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ges, meldeten die Zeitungen: »Die späten Enkel werden davon reden: Der Sultan des Osmanischen Reiches kommt!« Nach den Gesetzen des Islam, so war zu lesen, dürfe der Sultan sein Reich eigentlich niemals verlassen - es sei denn als Eroberer an der Spitze einer siegreichen Armee. Wunderdinge erzählte man hinter vorgehaltener Hand über den Fürsten aus dem Orient. Unsagbar reich sollte er sein, Brillanten tragen von siebzig Karat, Frauen haben, für jeden Tag mehrere, Grausamkeit wurde ihm nachgesagt und faszinierende Häßlichkeit.

Die Weltausstellung hatte den Geschäftssinn der Pariser ins Unermeßliche gesteigert. Vermieteten sie bislang den müden Besuchern Stühle zum Preis von zwei Sous, so verkauften sie nun zum Empfang des Sultans ihre Fenster zum Mindestpreis von zwei Francs - vorausgesetzt natürlich, sie lagen am Weg, den die Kutsche nahm. Die Rue de Rivoli hinauf zu den Tuilerien hingen die Menschen aus den teuer erkauften Fenstern, sie standen auf selbstgezimmerten Gerüsten und Leitern und rauften sich um eine Gaslaterne. Überall Fahnen, der weiße Halbmond auf rotem Grund, aber auch die russischen und preußischen Farben; denn aus Courtoisie ließ man die Fahnen jener Länder hängen, deren Monarchen bereits zu Besuch gekommen waren. Zu beiden Seiten der Straßen hielten Soldaten die schiebenden, drängenden Menschenmassen zurück. Zwei Stunden später als angekündigt, nahten sich endlich die GardeUlanen, gefolgt von einer farbenprächtigen Hundertgarde. Und dahinter kam er - wie enttäuschend - zweispännig schlicht in einer offenen Kutsche, rechts neben Kaiser Napoleon, Sultan Abdul Aziz, mittelgroß, bleichgesichtig mit schwarzem Vollbart, im dunklen Gehrock, den roten Fez auf dem Kopf. Ihnen gegenüber saßen Prinz Napoleon und der türkische Außenminister Fuad Pascha. In neun Hofwagen folgte ein Heer von Begleitern. Kaiserin Eugenie hieß den illustren Gast an der großen Haupttreppe der Tuilerien willkommen, dirigiert von vier himmelblau gekleideten Zeremonienmeistern, im Spalier acht rotlivrierter Kammerherren. Zum Elyseepalast, wo der Sultan Wohnung nahm - zuvor hatte hier Zar Alexander logiert -, ging der Zug durch den Tuilerien-Park über die Place de la Concorde und die Champs-Elysees.

Der Moniteur berichtete, im sogenannten silbernen Saal, dessen Einrichtung noch von Napoleon I. stammte, habe man in der Mitte ein Marmorbecken samt Springbrunnen für die täglichen Waschungen installiert, die der islamische Glaube dem Sultan vorschreibe. Das große Spektakulum, als Fest des Friedens angekündigt, fand tags darauf im Industriepalast auf dem Ausstellungsgelände statt. Zwanzigtausend Menschen, ausgewählt nach Rang oder persönlichem Verdienst, fieberten dem Eintreffen des Sultans entgegen. Er erschien zu den Klängen einer Friedenshymne, die ein Orchester von 800 Musikern intonierte. »Paix sur la terre!« erscholl aus den Kehlen von 600 Sängern, als sich vom gewölbten Glasdach der eisernen Halle die Flaggen der teilnehmenden Nationen entrollten. Sultan Abdul Aziz betrat den Prachtbau Arm in Arm mit Kaiserin Eugenie, gefolgt von Kaiser Napoleon. Einfach wie am Vortag war die Kleidung des Sultans, ein schwarzer Oberrock mit engen Beinkleidern, roter Fez, an der linken Seite ein krummer Säbel in goldener Scheide. Abdul Aziz trug nicht einmal Handschuhe. Das weiße Schleppkleid der Kaiserin Eugenie aus Atlas und Samt war mit Perlenschnüren besetzt und glitzerte mit dem Perlen-Diadem im Haar um die Wette. Zur Feier des Anlasses hatte Eugenie das berühmte Collier des Kronschatzes mit dem »Regenten« angelegt. Napoleon selbst wetteiferte mit seinem orientalischen Gast in der Schlichtheit der Garderobe, der Kaiser trug einen einfachen dunklen Gehrock.

