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Bei seinen nächtelangen Studien, die er über Papyrusrollen und Inschriften verbrachte, hatte Heinrich Brugsch wiederholt Hinweise auf ein Goldtal entdeckt. Natürlich wurde dabei kein Ortsname genannt, aber Wegstrecken, Entfernungen und Ortsbeschreibungen siedelten das Goldtal irgendwo zwischen Nil und dem Roten Meer an. Brugsch überprüfte in fieberhafter Arbeit noch einmal alle auf das Goldtal bezugnehmenden Textstellen - schließlich ging es um einen hohen Einsatz. Um den kranken Mariette nicht zu beunruhigen, erzählte er ihm nichts von seinem Gespräch mit dem Vizekönig.

Tags darauf überreichte der Professor dem General eine Liste mit der Übersetzung aller altägyptischen Hinweise auf das Gebiet. Er selbst, so schrieb Brugsch, halte es für unwahrscheinlich, daß das Goldtal zwischen Kena und der pto-lemäischen Hafenstadt Koser liege. Dort gebe es zwar eine Reihe Wüstentäler, in denen die alten Ägypter unter anderem auch Granit abgebaut hatten, aber wohl kaum Gold. Er vermutete die Goldminen weit eher im Wadi Hammamat. »Sie müssen allerdings Bergleute mitnehmen!« sagte Brugsch zu dem General. »Ich meine Fachleute, die auch Bodenuntersuchungen machen können; denn Sie dürfen nicht erwarten, daß irgendwo in der Wüste die Tore von Goldbergwerken offenstehen.«

Charles P. Stone, groß, drahtig, entschlossen, reagierte beleidigt: »Wenn es Goldvorkommen in dieser Gegend gibt, dann werde ich sie finden, verlassen Sie sich darauf, Mister Brugsch. Das einzige Problem, mit dem wir zu kämpfen ha-ben werden, ist das Trinkwasser. Zwischen Kena und dem Roten Meer gibt es nicht einen Brunnen. Ich benötige eine eigene Kamelkarawane mit Wasser.« »Na, dann viel Glück, General!« sagte Brugsch. Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, da wurde ihm bewußt, daß er es eigentlich war, der dieses Glück dringend nötig hatte. Er war nicht der erste, der den Hinweisen auf die Goldminen der Pharaonen nachging. Vierzig Jahre vor ihm hatte der Minister für öffentliche Aufgaben Linant de Bellefonds, damals noch Ingenieur und Kartenzeichner in Diensten Mohammed Alis, die Wüste zum Roten Meer durchkämmt, hatte Karten und Skizzen angefertigt, war aber ohne die erhoffte Goldausbeute zurückgekehrt. Jetzt verfolgte der alte Mann das Unternehmen mit besonderem Interesse. In dieser Nacht konnte Brugsch keinen Schlaf finden. Hatte er wirklich alle Hinweise ausgewertet? Durfte er überhaupt Stones Expedition allein ziehen lassen?

Mariette saß verkrampft in einem Lehnstuhl, als sein Freund Heinrich Brugsch eintrat. Es bereitete ihm sichtlich Mühe, den Arm zur Begrüßung zu heben. »Es geht mir schon wie -der gut«, sagte der Franzose, aber Brugsch sah sofort, daß dies nicht stimmte. Sein Gesicht war gerötet, die Augen eingefallen, er wirkte müde. »Was sagen die Ärzte?« fragte der Preuße. »Was sollen sie schon sagen?« spottete Mariette. »Die Zuckerkrankheit ist ein schleichendes Gift, das einen langsam ausdörrt. Ich schütte Unmengen Tee in mich hinein und habe ständig Durst, die Waden schmerzen teuflisch, jede Bewegung ist eine Anstrengung, und manchmal sehe ich alles wie durch einen Schleier.«

Brugsch faßte die Hand des Freundes. »Keine Bange, Auguste, das wird schon wieder. Du mußt dich nur schonen.« Mariette versuchte zu lachen. »Das einzig Gute an dieser verfluchten Krankheit ist, daß mein Bauch abnimmt.«

Brugsch gab sich Mühe, das Lachen des Freundes zu erwidern; doch dieses Lachen war nicht mehr der lautstarke Ausbruch von Vitalität, der so ansteckend wirken konnte, es war ein mühsames, erzwungenes Lachen, das betroffen machte. Um Mariettes Lehnstuhl herum lagen Stöße von Papier verstreut, Aufzeichnungen und Berichte von den verschiedenen Ausgrabungen. »Ein guter Mann, dein Bruder Emil«, begann er unvermittelt. »Er reist von einer Ausgrabung zur anderen, um mir Bericht zu erstatten. Ich bin sehr zufrieden mit ihm, er hat die Leute fest im Griff.« Heinrich nickte, er hob einzelne Blätter hoch und las, wo überall gegraben wurde: Memphis, Beni Suef, Abydos, Mit-raline, Tuna, Esna, Edfu, Medinet Habu, Der el-Bahari, Tal der Könige. Das Tal! Wehmütig strich er über das Blatt Papier. Damals, vor zwanzig Jahren, als er abwechselnd in einem Felsengrab und im Tempel von Karnak wohnte, damals war er sich noch seiner Sache sicher, er würde eines Tages die ganz große Entdeckung machen, das unversehrte Grab eines Pharaos finden; aber das Glück war nicht auf seiner Seite gewesen. Ein Schreibstubengelehrter war er geworden, Professor zwar mit gesichertem Einkommen, doch seine Illusionen waren verflossen.

