Lesseps hatte aus allen Teilen der Welt Facharbeiter ins Land geholt. Als er auch noch gigantische Bagger und Maschinen zu Schiff aus Frankreich herbeischaffte, die lustlosträge Arbeiter ersetzten, kam die Compagnie plötzlich mit 6000 Mann aus. Und die Eröffnung des ersten Teilstückes von Port Said zum Timsah-See bekehrte auch die letzten Zweifler.
Die Arbeiter, die der Kanalbau plötzlich freistellte, überschwemmten Kairo wie eine Flutwelle; sie verdingten sich bei den zahllosen öffentlichen Bauprojekten gegen gutes Geld und gaben es mit vollen Händen für Kleidung, Haschisch und Frauen aus. Für kirgisische Sklavinnen von edler weißer Hautfarbe zahlten sie Phantasiepreise, behängten sie mit Glitzerschmuck und brachten sie im Triumphzug in ihre Heimatdörfer. Gleichzeitig entstand in Kairo und Alexandria eine neue Schicht von Geschäftemachern und Spekulanten, Bankern und Betrügern. Am Nil hielt das Zeitalter der Eisenbahn- und Dampfschiffahrtgesellschaften, der Firmensyndikate und Bankgesellschaften Einzug. Ägypten wurde zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Aber ebenso schnell, wie er gekommen war, flaute der Baumwoll-Boom ab. Ismail Pascha wurde jedoch das Gefühl, im Mittelpunkt der Welt zu stehen, nicht los, er investierte, produzierte und lebte weit über seine Verhältnisse. Europäische Banken dienten ihm ihr Geld an. Der orientalische Pomp, mit dem Ismail sich umgab, war Sicherheit genug. Mit gekreuzten Beinen auf dem Diwan empfing der gedrungene Pascha, angetan mit dem türkischen Sambouli, einem dunklen, durchgeknöpften Gehrock, die Offerten des europäischen Geldadels. Goschen, Bischofsheim, Oppenheim und Rothschild vergaben Staatsanleihen. Und es schien, als brauche Ismail nur an seiner Wunderlampe zu reiben, und immer neue Wunder wurden Wirklichkeit. Das einzige, was diesem Land noch fehlte, war seine Vergangenheit.
V. Der schleichende Tod
Professor Lepsius wanderte mit dem Zeigefinger über die Hieroglyphen und bewegte, kaum merklich, die Lippen. Sein Assistent wagte nicht, ihn zu unterbrechen, er wagte nicht einmal, die getötete Schlange fortzuschaffen, er spürte nur, daß Lepsius auf etwas ungeheuer Wichtiges gestoßen sein mußte.
»Brugsch, mon ami!« rief Auguste Mariette, daß es über den Bahnsteig hallte. Die Eisenbahn von Alexandria war soeben zischend und prustend eingefahren. Ein wildes Durcheinander von Reisenden, Wartenden, Gepäckträgern und Händlern herrschte; dazwischen zwei Männer, die sich, mit Tränen in den Augen, umarmten.
»Habe ich es nicht gesagt«, wiederholte Mariette immer wieder, »habe ich es nicht gesagt: Sie kommen wieder!« Brugsch nickte verlegen, schob seine Frau Pauline vor sich her und seinen jüngeren Bruder Emil und sagte leise: »Das ist Mariette, mein Freund Mariette.« Der Riese drückte den beiden die Hand, daß es schmerzte, und zu der Frau an seiner Seite sagte er: »Eleonore, mein Freund Brugsch, seine Frau, sein Bruder Emil!«
Mit ein paar Handbewegungen dirigierte der Franzose eine Schar von Lakaien, die sich um das Gepäck der Ankommenden kümmerten. Als sie in das quirlige Leben des Bahnhofsplatzes traten, wo eine eigens für sie geschmückte Kutsche auf sie wartete, meinte Mariette an Pauline gewandt: »Wie schön, daß Sie Ihren Mann begleiten, ohne Sie würde er es wohl nicht lange aushaken.«
»Es war nicht einfach, Pauline zu überzeugen, es kostete meine ganze Überredungskunst«, erwiderte Brugsch, »ich mußte sogar versprechen, auf Ausgrabungen zu verzichten .. .«
Mariette fiel seinem Freund ins Wort: »Aber darüber ist sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen! Wenn Madame Brugsch erst einmal die Pyramiden gesehen hat, Luxor und das Tal der Könige - wird sie ihre Meinung sehr schnell ändern.«
Pauline versuchte zu lächeln. Brugsch fügte hinzu: »Vorausgesetzt, mein Amt läßt mir überhaupt Zeit dazu.« Das Amt, von dem der Preuße sprach, war ehrenhaft, und Heinrich Brugsch hatte keinen Augenblick gezögert, als man ihm antrug, das preußische Konsulat in Kairo zu übernehmen. Er hatte in Berlin alle Zelte abgebrochen, und das vorgesehene Jahresgehalt versprach ihm, Ehefrau Pauline und Bruder Emil ein gesundes Auskommen - Brugsch glaubte das jedenfalls.