Diesem Dreigestirn folgten die Kronprinzen von England, Preußen, Italien und Sachsen, der türkische Thronfolger, Prinz Napoleon und Ismail Pascha. Danach Prinzen und Prinzessinnen, Hofdamen, Kammerherren und Diplomaten - unter ihnen Auguste Mariette und Ferdinand de Lesseps. »Ich könnte mir vorstellen«, flüsterte Mariette seinem Nachbarn zu, »daß Ismail Pascha blaß vor Neid ist, wenn er diesen pompösen Aufzug betrachtet.« »Zumindest wird er nicht ohne Wirkung bleiben. Der

Khedive hat sich ja für die Eröffnung des maritimen Kanals einiges vorgenommen und auf seiner Europareise fleißig Einladungen verteilt. Kaiser Napoleon hat schon zugesagt. Es würde mich nicht wundern, wenn Ismail Pascha versuchen würde, das heutige Spektakel noch in den Schatten zu stellen.«

Mariette war etwas skeptisch. »Ägypten ist nicht Paris«, raunte er, »aber Paris ist auch nicht Ägypten«, meinte Les-seps.

»Sie mögen recht haben«, meinte Mariette schließlich, »die Sache mit der Eröffnungsoper ist übrigens perfekt. Verdi wird sie komponieren.« »Nach Ihrer Vorlage? - Gratuliere!« »Du Locle wird meine Aida-Geschichte in eine Textvorlage umarbeiten.«

»Sie werden in die Musikgeschichte eingehen, mon eher!« Lesseps schmunzelte.

Mariette erwiderte: »Mir würde es genügen, wenn ich mir bei der Entdeckung der Geschichte Ägyptens einen Namen machte. Aber - unter dem Siegel der Verschwiegenheit - wissen Sie, was der Maestro fordert? - 150000 Goldfrancs. Der Khedive mußte die Summe bei der Pariser Rothschild-Bank hinterlegen. Und nach der Aufführung in Kairo gehen die Weltrechte an Verdi zurück!« »Kompositeur müßte man sein!« sagte Lesseps leise. Der Kaiser hielt eine immer wieder von tosendem Beifall und Bravorufen unterbrochene, emphatische Friedensrede, die mit den Schlußworten endete: »Die Vorsehung segnet stets diejenigen, die das Gute wollen.« Die stehende Ovation des vieltausendköpfigen Publikums weckte auch den Sultan wieder, der, wie einige argwöhnten, während der kaiserlichen Rede eingeschlafen war. Bei der anschließenden Ordensverleihung wurde Ferdinand de Lesseps mit dem Kommandeurskreuz bedacht, Mariette war mit 46 Jahren für derlei Ehren wohl noch zu jung.

Aufsehen erregten drei Deutsche: Dem weißbärtigen Stahlfabrikanten Alfred Krupp aus Essen verlieh der Kaiser das Ritterkreuz, der Historienmaler Wilhelm von Kaulbach und der Genremaler Ludwig Knaus wurden mit dem Offizierskreuz der Ehrenlegion dekoriert. »Wo ist eigentlich Ihr preußischer Freund Brugsch?« erkundigte sich der Kanal-Direktor. »Oh, diese Preußen!« schimpfte Auguste Mariette, »alles war schon perfekt! Napoleon hätte Brugsch die französische Staatsbürgerschaft verliehen, er wäre Professor am College de France geworden. Aber dieser Lepsius machte alles wieder zunichte. Ein Preuße dürfe sein Vaterland nicht preisgeben. Besser ein hungernder Preuße als keiner. Armer Henri!«

VII. Achmed, der König der Grabräuber

Vermeintliche Türen, schattenhafte Gestalten erwiesen sich beim Näherkommen als kantige Felsvorsprünge. 30 Meter mochte er hinter sich gebracht haben. Hier tief im Felsengebirge von Der el-Bahari erschien es ihm, als sei er seit Stunden unterwegs. Immer die Ungewißheit, die Angst, der Boden könnte sich öffnen, ihn verschlingen, die Wände könnten einstürzen, ihn begraben, ein gewaltiger Steinblock könnte aus der Decke stürzen, ihn zermalmen.

Achmed Abd er-Rassul aus Schech abd el-Kurna schien ein besonderer Liebling der Götter Ägyptens zu sein. Das Haus seiner Eltern in dem Dorf gegenüber von Luxor war mit einem ungewöhnlichen Kellergeschoß ausgestattet: Man hatte es über ein weiträumiges Grab aus der 21. Dynastie gebaut, das, so betonten die Abd er-Rassuls standhaft, zur Zeit des Neubaues bereits ausgeraubt war. Mag sein; Tatsache ist, daß die meisten Häuser von el-Kurna einen pompösen Keller mit kostbaren Reliefs und alten Malereien haben. Achmed war der mittlere von drei Brüdern, die - zusammen - das ideale Grabräuber-Team darstellten: Mohammed, der Älteste, stand in Diensten des Konsuls Mustafa Aga Ayat in Luxor; Soliman, der Jüngste, verdingte sich als Hehler und Antiquitätenschmuggler; und Achmed verbrachte seine Zeit vor allem damit, mutterseelenallein durch das Tal der Könige zu streifen, jeden Felsspalt in Der el-Bahari zu inspizie-ren und unter dem antiken Bauschutt von Der el-Medina zu wühlen.