Bunte Zelte mit kalten Büffets, unter denen sich die Tische bogen, exotische Früchte und Champagner standen für die vieltausendköpfige Gästeschar bereit. Da das gewiß nicht geringe Personal des vizeköniglichen Hofes nicht für die Bedienung der verwöhnten Gesellschaft ausreichte, hatte man -gegen gutes Geld, versteht sich - alle verfügbaren Europäer in Alexandria und Kairo kurzerhand in Livree oder Frack gesteckt und als Garcons nach Port Said, Ismailia und Suez abkommandiert. Brugsch begegnete einem Schuster aus Potsdam, der die Gläser der Gäste mit Champagner füllte, als hätte er nie etwas anderes getan. Kanonen schössen Salut, ein frischer Wind knatterte in Tausenden von Fahnen, rote Teppiche markierten den Weg vom Hafenkai zu den Pavillons. Der Khedive ging der Kaiserin entgegen. Sie begrüßte ihn überschwenglich: »In meinem ganzen Leben habe ich so etwas noch nicht gesehen, ein zauberhafter Empfang!«
Als endlich alle Majestäten Platz genommen hatten, als Fanfarenstöße und Hurrarufe verhallt waren, gaben islamische, jüdische, katholische und evangelische Würdenträger dem Kanal ihre Weihe, Ismail Pascha und Ferdinand de Les-seps sprachen hehre Worte, und zahlreiche Damen versuchten Tränen der Erregung unter breitkrempigen Hüten zu verbergen.
200 Millionen waren ursprünglich für die Bauarbeiten veranschlagt gewesen. 454 Millionen Francs hatte das Jahrtausendbauwerk dann schließlich verschlungen. Dabei entsprachen die Ausmaße nicht einmal den projektierten Werten. Bei einer Breite von 22 Metern wies die Kanalsohle nur in der Mitte jene acht Meter Tiefe auf, die für eine Begegnung von Schiffen mit großem Tiefgang nötig waren; aus Kostengründen hatte Lesseps sogar auf die vorgesehenen Ausweichstellen verzichtet. Hundert Meter Breite waren vonnöten, damit sich zwei Schiffe begegnen konnten, auf 40 Kilometer maß der Kanal jedoch nur 60 Meter. An diese Unzulänglichkeiten und die um mehr als das
Doppelte überschrittenen Kosten dachte an diesem 16. November niemand. Der 64jährige Lesseps wurde wie ein Wohltäter der Menschheit gefeiert. Das technische Wunderwerk, die Fahrrinne von 161 Kilometern Länge durch Wüstensand und Salzseen, machte den französischen Ingenieur zum ungekrönten König des Landes. Ein weißes Gebäude mit Kuppeln und Säulen, das er an der Einfahrt in Port Said für sich und die Kanalgesellschaft errichtet hatte, glic h eher einem Märchenschloß als der Niederlassung eines kommerziellen Unternehmens.
Auguste Mariette hatte die künftige Bedeutung dieses Mannes früh erkannt und einen klugen Schachzug getan, als er Ferdinand de Lesseps zum Gründungsmitglied der Altertümerverwaltung ernannte. Repräsentierte doch der inzwischen weltberühmte Franzose den neuen, technischen Zeitgeist und nahm damit Kritikern seiner aufwendigen Ausgrabungen, die vielfach als nutzlos bezeichnet wurden, von vornherein den Wind aus den Segeln. Unbeabsichtigt hatte der Suezkanal den Altertumsforschern Schützenhilfe geleistet: Denn während der gigantischen Bauarbeiten, die Millionen verschlangen, fiel der Aufwand, den Mariette betrieb, kaum auf. Gewiß, er war verschwenderisch hoch; aber im Vergleich zu dem Kanal-Unternehmen verschwindend gering. Nun aber, da alle Großen dieser Welt den Weg nach Ägypten gefunden hatten, rückten auch die mit den Altertümern befaßten Wissenschaft und Forschung in das öffentliche Interesse. Genau sieben Jahrzehnte waren vergangen, seit Napoleon das Land der Pharaonen wieder ins Bewußtsein gerückt hatte, jetzt aber wurde das schlichte Interesse zur Manie. Angeregt durch Zeitungs- und Reiseberichte setzte ein Run auf die ägyptische Kultur ein. Wem Erbe und Status es erlaubten, der verbrachte den Winter in Luxor oder Heluan. Mariette, Brugsch und Lepsius waren die Männer der Stunde. Sogar gekrönte Häupter rissen sich darum, von ei-nem dieser Männer durch die Ausgrabungsstätten des Nillandes geleitet zu werden. Ägypten-Literatur stand hoch im Kurs. In Berlin schrieb der z/jährige Ägyptologe Georg Ebers - er hatte noch nie die Pyramiden zu Gesicht bekommen, einen schwülstigen Roman mit dem Titel Eine ägyptische Königstochter und erntete damit Weltruhm.
