich finden Sie nirgends besser dargestellt. Dann kann ich Ihnen auch meinen Dorfschulzen vorstellen.« Er lachte breit. »Er heißt Ka-aper und war Hofbeamter zur Zeit des Ti. Als wir seine lebensgroße Holzstatue fanden, liefen die Arbeiter davon, so lebensecht wirkt sie. Besonders der Kopf ist verblüffend lebendig, die Augen sind aus Kupfer und mit Kristall eingelegt, sie sehen einen an, wo immer man steht. Später erfuhr ich dann, warum meine Arbeiter geflohen waren. Ka-aper sah ihrem Dorfschulzen nicht nur ähnlich, er glich ihm aufs Haar. Und so tauften sie die Figur Schech-el-Beled - Dorfschulze.«

Lady Duff Gordon sah den Forscher eine Weile an; dann fragte sie unvermittelt: »Sind Sie eigentlich verheiratet, Monsieur Mariette?« »Warum fragen Sie?«

»Nun, wenn man Ihnen so zuhört, dann kann man sich schier nicht vorstellen, daß Sie für eine Frau überhaupt noch Zeit haben.«

»Sie haben recht, Madame, das ist ein Problem.« Er holte eine vergilbte Daguerreotypie aus der Tasche. »Sie heißt Eleonore, und wir haben vor zwanzig Jahren geheiratet. Erst lebte sie allein in Paris, während ich hier arbeitete, nun ist sie aber schon über zehn Jahre bei mir in Kairo. Wir haben einen Sohn, er heißt Edouard. Und Sie?« »Einen Sohn und zwei Töchter«, antwortete die Lady. Mariette hätte sich gern nach dem Gemahl der attraktiven Dame erkundigt; aber das hielt er für ungehörig. Lucie schien die Gedanken ihres Gegenübers zu erraten und sagte: »Mein Mann ist Beamter im Finanzministerium. Ich glaube nicht, daß er mich sehr vermißt.« Mariette verstand.

Der Tempel von Der el-Bahari hatte sich seit seinem letzten Besuch sehr verändert. Von der unteren Ebene führte eine hohe Schrägrampe zur zweiten Terrasse. Von einer weiterführenden Schrägrampe getrennt, hatten die Ausgräber zur Linken die sogenannte Punt-Halle mit den Wandbildern von der abenteuerlichen Expedition freigelegt, zur Rechten lag die Geburtshalle, genauso groß wie erstere, jedoch mit Szenen von der Zeugung Hatschepsuts durch Amun, ihrer Geburt und Erziehung ausgeschmückt. An die Ausgrabung eines dritten Bauwerkes, das man unter den Geröllmassen vermuten konnte, war vorläufig nicht zu denken; denn jeder Korb Sand und Gestein, der am Fuße des Berges weggetragen wurde, rutschte von oben nach. In den Säulen des Hatschepsut-Tempels hatte sich mit Billigung Mariettes ein junger deutscher Forscher eingenistet, ein etwas merkwürdiger Mann, verschlossen und zurückhaltend, aber arbeitsbesessen. Er hieß Dr. Johannes Dümi-chen, wollte ursprünglich Pfarrer werden, war dann aber von den Berichten Richard Lepsius' so fasziniert, daß er sich der Ägyptologie verschrieb. Wie alle deutschen Ägyptologen bewies er ungewöhnliches Talent bei der Entschlüsselung von Hieroglyphentexten, und wie alle Deutschen war er arm wie eine Kirchenmaus.

