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Das Fest strebte seinem Höhepunkt zu. Verschleierte Mädchen tanzten zu Flötenmusik durch das illustre Publikum. Lesseps und der Khedive nahmen an den einzelnen Tischen die Ovationen der geladenen Gäste entgegen, prosteten ihnen zu, schüttelten Hände und sonnten sich in diesem historischen Augenblick.

»Ich mache mir Sorgen um die Zukunft des Landes«, raunte Mariette seinem Freund Brugsch zu, »der BaumwollBoom ist zu Ende, die Landwirtschaft liegt brach, 700000 Tiere sollen einer Seuche zum Opfer gefallen sein, womit will Ismail Pascha das alles bezahlen?« Brugsch nickte. »Dabei glauben all die Leute hier, der Khedive sei der reichste Mann der Welt!« »Ismail?« erwiderte Mariette. »Der hat mehr Schulden, als wir uns das überhaupt vorstellen können. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.« »Du meinst, er ist pleite?«

Mariette hob die Schultern. »Fest steht, wenn Ismail Pascha Bankrott macht, dann bedeutet das das Ende der Altertumswissenschaft.«

»Aber der Kanal wird doch Geld einbringen ... « »Nicht den Ägyptern, Henri. Ägypten hat der Kanal nur Schulden gebracht - und eine Überfremdung durch französisches Kapital. Der Kanal gehört nicht dem Khediven und schon gar nicht den Ägyptern, er ist einzig und allein Besitz der Kanalgesellschaft. Und es würde mich nicht wundern, wenn er schon bald zum Zankapfel der Weltpolitik werden würde . .. «

Während er sprach, verkrampften sich seine Hände. Ma-riette faßte zum Hals, er stöhnte, als bekäme er keine Luft mehr, Schaum trat ihm vor den Mund, dann sank er lautlos in die Arme seines Freundes Brugsch. »Einen Arzt!« rief die -ser. »Ist denn kein Arzt hier anwesend?« Die ausgelassenen Gäste ignorierten den Vorfall taktvoll, sie glaubten, der Unglückliche habe wohl dem Alkohol zuviel zugesprochen. Heinrich Brugsch bettete den Leblosen hastig auf drei zusammengeschobene Stühle, klopfte ihm hilflos auf beide Wangen und rief immer wieder: »Auguste, Auguste, hörst du mich, ich bin es, Henri, hörst du mich . . .«

IX. Mariettes Tod

»Wir müssen hier raus!« rief Heinrich Brugsch, der nun bemerkte, wie immer neue, höhere Wellen in das Haus fluteten. Mariette zeigte keine Regung, starrte geistesabwesend vor sich hin, als habe er sich damit abgefunden, hier inmitten seiner Welt zu sterben.

»Ich habe Sie kommen lassen, mein lieber Brugsch, weil ich in einer Notlage hm. Das ganze Land ist in einer Notlage!« Ismail Pascha ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt, unruhig auf und ab. Der Audienzsaal im goldglitzernden Ab-din-Palast machte freilich weniger den Eindruck allseitiger Bedürftigkeit, im Gegenteil, die protzige Einrichtung und der Aufwand an Dienern und anderem Personal hatte sogar zugenommen. Ein Zeremonienmeister mit dem wohlklingenden Namen Tonino Salomone inszenierte die Auftritte des prunksüchtigen Khediven bis ins kleinste Detail, der Professor durfte in einem der samtroten Sessel Platz nehmen. »Ich wüßte nicht, wie ich Majestät von Nutzen sein könnte«, bedauerte Heinrich Brugsch. Aber der ließ ihn gar nicht ausreden und kam sogleich zur Sache: »Die Kunstschätze, welche Sie und Mariette seit zwanzig Jahren ausgegraben haben, stellen doch einen beachtlichen Wert dar. Wie man hört, leben ganze Dörfer meines Landes vom Schwarzhandel.«

»Das ist leider wahr«, bestätigte Brugsch. Der Pascha fuhr fort: »Warum, bei Allah, verkaufe ich die Kunstschätze nicht selbst? Sie gehören doch mir, mir und niemand anderem!« »Sie gehören dem ganzen Land!« unterbrach der Professor. »Und sie sind für Ägypten von höchster Bedeutung. Sie können diese Schätze nicht einfach verkaufen!« »Aber ich brauche Geld, Professor, viel Geld. Ich nehme eine Anleihe nach der anderen auf. Goschen, Oppenheim und Bischofsheim geben sich bei mir die Klinke in die Hand. Sie bewundern meine uralten Goldschätze - wertlos, alles wertlos, solange ich sie nicht verkaufen kann.« »Mariette würde es nicht überleben«, sagte Brugsch, »er ist schwerkrank, all das ist sein Lebenswerk!« Der Khedive blieb unnachgiebig: »Deswegen habe ich Sie ja rufen lassen. Sie sind sein Freund, Sie haben den größten Einfluß auf ihn. Sie müssen es ihm beibringen!« Der Auftrag traf Brugsch wie ein Schlag ins Gesicht. Das war das Ende ihrer Forschungsarbeit! Aber der Professor brachte keinen Ton hervor, er wurde vom Vizekönig bezahlt, wollte er seine Stellung nicht riskieren, so mußte er gehorchen.

