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Trotz seiner Intelligenz und Bildung war Ismail Pascha naiv. Er bemerkte nicht die Unterwanderung seiner Armee durch englische Militärs. Auch die Machenschaften seines Finanzministers Ismail Saddyk blieben ihm lange Zeit verborgen, und als er sie entdeckte, hatte ihn dieser bereits um ein Vermögen gebracht, sich einen pompösen Palast erschwindelt und Steuergelder auf ein geheimes Bankkonto in London transferiert. Ismail Saddyk hielt in den Moscheen Kairos Hetzreden gegen den Khediven, warf ihm vor, Ägypten an die Europäer verkauft zu haben, und wirtschaftete gleichzeitig weiter in die eigene Tasche. Der Zorn Ismail Paschas traf ihn zu spät: Er ließ ihn verhaften, fesseln und zu Schiff nach Edfu in Oberägypten transportieren. Dort lud man ihn auf ein Kamel und erklärte ihm, er würde nach Dongola in die Verbannung geschickt. Der abgesetzte Finanzminister, ein Alkoholiker, verweigerte daraufhin jede Nahrungsaufnahme und wünschte nur noch Cognac zu trinken. »Reicht mir eine Flasche«, rief er, »bevor ich verdurste!« Die Bitte wurde gewährt. Er nahm die Flasche Cognac, trank sie in einem Zug aus und fiel tot von seinem Kamel.

Ismail Pascha riß sogar den Marmorboden seines Palastes heraus, um an die veruntreuten Steuergelder heranzukommen - vergebens. Auch sein Londoner Bankkonto wurde nie entdeckt, und der Vizekönig von Ägypten war wieder um eine Hoffnung ärmer.

Gläubiger und Bankiers in Europa wurden unruhig, weil Ismail seinen Zinsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Das war die große Stunde des britischen Premierministers Benjamin Disraeli. Der konservative Regierungschef schickte am 17. November 1875 seinem Konsul in Kairo ein Telegramm folgenden Inhalts: Die britische Regierung erklärt sich bereit, die Suezkanal-Aktien des Vizekönigs für einen angemessenen Preis zu übernehmen und erwartet eine entsprechende Forderung. Sechs Tage später traf in London die Antwort des ägyptischen Vizekönigs ein: Vier Millionen britische Pfund. Das Angebot sollte 48 Stunden Gültigkeit haben.

Premier Disraeli hatte wohl selbst nicht so recht an den Erfolg dieses diplomatischen Coups gedacht, er befand sich in einer Zwickmühle. Das Parlament war bereits in den Ferien, woher sollte er innerhalb kürzester Zeit diese Riesensumme nehmen?

In ganz England gab es überhaupt nur einen Mann, der -glaubhaft - einen Scheck in dieser Höhe ohne mehrfache Gegenzeichnung unterschreiben konnte: Lionel Rothschild, der Leiter des gleichnamigen Londoner Bankhauses, ein Freund Disraelis. Der Premierminister schickte aus Gründen der Diskretion seinen Privatsekretär in die Villa des Bankiers. Rothschild saß beim Mittagessen, als ihm der dringende Besuch angekündigt wurde, er erhob sich, begrüßte den Sekretär des Premiers und fragte, noch ehe dieser sein Problem vorbringen konnte: »Wieviel?« Verblüfft antwortete der Sekretär: »Vier Millionen Pfund.«

»Und welche Sicherheit?« »Die britische Regierung.«

Lionel Rothschild zückte sein Scheckbuch und sagte mit einem Lächeln: »Da haben Sie das Geld.«