Er hatte eine Ein-Mann-Expedition nach dem Sudan hinter sich, von der er unschätzbare Dokumente mitbrachte. Was immer dem Doktor aus Schlesien als wichtig erschien an Tempel-, Grab- und Steininschriften, Dümichen hatte es in oft wochenlanger mühsamster Arbeit auf Packpapier kopiert, abgepaust oder gezeichnet, um es einem größeren Kreis von Wissenschaftlern in Europa zugänglich zu machen. Die Tempel in Nubien waren zu damaliger Zeit nur unter Einsatz des Lebens zu erreichen. Der wortkarge Hieroglyphenforscher zeigte sich hocherfreut, als ihn Lady Gordon in seiner Muttersprache anredete, und erbot sich, der schönen Engländerin das Tal der Könige und all die Sehenswürdigkeiten im westlichen Theben zu zeigen; man verabredete sich für den nächsten Tag. Lucie schlief unruhig in dieser Nacht. Überwältigt von den zahllosen neuen Eindrücken, dem exotischen Leben und den sie beeindruckenden Menschen wurde sie immer wieder wach und versuchte, aufs neue Schlaf zu finden. Doch dann schreckte sie hoch: Hatte sie das zaghafte Klopfen an ihrer Tür nur geträumt? Nein, die Türklinke quietschte. Lucie entzündete eine Kerze, stieg aus dem Bett und ging zur Tür. Langsam bewegte sich die Klinke auf und ab. »Wer ist da?« rief Lucie leise. Eine alte zitternde Stimme antwortete: »Hier ist Ismain, der alte Ismain. Sie sind in Gefahr, Mrs. Belzoni!« »Ich bin nicht Mrs. Belzoni!« flüsterte Lucie durch die geschlossene Tür, »ich bin Lady Duff Gordon!« »Ich weiß«, kam die Stimme zurück, »ich bin Ismain, der alte Ismain, mir können Sie Vertrauen schenken.« Die Hartnäckigkeit des Alten machte sie neugierig, und Lucie schob den Riegel zurück. Im Türspalt tauchte das zerfurchte Gesicht eines uralten Mannes auf, hundert Jahre oder noch mehr schienen sich in diese Züge eingegraben zu haben, nur seine hellwachen Augen verrieten, daß er so alt wohl nicht sein konnte.

»Niemand hat mich kommen sehen, Mrs. Belzoni«, sagte er zufrieden und drückte mit seiner dürren Hand die Türe auf. Lucie ließ den Alten eintreten, sie stellte die Kerze auf den Tisch und trat ganz nahe an den Unbekannten heran. »Hören Sie, Ismain«, sagte sie eindringlich, »mein Name ist Lucie Duff Gordon, ich bin vor zwei Tagen hier angekommen und habe mit der Mrs. Belzoni, die Sie suchen, nichts zu schaffen!«

»Aber ich erkenne Sie ganz gewiß, Mrs. Belzoni«, erwiderte Ismain entrüstet, »wir waren zusammen in Abu Simbel, Sie, Mister B. und ich. Sie können mir wirklich vertrauen. Ismain ist Ihr Freund.« »Wer, zum Teufel, ist Mister B.?« fragte Lucie. »Ihr Mann, Mrs. Belzoni; nennen Sie ihn nicht mehr Mister B.?«

»Also zum letztenmal, Ismain: Ich bin nicht Mrs. Belzoni, mein Mann heißt Alexander und nicht Mister B., und Abu Simbel kenne ich nur vom Hörensagen, und jetzt möchte ich gerne weiterschlafen!«

Ismain gab nicht auf: »Wir haben den Felsentempel von Abu Simbel entdeckt. Erinnern Sie sich nicht? Es war am i. August 1817, früh am Morgen, wir hatten gerade diesen breiten Türsturz aus den Sandmassen ausgegraben, und darunter klaffte ein Loch. Auf einer Sanddüne rutschten wir in das Innere, ohne Rücksicht, ob wir jemals wieder herauskommen würden. Mister B. zündete eine Kerze an. Und dann sahen wir, was seit 2000 Jahren kein menschliches Auge mehr geschaut hatte: Ramses als Totengott Osiris, achtmal höher als das höchste Haus. Und wir gingen den langen Weg in den Berg und fanden Nebenräume und Verliese, und Sie fürchteten sich, erinnern Sie sich, Mrs. Belzoni.« Lucie hatte, während er redete, Ismain scharf beobachtet, um zu ergründen, ob sie einen Irren vor sich hatte. Ismain sprach in höchster Begeisterung, richtete seine Augen bisweilen theatralisch zur Decke und erzählte mit einem Temperament, das unschwer verriet, daß er das alles tatsächlich erlebt hatte. Und da sie den Greis nicht von ihrer wahren Identität überzeugen konnte, zündete sie sich eine Zigarre an, setzte sich halbbekleidet auf ihr Bett und hörte zu. »Seit wann rauchen Sie?« fragte Ismain entrüstet, gab sich aber zufrieden, als er hörte, die Lady sei diesem Laster schon seit mindestens zehn Jahren verfallen. Schließlich meinte er, Lucie solle sich anziehen und mit ihm kommen, er bringe sie zu Mister B.