Ismail Pascha, der die Betroffenheit des Preußen sah, fragte: »Welchen Nutzen hat diese Altertumswissenschaft überhaupt? Gut, ich verstehe, daß die ägyptische Geschichte, die Götterlehre und sonstige Dinge diesem und jenem besonderes Vergnügen bereiten, aber für die Praxis ist diese Wissenschaft doch nutzlos und tot. Ja«, fügte er hinzu, »wenn man dadurch erfahren könnte, an welchen Stellen sich vergrabene Schätze befinden oder woher die alten Ägypter das viele Gold geholt haben, das wäre etwas anderes! Ich habe euch Europäern bisher viel zuviel Glauben geschenkt. Wenn einer kam und sagte, eine Eisenbahn ist gut für dein Land, dann ließ ich ihn Geleise bauen, sagte einer, du mußt die Geschichte deines Landes kennen, dann ließ ich ihn die Erde aufwühlen. Hier« - er deutete auf einen Bund Spargel, der neben ihm auf einem Tischchen lag -, »dieser Spargel zeigt mir, daß ich zu meinen Ägyptern oft ungerecht war und immer nur Europäisches gelten ließ.«

Auf Brugschs fragenden Blick erzählte der Khedive, er habe dem französischen Hofgärtner seinen Unmut ausgedrückt, weil er trotz hoher Ausgaben für die vizeköniglichen Plantagen Ende Februar noch nicht einmal Spargel ernten könne, während er im rauhen Europa längst zu haben sei. Der Hofgärtner habe daraufhin geantwortet, auch er könne im Februar mit frischem Spargel aufwarten, wenn er nur ein Glashaus hätte. Also habe er für 80000 Francs ein Glashaus gebaut. Erregt sprang der Pascha auf: »Aber dieser Spargel stammt nicht aus dem Glashaus, ein arabischer Gärtnergehilfe brachte ihn mir. Ich fragte ihn, wie er diesen ausgezeichneten Spargel um diese Zeit gezüchtet habe, und er erklärte, er habe die Beete bei Kälte mit Palmzweigen abgedeckt und bei Sonnenschein der Wärme preisgegeben. Sehen Sie, Professor, so habe ich es immer gemacht, und das war falsch.«

Heinrich Brugsch hörte das Beispiel des Vizekönigs nur mit halbem Ohr. Er hatte erkannt, daß er Ismail Pascha nur mit List von seinem Vorhaben abbringen konnte, die Altertümer zu verkaufen. »Und wenn ich Euch mit Hilfe der Altertumswissenschaft den Weg zu den Goldminen der alten Ägypter weisen könnte?« fragte er unvermittelt. Der Pascha sah den Gast verblüfft an. Er wußte nicht so recht, ob es dem Professor ernst war. »Es gibt kein Gold in Ägypten«, sagte er abweisend.

»Die alten Papyri behaupten das Gegenteil!« antwortete Brugsch. »Gesetzt den Fall, Ihr würdet auf Goldlager stoßen, würdet Ihr dann die Kunstschätze unangetastet lassen?« Der Khedive blieb zunächst noch ungläubig. Schließlich streckte er dem Professor aber doch die Hand entgegen: »Mein Wort darauf, Brugsch. Übergeben Sie General Stone eine kurze Denkschrift, die alle Daten enthält. Stone wird eine Expedition ausrüsten.«

Brigadegeneral Charles P. Stone genoß das Vertrauen des Khediven. Er war Amerikaner, stammte aus Connecticut, hatte eine Ausbildung der Militärakademie West Point im Staate New York erhalten und im Bürgerkrieg eine zwielichtige Rolle gespielt. Für die Zwecke des Vizekönigs, den Aufbau einer schlagkräftigen ägyptischen Armee, war Stone genau der richtige Mann. Seine Ausbildung als Ingenieur und Topograph schien ihn für das Goldsucherunternehmen zusätzlich zu prädestinieren.