Im Haus des Mustafa Aga Ayat in Luxor herrschte ausgelassene Stimmung. Der britische Konsul gab eine Phantasia zu Ehren von Charles Gordon. Er war gerade zusammen mit seinen beiden amerikanischen Begleitern Major Campbell und Colonel Chaille-Long von einer Sudan-Expedition zurückgekehrt. Zu dem Fest hatte der Aga alle Europäer eingeladen, die sich gerade in der Gegend aufhielten. Die Männer saßen um einen Teppich herum auf dem Boden, tranken warmen Rakischnaps, sogen an ihren Wasserpfeifen und lachten Tränen über die Verrenkungen einer kleinen, nackten Frau. Die Pygmäin war äußerst wohlgenährt, aber nur knapp einen Meter groß und beinahe ebenso breit. Wann immer der Klang einer Flöte erscholl, verbog sie ihre pummeligen Glieder zu unbeschreiblichen Verrenkungen, rollte wild mit den Augen und brachte ihre schwabbelnden Brüste zum Rotieren. Colonel Chaille-Long hatte das seltene Wesen im Sudan gekauft, nicht ohne sie zu fragen, ob sie mit ihm kommen wolle. »Ja«, hatte sie gemeint, »wenn du mich nicht aufißt!«

Der Amerikaner klatschte in die Hände und feuerte die Tänzerin an: »Tanz, Ticki-Ticki, tanz!«

Die Umsitzenden fielen in den Klatschrhythmus ein:

»Tanz, Ticki-Ticki, tanz!«, und die Pygmäenfrau verrenkte sich und trampelte bis zur Erschöpfung.

»Ich habe ihr einen Sack gekauft zum Anziehen«, lachte der Colonel gluckernd, »aber was soll ich machen, sie zieht ihn nicht an, lieber geht sie nackt und trägt ihr Kleid unter dem Arm. Ich kann doch nicht mit einer nackten Frau durch Kairo gehen.«

Die Gäste grölten vor Vergnügen, schlugen sich auf die abgewinkelten Schenkel und spülten die Hitze des Abends mit gelbgrünem, klebrigem Fruchtsaft hinunter. Die eigenwilligste Erscheinung unter den Gästen des Mustafa Aga Ayat war eine bildhübsche Dame. Sie war Engländerin, hieß Amelia Edwards und galt als Enfant terrible unter den Forschungsreisenden der damaligen Zeit. Die Tochter eines britischen Offiziers, der noch unter Wellington gedient haue, war Journalistin, was zu dieser Zeit ungewöhnlich genug war. Noch ungewöhnlicher freilich erschien, daß sie sich m Männerkleider zwängte und mutterseelenallein riskante Reisen unternahm, die sie in Büchern und Zeitschriftenartikeln ausführlich beschrieb.

Von Ägypten war die schöne Amelia so fasziniert, daß sie sich fürs erste einmal dort niederließ, Hieroglyphen und ägyptische Geschichte büffelte und sich schließlich die Erforschung des Nillandes zum Ziel setzte. »Wir hatten schon einmal eine Europäerin hier in Luxor«, meinte Mustafa, »sie wohnte im Maison de France auf den Tempelsäulen und war beliebter als alle Reisenden vor ihr. Sie hieß Lady Duff-Gordon, war mit unserem Charles Gordon aber nicht verwandt. Eines Tages war sie verschwunden. Später hörte ich, sie sei auf einem Schiff in Kairo gestorben, sie war schwer lungenkrank. Eine schöne Frau, diese Lady Gordon . ..«

Man lächelte betroffen; dann geleitete der Aga seine Gäste in einen Vorraum, der zur - wohl mehr symbolischen - Reinigung der Gäste diente. Zwei Diener, barfuß, mit einem Turban auf dem Kopf, gössen den Geladenen aus einer Kupferkanne parfümiertes Wasser über die Hände und boten bunte Handtücher an, die gleichzeitig als Servietten dienen sollten. Im eigentlichen Speiseraum stand nichts weiter als ein bunt und grell beleuchteter runder Tisch mit zierlichen Stühlchen. Amelia hielt vergeblich nach Geschirr und Eßbesteck Ausschau, dafür standen für jeden Gast zwei Gläser bereit.

