Die drei Männer waren inzwischen damit beschäftigt, die Mädchen prüfend zu betrachten. Diese würdigten die Männer keines Blickes. Blieben sie vor einer Frau stehen, dann trat der Sklavenhändler hinzu, öffnete den Sack am Hals, streifte ihn ab und präsentierte das armselige Geschöpf nackt wie Allah es geschaffen hatte. Die meisten ließen diese Prozedur gleichgültig über sich ergehen; nur eine Frau mit wirren krausen Haaren spuckte bei dem Versuch, ihren Sack zu öffnen, dem Dicken ins Gesicht, der sofort mit seiner fetten rechten Hand zurückschlug.
Natterer blieb vor einem jungen Mädchen stehen. Mit gespreizten Fingern bedeutete der Händler, daß sie erst vierzehn sei, dann öffnete er den Sack, und heraus stieg ein gazellenhaftes, bronzefarbenes Geschöpf mit zierlichen zarten Körperformen. Das Mädchen lächelte. »Diese und keine andere!« rief Dr. Natterer entzückt und strich der Kleinen mit der Hand über die Wange. Er musterte den makellosen Körper von oben bis unten und meinte dann: »Sie wird es gut bei mir haben.« Der nun einsetzende Handel wurde lautstark geführt und erstreckte sich beinahe über eine Stunde. Bei hundert Maria-Theresia-Thalern gaben sich schließlich beide Seiten zufrieden, und Natterer erhielt noch ein langes Kleid für seine Erwerbung als Dreingabe. Weniger aus Höflichkeit als aus Angst, sie könnte weglaufen, setzte der Österreicher die Kleine auf seinen Esel, so strebten sie gemächlich dem »Hotel d'Orient« zu.
»Sie wissen«, begann Brugsch unterwegs, »daß Sie mit diesem Handel eine schwere Verantwortung auf sich genommen haben.«
Natterer blickte Brugsch verwundert an. »Wie meinen Sie das?« fragte er im Gehen.
»Nun, Sie müssen vor Ihrem Konsul eine Erklärung abgeben, daß Sie an dem Kind die Elternstelle vertreten wollen und für eine angemessene Schulbildung sorgen werden.« »Elternstelle?« Natterer lachte. »Was heißt hier Elternstelle!« Er gab der Kleinen einen zärtlichen Klaps. »Das hier ist nicht meine Tochter, das ist meine künftige Frau!« Es wurde eine turbulente Nacht, in der Brugsch, der das Hotelzimmer neben Natterer bewohnte, kaum Schlaf finden konnte. Da ihm Baron v. Pentz ein Zimmer in seiner großen Wohnung angeboten hatte, zog Brugsch am nächsten Morgen um in das preußische Konsulat an der Muski-Straße.
Die Grabungsstelle mitten in der Wüste war nicht zu übersehen. Die Trikolore, wenngleich seit der letzten Sprengung etwas zerzaust, wies von weitem den Weg. Nach vierstündigem Ritt hielt Brugsch vor dem abenteuerlichen Lehmziegelbau an, den Mariette während der Grabungen errichtet hatte. Das Gebäude machte einen derart verfallenen Eindruck, daß Brugsch zunächst glaubte, es handele sich um einen alten Stall und schon weiterreiten wollte. Mehr als zwei Dutzend Affen tobten um das Haus, saßen auf dem flachen Dach oder sprangen durch die offenstehenden Fensteröffnungen. Der Anblick des Fremden versetzte sie in Erregung, sie tobten wie wild um das Haus und stießen hohe quiekende Schreie aus. Da ging die Tür auf. »Ich bin Dr. Brugsch aus Berlin!« stammelte der Preuße, als er sich unvermittelt Mariette gegenübersah. Die Resignation in den harten Zügen des bärtigen Mannes wandelte sich augenblicklich in sprühende Heiterkeit, und seine Augen blitzten: »Brugsch! Ich habe viel von Ihnen gehört! Kommen Sie herein!« Er streckte dem Fremden seine große Hand entgegen und zog ihn durch die Tür. Die Innenwände des Hauses unterschieden sich in keiner
Weise von den Außenwänden. Es waren rohe, ungebrannte, dreitausend Jahre alte Lehmziegel. »Sie stammen aus dem Serapis-Tempel«, meinte Mariette beiläufig, der den staunenden Blick des Gastes bemerkte. Drei Zimmer waren nach vorne gerichtet, Küche, Ruheraum und Vorratskammer befanden sich der Kühle wegen im rückwärtigen Teil des Hauses. Ein Wildschwein und eine Gazelle lebten wie Haustiere. Von der Decke hingen Spinnweben, am Boden huschten Eidechsen. Man merkte, daß dieser Mann nun schon dreißig Monate in dieser gottverlassenen Wüste hauste, nur von dem einen Gedanken besessen, dem Sand die letzten Schätze zu entreißen.
Deshalb brach Brugsch auch nicht gerade in Begeisterungsrufe aus, als Mariette ihm, nach kurzem Austausch gegenseitiger Komplimente, empfahl, unter seinem Dach zu wohnen. Da er schon die Einladung des preußischen Generalkonsuls angenommen habe, könne er jetzt nicht gut dessen Gastfreundschaft mißachten.
»Ach?« meinte der Franzose, »meine Behausung ist Ihnen wohl nicht gut genug?«
»Doch, doch!« versicherte Brugsch, »vor allem die Nähe zu den Altertümern ist geradezu verlockend.« »Wenn Sie sich für meine Grabung interessieren, können Sie nicht täglich vier Stunden her- und vier Stunden zurückreiten.« Während er redete, griff Mariette vorsichtig zu seiner Schrotflinte, die geladen auf dem Tisch lag. Ein Knall -und vor ihnen am Boden wand sich eine Schlange in den letzten Zügen. Ohne auf den Vorfall einzugehen, fuhr Mariette fort: »Zusammen wären wir ein gutes Gespann. Ich mag ein guter Ausgräber sein, aber meine Schriftenkenntnisse sind bescheiden. Ihnen dagegen geht der Ruf voraus, der beste Schriftenexperte der Gegenwart zu sein. Also zieren Sie sich nicht länger, nehmen Sie morgen die Maultiere und holen Sie Ihr Gepäck. Einverstanden?«
Brugsch sah mit Entsetzen, wie das zahme Wildschwein die zerfetzten Schlangenreste verzehrte, und wagte nicht zu widersprechen. Wenn die Chance bestand, an irgendwelche Funde heranzukommen, dann war es hier. In diesem Augenblick trat Bonnefoy ein. »Mon ami Monsieur Brugsch aus Berlin«, stellte der Ausgräber seinen Gast vor. »Ah, Monsieur ist Preuße«, antwortete der Assistent verblüfft.
Darauf Mariette: »Gewiß! Aber ein Preuße nach meinem Herzen!« Und damit war das Thema ein für allemal erledigt. »Bonnefoy«, sagte Mariette und machte eine Verneigung vor Brugsch, »wir wollen unseren Freund heute abend im Serapis-Tempel würdig empfangen.« Und dabei zwinkerte er mit einem Auge.
»Ich verstehe«, antwortete dieser, »ich werde das Nötige veranlassen«, drehte sich um und verschwand.