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»Und es gibt keine Möglichkeit, sie umzustimmen?« Heinrich Brugsch blickte in die blaurote Glut der leuchtenden Fensterscheiben und sagte: »Da müssen Sie Pauline fragen, mon eher, sie ist abgereist.« Sie schwiegen eine Weile, bis Mariette von neuem begann: »Ich glaube, Elenores Tod hat sie sehr mitgenommen . . .« »Jedenfalls stand von diesem Zeitpunkt an fest, daß sie nicht mehr in Ägypten bleiben wollte. Sie lebte in der Angst, ein ähnliches Schicksal zu erleiden, und alle Beteuerungen, ich würde das Konsulat in nächster Zeit ohnehin aufgeben, fruchteten nicht.« »Ihr Entschluß ist unabänderlich?« »Was bleibt mir anderes übrig? Das konsularische Amt ist sicher eines der ehrenvollsten, es erfüllt seinen Träger mit Stolz, besonders in Kriegszeiten wie jetzt, der Vertreter eines großen und mächtigen Staates zu sein; aber Repräsentation und gesellschaftliches Leben erfordern einen hohen finanziellen Aufwand, der durch die Besoldung nicht im entferntesten gedeckt wird. Mit dem Geld von Said Pascha wollte ich mir einmal eine Zukunft aufbauen, vielleicht ein Haus kaufen oder privaten Studien nachgehen, heute muß ich eingestehen, daß das Geld nicht nur aufgebraucht ist, ich habe sogar Schulden gemacht. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht einmal, wovon ich die Überfahrt bezahlen soll . . .« In diesem Augenblick wurden die Flügeltüren der Roten Halle aufgerissen, und umgeben von einer Schar rot livrierter Diener trat der Khedive ein. Der dicke, ältliche Potentat wirkte in seinem schwarzen Bambouli beinahe wie ein Fremdkörper.

»Es lebe Preußen!« rief er in französischer Sprache, als er Heinrich Brugsch erkannte. Brugsch errötete. »Tapfere Soldaten!« meinte Ismail und verdrehte das linke Auge, während das rechte geschlossen blieb. »Königgrätz, ein stolzer Sieg der Preußen.«

Heinrich Brugsch bedankte sich artig für das Kompliment, fügte hinzu, daß die Preußen bereits vor Wien stünden, Bismarck strebe jedoch einen Frieden mit Österreich und den Südstaaten an.

»Er wird ihn bekommen«, sagte der Khedive und kam dann auf den Grund der Audienz zu sprechen: »Ägypten ist ein Land mit Vergangenheit und mit Zukunft. Und ich will mein Land auf der Weltausstellung in Paris aller Welt präsentieren. Wir Ägypter wollen Bedeutenderes zeigen als der Sultan von Konstantinopel und Kunstvolleres als der Bey von Tunis, und Sie beide sollen mir dabei auf Ihrem Gebiet behilflich sein.«

Ein Diener reichte Pläne, und Ismail versuchte, sie zu erklären. Ferdinand de Lesseps demonstrierte Pläne und Modelle des Suezkanals. Eine Karawanserei und Werkstätten ägyptischer Handwerker sollten den Zauber des Orients vermitteln. Mit Freude habe er Mariettes Idee aufgegriffen, den westlichen Tempel der Insel Philae als Rekonstruktion zu erstellen und im Innern Mumiensärge und den Schmuck der Königin Ahotep auszustellen. Der Vizekönig versprach, es an nichts fehlen zu lassen, Architekten, Ingenieure und Handwerker stünden bereit, um mit Mariette nach Paris zu reisen.

»Und Sie, mein lieber Monsieur Brugsch«, wandte er sich an den Preußen, »wollen Kairo für immer verlassen?« »Leider, Hoheit«, sagte Brugsch bedauernd. »Er wird wiederkommen«, meinte Mariette, »es wäre ja nicht das erste Mal . . .«

VI. Weltausstellung in Paris

Man hätte meinen können, Mariettes ägyptischer Tempel und der orientalische Palast des Khediven wären von all den Wundern der Technik verdrängt worden, aber im Gegenteiclass="underline" Zwischen Aufsehen erregendem Fortschritt und in die Zukunft weisenden Erfindungen war der altägyptische Tempel mit dem Grabschatz der Königin Ahotep und den Mumien die eigentliche Sensation.

Als nach über vier Stunden der Vorhang endlich fiel, sparte das verwöhnte Pariser Opernpublikum nicht mit Buhrufen. Am meisten aber kränkten den silberhaarigen Dirigenten die Zwischenrufe: »Wagner! Wagner!« Giuseppe Verdi verneigte sich höflich und verfluchte insgeheim das Publikum und seinen Agenten, der ihn überredet hatte, für die Pariser Weltausstellung eine große Oper mit Ballett und monumentalen Aufmärschen nach Schillers Schauspiel Don Carlos zu komponieren. Auguste Mariette und Heinrich Brugsch, die das Opernspektakel von einer Seitenloge verfolgt hatten, waren uneins in der Beurteilung. Der Franzose kritisierte, das Libretto sei verfälscht und das Stück viel zu lang, der Deutsche meinte, ein Wagner werde Verdi nie! Paris hatte Gesprächsstoff -zumindest für eine Nacht.

