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Konsul Heinrich Brugsch schritt in seiner Kanzlei ruhelos auf und ab, während der Arzt nebenan seiner Frau Pauline eine Spritze gab. Dr. Sachs, ein pensionierter preußischer Militärarzt, der mit den Brugschs befreundet war, kam zur Tür herein und nickte: »Machen Sie sich keine Sorgen, Brugsch, Ihre Frau ist von bester Konstitution, es ist nur die Aufregung. Sie hat panische Angst vor der Cholera.« »Kein Wunder«, entgegnete Brugsch, »mein Sekretär, ein Mann von kaum dreißig Jahren, und unser türkischer Kawaß wurden innerhalb weniger Tage dahingerafft, und der levan-tinische Dragoman hat Hals über Kopf die Flucht ergriffen -wer weiß, ob er noch am Leben ist. Das ist alles ein bißchen viel für Pauline.«

Dr. Sachs sprach betont leise: »Sie müssen ihr nur einreden, daß, wäre sie anfällig für die Cholera, sie diese längst bekommen hätte. Das ist zwar objektiv falsch, aber es nimmt ihr vielleicht die Angst und fördert ein wenig ihren Lebenswillen.«

Brugsch setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und holte tief Luft: »Doktor, wann findet dieses Leid nur ein Ende. Seit Wochen werde ich täglich an das Bett sterbender Landsleute gerufen, um ihren Letzten Willen aufzunehmen. Gleich in den ersten Tagen der Cholera wurden in der kleinen deutschen Kolonie dreißig Menschen dahingerafft. Erst fehlte es an Särgen, jetzt bekommt man nicht einmal mehr einen Leichenwagen. Gestern fuhr ich mit der Leiche eines deutschen Kaufmanns, quer über die Droschke gelegt, zum evangelischen Friedhof.«

»Sie ist eingeschlafen«, sagte Dr. Sachs nach einem Blick ins Nebenzimmer, »der Schlaf wird ihr guttun. Wir müssen jetzt alle sehr stark sein.«

»Und es gibt wirklich kein Mittel gegen diese furchtbare Seuche?« erkundigte sich Brugsch. Dr. Sachs schüttelte den Kopf. »Solange wir den Erreger dieser Krankheit nicht kennen, ist jede Therapie Glücksache. 70 Prozent aller Erkrankten erliegen dem rätselhaften Bazillus; aber auch, wer die Cholera übersteht, ist keineswegs immun.«

Es klopfte. Vassali trat ein. Er schien aufgeregt. »Man sagte mir, daß Dr. Sachs hier sei«, stammelte er, »es ist wegen Madame Mariette, der Chef glaubt, sie hat sich angesteckt!« Brugsch und Sachs sahen sich an, dann sprangen sie auf: »Schnell, eine Droschke! Wir dürfen keine Minute Zeit verlieren. Emil, kümmere dich um meine Frau!« Die Fahrt zur Nillände in Bulak wurde zur Qual, man hätte meinen können, sie durchquerten ein Schlachtfeld. An den Straßenrändern loderten Totenfeuer. Die wenigen Menschen, die zu sehen waren, gingen trotz der Hitze dicht vermummt, jeder mied den anderen. Manche legten sich zum Sterben einfach auf die Straße, sie lagen mit offenen Augen, offenen Mündern am Straßenrand. Kein Mensch wußte, ob noch Leben in ihnen war. Die Leicheneinsammler warfen sie unbesehen auf ihre Karren. Viele noch Lebende mögen so in Massengräber gelangt sein.

Eleonore atmete schwer. Mariette hielt ihre Hand. Er blickte nicht auf, als Brugsch und der Doktor eintraten. »Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind«, sagte er leise, »aber -«, er stockte. Dr. Sachs sah sofort, daß es mit seiner Frau zu Ende ging. Eleonores Lippen trugen blaue Färbung, das Gesicht schien aschfahl, ihre Finger beschrieben kleine, krampfartige Bewegungen.

»Sie hat in ihren Fieberträumen noch nach Osiris, Seth und Isis gerufen«, sagte Mariette mit einem wehmütigen Lächeln, »zwanzig Jahre sind eben eine lange Zeit.« Wortlos legte Brugsch dem Freund eine Hand auf die Schulter. Mariette sah Dr. Sachs fragend an. Der schüttelte den Kopf. Langsam senkte Mariette den Blick. »Merkwürdig«, begann er, »vor zwei Tagen saßen wir noch alle zusammen in der Laube vor dem Museum. Als die Dämmerung niedersank, rief ein Käuzchen vom Gesims über dem Eingang, und Eleonore sagte: >Sollte es einen von uns rufen wollen?< - Erinnern Sie sich, Brugsch?« Während sie sich unterhielten, starb Eleonore Mariette. Sie hatte das Bewußtsein nicht wiedererlangt.

