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»Das ägyptische Areal liegt, soweit ich mich erinnere, oh-nehin günstig, nahe dem Quai d'Orsay und dem Haupteingang.«

»Wir sind zufrieden«, antwortete Mariette, »der Palast des Paschas und der Tempel werden gewiß das Interesse des Publikums finden. Wer hat heute schon die Zeit und das Geld für eine Ägyptenreise!«

»Und es ist richtig, daß Sie originale Mumiensärge und den Schmuck einer altägyptischen Königin ausstellen?« »Gewiß. Die Schätze befinden sich bereits in Paris. Aber Sie werden verstehen, daß ich Ihnen nicht sage, wo.« Brugsch beobachtete während des Gesprächs das flanie -rende Abendpublikum und kam sich in seinem abgetragenen Frack etwas armselig vor. Trugen die Herren vorwiegend Schwarz und konservativ, so wirkten die Damen extrem modisch in ihren gerafften und gerüschten Abendroben, die -neuester Auswuchs extremer Modetollheit - nicht mehr bis zum Boden reichten, sondern bisweilen bis zur Wade gerafft, den Blick auf rote Stiefelchen freigaben. Rote - wohlgemerkt, nicht weiße oder schwarze! Vorwiegend rot waren auch die Haare der Damen, zumindest aber rotblond. Keine Dame der Gesellschaft konnte es sich in diesen Tagen leisten, brünettes oder schwarzes Haar zu tragen, es mußte rot sein und nach chinesischem Vorbild zu einem Chignon geformt. Für Messieurs hingegen erwies sich das kurze spanische Backenbärtchen als nahezu verbindlich. Tagsüber auf den Boulevards, in den Cafes, im Bois und um die Madeleine, promenierten die Pariser weit verwegener: die Herren in engen Pantalons von preußischem Militärschnitt, schmalgeschnittenen kurzen bis zum Ende des Rückgrates reichenden Jacketts, auf dem Kopf den russischen Mudschicks-Hut. Die Damen, oder jene, die sich dafür hielten, erschienen zur Promenade in kurzem, engem, unterhalb des Knies gezacktem Seidenrock, unter dem Strümpfe und Stiefelchen sichtbar wurden, an denen herausfordernde Troddeln baumelten, quel scandal!, um die Aufmerksamkeit noch mehr auf das zierliche Fußgelenk zu ziehen. Dazu über engem Mieder ein kurzes Jäckchen bis zur Taille, ein breiter Hut und zugeklappter Regenschirm. »Und wie gefällt Ihnen Paris?« fragte Henri de Pene den preußischen Begleiter Mariettes, als errate er dessen Gedanken.

Brugsch wurde verlegen: »O doch, sehr gut. Ich kenne Paris schon von meinen Studienjahren. Ein Berliner wie ich bekommt in Paris immer Minderwertigkeitskomplexe.« Er lachte.

»War es nicht Alexander von Humboldt, der einst sagte, nur in Paris könne man arbeiten?« »Das ist richtig«, antwortete Brugsch, »aber Humboldt dachte dabei natürlich an die zahlreichen Akademien, an die Wissenschaftsvereine, Museen, Bibliotheken und Institute, die so viel Bildungsgut und Wissen vereinigen.« »Und sicher auch an die große Zahl hervorragender Männer und Gelehrten«, unterbrach de Pene, der in die Runde blickte und eifrig Namen notierte. »Wissen Sie«, sagte er ohne aufzusehen, »in Paris feiert die Eitelkeit wahre Triumphe, und ein Chroniqueur wie ich lebt von nichts anderem als von dieser Eitelkeit. Keine Zeitung kann es sich heute noch leisten, auf den Chroniqueur zu verzichten. Wer eine Soiree gibt, verlangt, daß morgen alle Zeitungen darüber berichten, vor allem aber, daß alle Besucher von Rang Anspruch haben, namentlich erwähnt zu werden, und stets mit dem Zusatz: rien de plus noble oder plus spirituel.«

Heinrich Brugsch, dem derlei aus Berlin unbekannt war, staunte: »Dann müssen Sie ja ganz Paris dem Namen nach kennen!«

»Aber keine Frage, mon eher! Eine Flasche Champagner für jeden hier in der Runde, dessen Name mir nicht geläufig ist!«

Der Preuße blickte sich listig lächelnd um, sah de Pene an und entschied sich schließlich für zwei leicht verwegen drein-blickende Männer, die vor einer Spiegelwand mit theatralischen Handbewegungen gestikulierten: »Wer sind diese beiden?«