»Gewiß werden Sie viel zu tun haben«, meinte Mariette. »Ägypten hat sich sehr verändert seit Ihrer Abwesenheit. Das Baumwollfieber hat Spekulanten aus aller Welt ins Land gelockt. Jetzt, da der ganze Spuk vorbei ist, versucht einer den anderen zu übervorteilen. Sie werden es kaum für möglich halten, die Preise in Kairo stehen kaum hinter Berlin zurück. Früher, Sie wissen es, bezahlten wir mit Piastern, und große Ausgaben kosteten ein paar ägyptische Pfunde, heute könnte man meinen, die Landeswährung bestehe aus Napoleons d'or und englischen Pfunden.«
»Vor allem die Mieten haben eine Rekordhöhe erreicht«, bekräftigte Brugsch, während er seiner Frau in die Kutsche half, »ich mußte für das Konsulat, eine Fünf-Zimmer-Wohnung, umgerechnet 3370 Thaler und 20 Groschen Abstandsgeld zahlen.«
»Ja, sind Sie denn verrückt?« schrie Mariette, »wofür denn?«
»Kein Mensch räumt heute bei dieser Wohnraumknappheit seine Behausung freiwillig; es sei denn, Sie sind bereit, ein sogenanntes Abstandsgeld zu entrichten.« Brugsch hob die Schultern. Die Kutsche näherte sich dem Esbekija-Garten. »Ganze Straßenzüge«, staunte der Preuße, »sind nicht wiederzuerkennen! Wo ist das alte, exotische Kairo?« Und an seine Frau gewandt: »Schau nur, Pauline, ist es nicht beinahe wie in Berlin? Ich glaube, du wirst dich hier wohl fühlen.« Aber Pauline schwieg.
Das angemietete Konsulat lag an der Sharia el-Muski im ersten Stock eines vornehmen Hauses, das auch die Büroräume mehrerer Außenhandelsfirmen beherbergte. Hinter dem von Säulen flankierten Eingangsportal saß ein livrierter Türsteher in einem an der Vorderseite verglasten Holzkasten und wachte über die Ein- und Ausgehenden. »So vornehm logiere ich nicht, mon ami«, meinte Mariette spöttelnd, als er hinter den Deutschen die weiße Marmortreppe mit dem kunstvoll geschmiedeten Gitter emporging. »Dafür gedeiht vor unserem kleinen Häuschen in Bulak jetzt ein entzückender Garten, es wachsen sogar Palmen, Agaven und Kakteen, Eleonores ganzer Stolz.« Madame Mariette faßte Pauline an der Hand und sagte: »Sie müssen uns gleich morgen besuchen. Jetzt, an den lauen Septemberabenden, wenn die Glaslampen zwischen den Palmen leuchten, ist es wirklich ganz bezaubernd. Sie kommen doch?«
»Aber gewiß doch«, versprach Pauline, »ich bin neugierig, den Schmuck der Königin Ahotep zu sehen. Die ganze Welt spricht davon . . .«
»Ich werde Ihnen den Schmuck umlegen, Madame«, erwiderte Mariette, »Sie werden sich fühlen wie eine ägyptische Königin vor mehr als dreitausend Jahren.« Emil, um 15 Jahre jünger als sein Bruder Heinrich, war fasziniert von der Persönlichkeit des hünenhaften Franzosen. Heinrich hatte den Bruder mit nach Ägypten gebracht, um ihn unter Kontrolle zu haben; denn »der kleine Brugsch« - wie er überall genannt wurde - stand stets mit einem Fuß im Gefängnis. Gelernt haue er Kaufmann, aber nach einer undurchsichtigen Betrugsaffäre war er nach Südamerika ausgewandert und hatte sich als Schauspieler durchgeschlagen - ein Lebenskünstler.
Die Wohnung der Familie Brugsch war geräumig und komfortabel möbliert. Der größte Raum gleich neben dem Entree diente als Konsulatskanzlei. Auf Brugsch wartete ein prunkvoller Schreibtisch. Während Lakaien Koffer und Reisekisten heraufschleppten, lehnten Brugsch und Mariette an diesem Schreibtisch und wurden nicht müde, in Erinnerungen zu kramen.