»Tut mir leid, Mister Ebers«, sagte der Amerikaner, »für 5000 Dollar kann ich Ihnen die Schriftrolle nicht verkaufen - 10000, und keinen Cent weniger!«
»10000 Dollar!« entrüstete sich der Deutsche. »Das ist ein Vermögen!«
»Ja«, antwortete Smith, »aber welch ein Papier. Jedes Mu-seum der Welt wird Sie darum beneiden. Im übrigen habe ich nicht viel weniger gezahlt, als ich das Stück vor 15 Jahren erworben habe.« Als der Amerikaner das ungläubige Lächeln seines Gegenübers bemerkte, fügte er hinzu: »Nun ja, nicht ganz soviel, schließlich haben sich die Zeiten geändert. Als ich hierherkam, konnte man noch mit einem britischen Pfund einen Monat auskommen, aber heute? - Ich würde den Papyrus auch nie im Leben verkaufen, wenn ich nicht in finanziellen Schwierigkeiten steckte.« »8000 Dollar!« sagte Ebers. »Mein letztes Wort.« Smith tat so, als müßte er heftig mit sich kämpfen, er schlug die Hände vors Gesicht und blies den Atem gegen die Handflächen. Dann sagte er mit einem tiefen Seufzer: »Also gut, Sie sollen ihn haben, Mister Ebers.« Sowohl Smith als auch Ebers wußten natürlich um die Bedeutung der 20 Meter langen, dreieinhalb Jahrtausende alten Papyrusrolle mit hieratischen Schriftzeichen. Obwohl kein studierter Archäologe, hatte sich der Amerikaner in jahrelangen, mühsamen Studien altägyptische Schriftkenntnisse angelernt.
Der vollbärtige Georg Ebers hingegen war ein Mann vom Fach, ein Spätberufener zwar, der sich zunächst der Juristerei verschrieben, aber dann den Weg zur Ägyptologie gefunden und bei Lepsius in Berlin studiert hatte. »Der tolle Ebers«, nannte man ihn, obwohl er eigentlich, gehbehindert und von kränklicher Verfassung, nicht gerade den Eindruck eines Mannes machte, der Bäume auszureißen in der Lage war. Aber, so sagte er, Nachgeborene - so bezeichnete er sich, weil er zwei Wochen nach dem Tod seines Vaters zur Welt gekommen war -, Nachgeborene sind Glückskinder. Begeistert von der Kultur Ägyptens hatte er als junger Mann ein paar Bücher geschrieben, mühselige Romane im Geschmack der Zeit, die ihm von den Verlegern aus der Hand gerissen und gewinnbringend in 16 Sprachen übersetzt wurden - ungewöhnlich für einen Ägyptologen. Jetzt, mit vier-zig, war er Professor für Ägyptologie an der Universität Leipzig. Und dies war seine erste Ägyptenreise. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, Professor!« sagte Smith, und er meinte es gewiß ehrlich. Denn auch er hatte sich bereits an der Übersetzung der 108 Absätze von jeweils 20 Zeilen versucht, mehr oder weniger vergeblich freilich. Diese Übersetzung, das wußte der Amerikaner, war ein Lebenswerk, und dafür war er zu alt.
Ebers hingegen hatte bei der Begutachtung der Schriftrolle den einleitenden Satz entschlüsselt: »Hier beginnt das Buch über die Herstellung von Medizin für alle Teile des menschlichen Körpers . . .« Ein medizinisches Lehrbuch der alten Ägypter also. Er versprach sich viel von dem äußerst mühsam zu entschlüsselnden Inhalt, doch daß dieser 20 Meter lange Papyrus ihn später einmal weltberühmt machen sollte, das ahnte nicht einmal er.