Mariette, der seinen Freund beobachtete, fragte: »Glaubst du eigentlich noch immer, daß im Tal der Könige noch weitere Gräber verborgen sind?« Heinrich sah Auguste lang an; dann nickte er stumm. »Ehrlich gesagt«, meinte Mariette, »ich lasse nur deshalb weiterforschen, weil du so fest davon überzeugt bist, dort auch noch andere Pharaonen zu finden. Ich selbst glaube längst nicht mehr daran. Hier« - er zog ein Blatt nach dem anderen von dem Stoß vor ihm - »alles Fehlanzeige, jede Woche ein Mißerfolg, nichts, nichts, gar nichts.« »Du solltest«, begann Brugsch umständlich, »vielleicht deine Arbeiten etwas einschränken. Ich meine, es geht dir nicht besonders gut, du kannst nicht mehr alle Grabungen kontrollieren, außerdem verschlingen die Arbeiten Unsummen Geldes, und der Vizekönig könnte eines Tages der Altertümerverwaltung überdrüssig werden.« Da aber wurde der Franzose wütend, lautstark und mit heftigen Armbewegungen, wie in seinen besten Tagen, schrie er: Was er glaube, ob er denn eine Mumie vor sich habe? Er fühle sich immer noch kräftig genug, um es mit jedem aufzunehmen - sogar mit dem Khediven. »Soll er doch seinen Lebensaufwand reduzieren, der alte Ismail, weniger Feste, weniger Frauen, weniger Paläste! Das hier« - und dabei trommelte er mit der Faust auf seine Papiere - »das ist unser aller Vergangenheit, wir haben ein Recht darauf, und dafür kämpfe ich, bis ich umfalle, Henri, verstehst du?« Brugsch versuchte den tobenden Freund zu beruhigen, betonte, daß seine Arbeit anerkannt sei und von niemandem in Zweifel gezogen werden könne. Er erkannte jedoch, daß vorläufig nicht daran zu denken war, Mariette in die Pläne des Vizekönigs einzuweihen. Wenn General Stone doch erfolgreich wäre!

Brugschs Bruder Emil kam zur Türe herein. »Ich habe Gutes über dich gehört«, sagte Heinrich. Emil, beinahe verlegen, antwortete, leider bringe er heute schlechte Nachricht. Ali, der Vorarbeiter der Grabungen in Sakkara, habe es abgelehnt, die Arbeiten fortzusetzen, sie seien kaum noch erfolgversprechend. Mariettes gerötetes Gesicht färbte sich noch einen Ton dunkler, er erhob sich mühsam aus seinem Stuhl, stemmte den linken Arm in die Hüfte und fuchtelte mit der Rechten wild in der Luft herum: »Der Kerl soll mich kennenlernen. Ich werde ihn lehren, wer hier Entscheidungen trifft. Emil, mein Pferd!«

Gemeinsam redeten die beiden Brüder auf Mariette ein, er solle auf seine Gesundheit achten und sich zurückhalten. Heinrich Brugsch erbot sich, selbst nach Sakkara zu fahren und den Vorarbeiter zur Raison zu bringen; aber alle Beschwichtigungsversuche waren zwecklos. Mariette, der so-eben noch bemitleidenswert in seinem Lehnstuhl gesessen hatte, schwang sich auf sein Pferd und preschte, gefolgt von dem jungen Brugsch, davon.

Der Khedive Ismail nahm indes eine Anleihe nach der anderen auf. Längst baute er keine neuen pompösen Paläste mehr, ihm ging es nur darum, die Zinsen seiner Schuldenlast begleichen zu können. Zwei Milliarden Mark betrugen inzwischen die Schulden des Khediven, sie waren mit ein Grund dafür, daß der türkische Sultan Ägypten 1873 in weitgehende Selbständigkeit entließ, zumindest im finanziellen Bereich. Daraus entwickelte sich ein ägyptischer Nationalismus, der von Frankreich und England aufmerksam beobachtet wurde. Hatte der britische Premierminister Palmerston anfangs noch alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Kanalprojekt zu torpedieren, so fand Großbritanniens Außenminister, der Earl of Clarendon, nach der Eröffnung der neuen Wasserstraße jetzt nur noch Komplimente für das Jahrtausendwerk.