Die Majestäten hatten die Nacht auf ihren komfortablen Schiffen verbracht und wurden von Böllerschüssen geweckt. Punkt acht Uhr - die schrägstehende Herbstsonne vergoldete die Szenerie - setzte sich eine kilometerlange Schiffsprozession zur ersten Durchfahrt durch den Suezkanal in Bewegung, an der Spitze die »Aigle« mit Kaiserin Eugenie, gefolgt von der Yacht »Mahroussa« des Khediven Ismail, insgesamt 60 bunt beflaggte Schiffe. Zur gleichen Zeit nahm 161 Kilometer weiter südlich, in Suez am Roten Meer, ein Konvoi ägyptischer Yachten und Handelsschiffe Kurs in Richtung Norden.
Auf den Dämmen links und rechts des Kanals flatterten die Flaggen der Länder, die Delegationen zu den Festlichkeiten entsandt hatten. Die Menschen in ihren bunten Gewändern winkten, liefen mit den Schiffen viele Kilometer mit. Kamelreiter standen staunend auf den Uferbefestigungen, manche glaubten an ein Wunder, andere machten ihrem Unwillen Luft über die Wasserstraße, die schnurgerade durch die Wüste führte und nur an wenigen Stellen auf Fährschiffen überquert werden konnte. Die gewaltigen Baggerschiffe mit ihren turmhohen schrägen Förderbändern, denen die Schiffe noch allenthalben begegneten, ließen trotz Flaggenschmuck und bunten Tüchern keinen Zweifel aufkommen, daß hier noch bis zum letzten Augenblick gearbeitet worden war, ja, daß die Arbeiten noch weitergingen. Die Nacht hatte sich bereits über die Wüste gesenkt, als die festlich beleuchteten Schiffe den Timsah-See und die Hafenstadt Ismailia erreichten. Zehntausend glitzernde Later-nen tauchten das Hafenbecken und die breite Prachtstraße, die zu dem eigens für die Einweihung errichteten Palast führte, in märchenhaften Lichterschein. Der Zauber aus Tausendundeiner Nacht - hier wurde er Wirklichkeit. Ismail Pascha wollte das größte Fest feiern, das die Welt je gesehen hatte, und nicht einmal der Verwöhnteste unter den anwesenden Potentaten zweifelte einen Augenblick, daß dem Vizekönig dies auch gelungen war. Geblendet vom Prunk und Glanz des marmornen Palastes, in dem auf kostbaren Teppichen Tische mit kulinarischen Köstlichkeiten aus aller Welt die Gäste einluden, stellten nur wenige die Frage nach den Kosten, ob nicht der Aufwand die Möglichkeiten des ägyptischen Herrschers überstieg. Das Bankett, zu dem der Khedive offiziell 800 Persönlichkeiten geladen hatte, reichte in seiner verschwenderischen Üppigkeit auch für die mehreren tausend Gäste, die sich dann in Ismails noblem Palast einfanden. Österreichs Kaiser Franz Joseph erschien als Tischherr der französischen Kaiserin Eugenie und gab damit zu allerlei Spekulationen Anlaß. Die Österreicher machten alle Anstrengungen, die Kaiserin vor dem preußischen Kronprinzen abzuschirmen, und sie selbst mieden, obgleich bisweilen in Tuchfühlung, jedes Gespräch mit den Preußen. Als Kaiser Franz Joseph, dem Menschenansammlungen ein Greuel waren, sich mit den Worten »Außi möcht' ich!« entschuldigte, gesellte sich die Fürstin Metternich zur französischen Kaiserin und erbot sich, mit ihr in einem Festzelt vor dem Palast dem Bienentanz zuzusehen, der, wie Kritiker meinten, für weibliche Augen weniger geeignet schien - weil die Tänzerinnen beinahe nackt waren und es sich dabei um ein in aller Deutlichkeit dargestelltes Liebesspiel handelte. Brugsch und Mariette beobachteten das Gehabe der gekrönten Häupter eher amüsiert. »Ich hoffe nur«, meinte der Franzose lächelnd, »man verbietet uns beiden demnächst nicht, daß wir uns miteinander unterhalten!«
Heinrich Brugsch bewegte den Kopf hin und her, als wollte er sagen: In diesen spannungsgeladenen Zeiten kann man dies nie wissen. Wundern würde es mich nicht! Aber er sagte nichts, sprach Krebsschwänzen und glacierten Enten-brüstchen zu und meinte nach einer Weile kauend: »Kochen könnt Ihr Franzosen, das muß Euch der Neid lassen!« »Kein Wunder!« erwiderte Auguste Mariette, »der Khe-dive hat ja auch die besten Köche Frankreichs nach Ägypten geholt. Zu Hause regt Napoleon unterdessen die Herstellung von Kunstbutter aus Rindertalg an. Margarine soll das ekelhafte Zeug heißen, in Paris wird eine Fabrik gebaut. Rindertalg, Henri, kannst du dir das vorstellen?« Der Preuße, gewiß kein Mann von überfeinerter Lebensart, verzog angewidert die Mundwinkel, nippte an seinem Champagnerglas und meinte belustigt: »Ihr eßt doch sogar Schnecken, warum nicht auch Rindertalgbutter?« »Wenn die Preußen nur halb soviel vom Essen verstehen würden wie vom Militär!« spottete Mariette zurück. Und beide lachten.