Henri de Pene machte eine abfällige Handbewegung: »Zwei verrückte Maler. Der ältere heißt Gustave Courbet. Er sollte eigentlich Pfarrer werden, aber dann fing er an zu malen. Auf der letzten Weltausstellung 1855 wollte er hundert Bilder ausstellen, und als dies abgelehnt wurde, zimmerte er eine eigene Baracke und nannte sie Pavillon du Realisme. Seither fühlt er sich als Revolutionär und verlangt von der Regierung, sie solle die aus 1200 erbeuteten Kanonen gegossene Säule von Austerlitz auf der Place Vendome einreißen -ein Verrückter.« »Und der andere?«

»Der andere heißt Edouard Manet. Manet will es dem Alten gleichtun. Er gehört zu einer Malerclique, die sich im Cafe Guerbois in der Avenue Clichy trifft, er malt vorwiegend Pikanterien. Eine nackte Dame mit zwei bekleideten Männern nannte er >Frühstück im Grünen<. Das Bild wollte er sogar öffentlich ausstellen, und seine nackte >Olympia< wollte Manet auf dieser Weltausstellung zeigen. Natürlich wurde sie abgelehnt. Jetzt baut er ebenfalls eine eigene Baracke, um 50 seiner Pikanterien vorzuführen . . .« »Kompliment, Monsieur!« sagte Brugsch anerkennend. »Es scheint, Ihnen entgeht tatsächlich nichts in dieser faszinierenden Stadt.«

De Pene ließ den Blick über die Repräsentanten des vornehmen Pariser Lebens schweifen, nickte bisweilen freundlich mit dem Kopf und sagte dabei: »Wissen Sie, jeder hier trägt seine Geschichte mit sich herum und ist froh, wenn er sie Ihnen erzählen kann. Ich kann sehr gut zuhören.« Aus dem benachbarten Ballsaal drang Musik. Das Orchester spielte Offenbach.

»Monsieur du Locle, Monsieur du Locle!« Henri de Pene hielt einen kleinen Mann am Ärmel fest, der gerade an ihm vorbeihuschen wollte. »Wo bleibt Giuseppe Verdi?« Camille du Locle drehte sich um, trat an de Pene heran und sagte leise: »Der Maestro ist sehr ungehalten über das Pariser Publikum, er hat sich entschlossen, morgen in aller Frühe die Stadt zu verlassen. Er sei kein Komponist für die >Grande Boutiques so nennt er Ihr Opernhaus.« »Voila«, sagte de Pene, »das ist eine Sensation!« Und an Brugsch und Mariette gewandt: »Ich darf Sie mit Monsieur du Locle bekannt machen. Er schrieb das Libretto zu Verdis Oper Don Carlos.»

Mariette, der kurz zuvor die Textfassung der Oper kritisiert hatte, lobte nun plötzlich das Libretto geradezu pathetisch. Brugsch kannte seinen Freund Auguste genau, und so wartete er gespannt, welchen Zweck Mariette damit verfolgte. Das Rätsel löste sich schnell. »Ich habe da eine Geschichte geschrieben«, bemerkte Ma-riette, »sie spielt zur Zeit der Pharaonen und handelt von der unglücklichen Liebe der Königstochter Aida zu dem Feldherrn Radames. Ismail Pascha, dem ich das Werk zugeeignet habe, meinte, es sei es wert, von einem der besten Komponisten in Musik gesetzt zu werden. Der Khedive dachte an Gounod, Wagner oder Verdi . . .« »Interessant.« Camille du Locle dachte nach: »Für diesen Stoff gibt es doch nur einen Komponisten, und der heißt Verdi! Sie sollten mich einmal einen Blick in das Manuskript werfen lassen.«

»Der ägyptische Vizekönig ist ein großer Opernfreund«, fügte Mariette hinzu, »er baut gerade in Kairo ein großes Opernhaus. Es soll zur Eröffnung des Suezkanals eingeweiht werden. Verdi könnte Weltruhm erlangen, würde er für dieses Ereignis eine ägyptische Oper schreiben. Und Sie, Monsieur, sollten das Libretto liefern!« Henri de Pene sah du Locle fragend an: »Wie stehen die Chancen für dieses Projekt, was glauben Sie, mon eher?«

Der Textdichter verzog das Gesicht zu einer Grimasse und sagte gequält: »Das kommt natürlich auf die Bedingungen an ..,«

Mariette fiel ihm ins Wort: »Für die Großzügigkeit des Khediven kann ich mich verbürgen.« Als er den fragenden Gesichtsausdruck des Altertumsforschers sah, sagte de Pene: »Ich glaube, wir sind Monsieur Mariette und unserem Freund aus Berlin eine Erklärung schuldig. Sie müssen wissen: Jedes Opernhaus hat seine eigenen, ungeschriebenen Gesetze, die der Komponist zu respektieren hat. Und die Pariser Oper hat ganz besondere Gesetze. Wagner weigerte sich, seinen Tannhäuser umzuarbeiten und das Ballett im zweiten Akt auftreten zu lassen. Das Ergebnis: Tannhäuser fiel durch und wurde nach der dritten Aufführung zurückgezogen.«