Mehr als ein halbes Jahr wütete die Cholera-Epidemie. Zehntausende gingen elend zugrunde. Ganze Familien, ganze Dörfer wurden ausgerottet. Viele Frauen und Kinder wagten sich erst nach Monaten der Angst wieder aus dem Haus. Zu ihnen zählte Pauline Brugsch, die nach dem Tod von Mariettes Frau einen Schock erlitten hatte. War sie zunächst widerwillig ihrem Gatten nach Ägypten gefolgt, so setzte sie nun alles daran, diesen Aufenthalt so kurz wie irgend möglich zu gestalten, zumindest den ihren. Und als Brugsch seine Frau fragte, ob sie ihn nicht nach Alexandria zum Empfang des türkischen Sultans begleiten wolle, weigerte sie sich entschieden. Nach Alexandria gehe sie nur noch mit vollem Gepäck, um die Heimfahrt nach Berlin anzutreten. Kein Bitten half. So bestiegen denn Brugsch und Mariette allein die Delta-Eisenbahn. Ismail Pascha inszenierte das historische Ereignis mit dem ihm angemessenen Prunk. Seit 3 50 Jahren hatte kein Sultan mehr ägyptischen Boden betreten. Jetzt lagen Teppiche auf dem Weg, den die Kutsche des orientalischen Potentaten vom Hafen zum Bahnhof nahm. Ismail Pascha und die Würdenträger des Landes schritten zu beiden Seiten des goldenen Prunkwagens, unter ihnen Brugsch und Mariette. »Ob er auch weich genug fährt, auf den dicken Teppichen?« spottete der Preuße, und der Franzose amüsierte sich über das würdevolle Gehabe des Sultans: »Wenn er uns nur nicht einschläft!«

Vor dem Bahnhof bildeten die Honoratioren ein festliches Spalier, durch das Ismail Pascha seinen Gast zur Dampfeisenbahn geleitete. Nun aber weigerte er sich, einzusteigen. Abdul Aziz war noch nie Eisenbahn gefahren, und da das Lokomobil sich strikt dem Befehl widersetzte, Schnauben und Zischen einzustellen, erklärte es der Sultan als Teufelswerk und rief nach Pferden. Erst als Ismail beteuerte, Mohammed wäre froh gewesen, hätte er bei seiner Hedschra von Mekka nach Medina ein solches Dampfroß zur Verfügung gehabt, ließ sich Abdul Aziz widerwillig in den Salonwagen schieben.

Der Empfang in Kairo war überwältigend. Seine Untertanen in Konstantinopel begegneten dem Sultan mit gesenktem Blick und gefalteten Händen. Wo immer Abdul Aziz da-gegen in Kairo auftauchte, wurde er von Ägyptern umringt und lautstark bejubelt. Für eine Million Pfund Sterling in bar und die Verdoppelung der Tributzahlungen rang Ismail Pascha seinem hohen Gast weitgehende Unabhängigkeit und den ersehnten Titel Khedive ab. Und da die Verhandlungen sich zäh gestalteten, legte Ismail als letzten Anreiz ein goldenes Speiseservice und hunderttausend Pfund Handgeld darauf. Der Sultan revanchierte sich mit der Erlaubnis, daß Ismail sich fortan »Hoheit« nennen dürfe. Von weit größerer Tragweite war die Änderung des Erbfolgegesetzes, das Ismail ältesten Sohn Taufik zum Nachfolger bestimmte. Nach altem Recht wären Ismails Bruder Mustafa Fadel und sein Onkel Abdul Halim die Thronerben gewesen. Doch den einen haßte der Khedive, den anderen fürchtete er. Jetzt endlich war die Welt des Paschas in Ordnung. Sein Oberherr Abdul Aziz trat die Heimreise auf der ägyptischen Fregatte »Feizi Gehad« an. Beim Abschied im Hafen von Alexandria wünschte Ismail Pascha dem scheidenden Gast eine angenehme Seefahrt, das Schiff könne er selbstverständlich behalten - als Souvenir.

Die beiden konnten sich um alles in der Welt nicht leiden; sie waren sich einfach zu ähnlich. Nicht äußerlich - da unterschieden sie sich sehr: der hünenhafte Mariette, ein dunkler Typ, mit kantigem Gesicht, Kinn- und Backenbart, auch in seiner Kleidung von einem arabischen Scheich kaum zu unterscheiden. Richard Lepsius dagegen schlank, beinahe zierlich, das dichte silbrige Haar korrekt zurückgekämmt, auf der Nase eine kleingerandete Schubertbrille, auch im Wüstensand stets korrekt gekleidet, mit Stehkragen und Schleife - ein Preuße eben.

Nein, die Ähnlichkeit lag in ihrem Schicksaclass="underline" Jeder hielt sich selbst für den größten Altertumsforscher der Gegenwart, und in der Tat war jeder eine Koryphäe, trug einen weltbekannten Namen, wurde von Kaisern und Königen ho-fiert, stand einem Museum mit unermeßlichen Schätzen vor. Für zwei derartig qualifizierte Männer war - so schien es -kein Platz in Ägypten.