»Heute abend«, sagte Mustafa, »sind wir alle Araber. Wir trinken Nilwasser und essen mit den Fingern.« Der erste Gang des Essens bestand aus einer weißen Suppe, die in einer riesigen Schüssel in die Mitte des Tisches gestellt wurde. Jeder bekam dazu einen großen Holzlöffel. Mit den weiteren Speisen, Reisgerichten, Fisch und Fleisch, verhielt es sich nicht viel anders. Die Diener setzten große Platten in die Mitte des Tisches, den Gästen blieb nichts anderes übrig, als mit ihren Fingern hineinzugreifen und sich handvollgroße Portionen herauszugreifen. Ein Kanten Brot, der jedem einzelnen zugeteilt wurde, diente als eine Art Servierbrett oder Teller, auf dem jeder seine Portion ablegte, um sie von hier dem Mund zuzuführen. Das war schon schwierig genug. Als die Diener jedoch einen knusprig braungebratenen Truthahn hereintrugen und ihn wortlos in die Mitte des Tisches stellten, da blickten Amelia und die anderen Gäste doch ein wenig hilflos drein. Der Aga sah es, krempelte den rechten Ärmel hoch, packte den großen Vogel, zerriß ihn mit gekonnten Griffen in kleine Teile und reichte diese seinen Gästen. Nach dem Dessert - es wurden Götterspeise, Milchreis, Reispudding und eingelegte Aprikosen angeboten - bat Mustafa seine Gäste in ein Nebengemach, wo wohlproportionierte Negerinnen die Anwesenden mit ihrem Tanz unterhielten. Sie zogen zu den Klängen von Geigen, Darrabouka und Tambourin alle Register ihres Könnens. Dazu wurden Wasserpfeifen gereicht und schwarzer süßer Kaffee. Amelia hatte in einer Ecknische Platz genommen, der Aga nahm dies zum Anlaß, die Engländerin darauf hinzuweisen, daß auf jenem Diwan schon der Prince of Wales gesessen habe. An diesem Abend war die Gesellschaft nicht ganz so erlaucht. Links und rechts von Amelia Edwards thronten der Direktor des Telegrafenamtes von Luxor, der Provinzgouverneur, der preußische Konsul mit seinem Sohn und ein paar in kostbare Seidenroben gekleidete Kaufleute. In einer Ecke hatten sich der Amerikaner Edwin Smith und der Deutsche Georg Ebers niedergelassen. Sie waren Nachbarn; denn beide wohnten auf der anderen Seite des Nils in einem wohnlich eingerichteten Felsengrab hoch über Schech abd el-Kurna. Sie sprachen leise, aber man konnte hören, daß es um Geld ging und um eine Papyrusrolle. Der Mann, der die Wasserpfeife reichte, war Mohammed Abd er-Rassul. Er musterte jeden einzelnen Gast und überlegte dabei, wer von den Anwesenden sich wohl für Pharaonenschmuck interessierte und bereit wäre, die wohl teuerste Schmuckkollektion der Welt zu erwerben? Die beiden Männer in der Ecke schieden aus. Smith handelte selbst mit Ausgrabungsobjekten und zahlte nur Spottpreise für die Funde. Der Deutsche schien Archäologe zu sein - dieser Mann war sogar gefährlich! Die Einheimischen kamen ohnehin nicht infrage, weil sie das Geld nicht aufbringen konnten. Die Kaufleute kannte er nicht, er wußte nicht, an wen er geriet. Und die schöne Engländerin? Sie war sicher die Sachkundigste, kaufte im ganzen Land Funde zusammen, grub selbst, forschte, machte Aufzeichnungen. Mohammed überlegte. Diese Frau würde sich nie mit dem Besitz der heißen Ware zufriedengeben. Sie würde Nachforschungen anstellen, die Altertümerverwaltung einschalten, vielleicht sogar die Polizei, ein Risiko. Mohammed gab auf.