In dieser Nacht vom n. auf den 12. März 1867 gab sich tout Paris im Grandhotel am Boulevard des Capucines, nur wenige Schritte von der Oper entfernt, ein Stelldichein. Der Hotelpalast mit seinen 700 Zimmern, 60 Kellnern, 30 Köchen und einer Armada von Portiers, Stubenmädchen und Hausdienern, eigenem Telegrafenbureau, Postamt, Rohrpost, Friseursalon, Optiker und Schneideratelier galt als feinste Adresse. Undenkbar, daß sich in eines der fünf Stockwerke mit den Seitenflügeln Quartier de Scribe, Quartier de Boulevard und Quartier de l'Opera eine jener ebenso reizenden wie willigen Damen verirrt hätte, derenthalben ältere Herren gelegentlich nach Paris fuhren. Wer hier einer stattlichen Karosse entstieg und die breiten Sandsteinstufen auf persischen Teppichen zur glasgedeckten Halle emporschritt, wo Plafondmalereien mit Samt und Gold, Marmor und Mahagoni abwechselten, der zählte zu den Großen dieser Welt oder zumindest zur Pariser Hautevolee. Mariette konnte für sich in Anspruch nehmen, beiden anzugehören. Selbstsicher im Frack und Zylinder, seinen Freund Heinrich Brugsch untergehakt, betrat er die Halle. Henri de Pene begrüßte die beiden überschwenglich. Die Pariser kannten ihn als Schriftsteller und fürchteten ihn als Duellanten. Er gab die Gazette des Etrangers heraus, eine täglich erscheinende amüsante Hotelzeitung, die den Gästen frühmorgens unter der Zimmertüre hindurchgeschoben wurde und gehörte selbst zum lebenden Inventar des Grandhotels. »Monsieur le Directeur«, verbeugte de Pene sich höflich, »was macht der Tempel?«

Mariette, der sich auch außerhalb seines Wirkungsbereiches nur allzugerne als »Monsieur le Directeur« titulieren ließ - im Grandhotel waren Titel schließlich alles -, Mariette nahm den Zylinder vom Kopf, streifte die weißen Glacehandschuhe von den Fingern und sagte: »Bis zur Eröffnung der Weltausstellung in sechs Wochen steht der Tempel, in alter Pracht«, und als er de Penes ungläubiges Lächeln sah, fügte er hinzu: ». . . und wenn ich selbst Hand anlegen muß. - Meinen Freund Brugsch kennen Sie ja.«

»Bedauere sehr. Ich hatte noch nicht die Ehre . . .« »Dann haben Sie sie jetzt.«

Die beiden Herren tauschten Komplimente aus, sprachen über die mißlungene Opernpremiere und kamen schließlich auf das Thema Nr. 1 in diesen Tagen zu sprechen, die Verzögerung der Bauarbeiten für die Weltausstellung. Das elende Frühlingswetter hatte den Arbeitern aus aller Welt einen Strich durch die Rechnung gemacht, später Schnee und Regen hatten das erst im Vorjahr aufgeschüttete Erdreich auf dem Marsfeld in eine Schlammwüste verwandelt, in der die Transportwagen mit dem oft Tonnen schweren Ausstellungsgut steckenblieb und erst in stundenlanger Arbeit freigeschaufelt werden konnten. Mariette litt unter diesen Transportproblemen besonders, denn die Rekonstruktion des westlichen Philae-Tempels samt einem haushohen Pylon und einer Allee von zehn Sphingen erforderte die Anlieferung kolossaler Blöcke. Zum Glück hatten die Organisatoren der Ausstellung Eisenbahngeleise bis in das Zentrum des Marsfeldes verlegt; aber die Anforderungen, die der Transport an Ort und Stelle verursachte, erwiesen sich als aufwendig genug.

Henri de Pene sagte: »Man hört, Sie bedienten sich der Transportmittel, wie sie die alten Ägypter gebrauchten?« »Wir wären dumm«, antwortete Mariette, »wenn wir unsere Erkenntnisse in diesem Fall nicht anwenden würden. Die Pharaonen verwendeten Rollen, wenn sie den tonnenschweren Assuan-Granit vom Nil in die Wüste transportierten. Abgesehen davon, daß sie den Wagen als Transportmittel in ihrer Frühzeit noch gar nicht kannten, im Wüstensand wäre er nutzlos gewesen. Mit Hilfe der Rollen zogen sie aber selbst gewaltige Steinkolosse durch die Wüste. Zwischen dem fließenden Sand der Libyschen Wüste und durchweichtem Erdreich des Marsfeldes ist technisch gesehen kein Unterschied . . .«