Während die beiden Männer das Geschäft mit einem Händedruck besiegelten, meinte der Amerikaner: »Ich hoffe, es kränkt Sie nicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich noch einen zweiten medizinischen Papyrus in meinem Besitz habe.« Ebers stutzte. »Er ist«, beteuerte Smith, »zwar nur viereinhalb Meter lang, aber, soweit ich ihn bisher entziffert habe, ein chirurgisches Lehrbuch aus frühester Zeit.« Natürlich war Georg Ebers nicht gerade begeistert, aber sollte er sich ärgern? Seine Rolle war der bedeutendste medizinische Papyrus, den es gab, und er sollte fortan seinen Namen tragen: der Papyrus Ebers. Musik, Tanz und Unterhaltung der fröhlichen Gesellschaft wurden jäh gestört durch militärische Kommandos, die von draußen in das Haus drangen. Ticki-Ticki versteckte sich ängstlich, soweit das bei ihrer Leibesfülle möglich war, hinter ihrem Colonel, die anderen starrten erwartungsvoll auf den Eingang, in dem die hünenhafte Figur eines ArmeeOffiziers erschien. Er legte die Hand an die Mütze und grüßte militärisch knapp: »Entschuldigen Sie, meine Herrschaften, ich bin General Stone, man sagte mir, ich würde hier den Mudir von Kena finden!« Der Provinzgouverneur erhob sich vom Teppich: »General !«
Der General salutierte abermals, nahm seine Mütze ab und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Erst jetzt fiel auf, welch erschöpften Eindruck er machte. »Wir sind die ganze Nacht marschiert«, sagte er an den Mudir gewandt, »wir kommen aus dem Wadi Hammamat. Meine Männer brauchen Verpflegung, vor allem etwas zu trinken und ein Nachtquartier!«
»Ich werde mich sofort darum kümmern!« sagte der Mu-dir. Amelia Edwards reichte dem General ein Glas, das er dankend annahm und gierig hinunterstürzte. »Wie viele Männer haben Sie mitgebracht?« erkundigte sich der Gouverneur. »Dreißig!« antwortete Stone. »Die andere Hälfte haben wir mit allen Vorräten zur Bewachung im Wadi zu-rückgelassen. Wir müssen morgen eine Expedition mit Nachschub losschicken .. .«
»Bewachung?« fragte Amelia Edwards verwundert. »Was in aller Welt wollen Sie im Wüstental von Hammamat bewachen?«
Über Stones Gesicht huschte ein triumphierendes Lächeln; dann antwortete er: »Die Goldminen. Wir haben die Goldminen der alten Ägypter gefunden. Ein Professor aus Deutschland hat ihre Lage aus den alten Schriften herausgelesen.« Er griff in die Tasche und fingerte einen Stein hervor: »Hier, sehen Sie!«
Den handtellergroßen, schwarzen Stein durchzog, deutlich erkennbar, eine helle Goldader. Sie versetzte die Anwesenden in andächtiges Staunen. Ebers schüttelte immer wieder den Kopf und murmelte: »Ein Tausendsassa, dieser Brugsch, ein Tausendsassa!«
Der General wurde mit Fragen bestürmt, aber der Aga gab zu bedenken, man könne die armen Soldaten nicht draußen stehen lassen. Er gab dem Diener Befehl, sie hereinzuholen, Raki und Reis reichten auch für sie noch. Es habe überhaupt keine Schwierigkeiten bereitet, drei verschiedene Bergwerke zu entdecken, berichtete Stone, die Beschreibungen des Professors seien äußerst präzise gewesen. Allerdings seien die artesischen Brunnen, die er auf dem Weg in das Wadi erwähnt habe, zwar vorhanden gewesen, aber wohl schon vor Jahrhunderten verschüttet worden. Seine Männer hätten einen aufgegraben und seien in einigen Metern Tiefe tatsächlich auf feuchten Sand gestoßen. Georg Ebers kannte als einziger den Hintergrund, vor dem diese Expedition stattgefunden hatte. Er wußte um das Risiko, das ein Scheitern des Unternehmens bedeutet hätte, und die Freude stand ihm ins Gesicht geschrieben: Die ägyptische Altertumswissenschaft war fürs erste gerettet. Während Stones Soldaten, ausgemergelt von sieben Tagen Hitze und Trockenheit, den Speisen und Getränken des Aga Ayat zusprachen, spielten erneut die Musikanten, und die Mädchen tanzten. General Stone bat den Leiter des Telegrafenamtes, sofort folgende Depesche an den Khediven aufzunehmen: »General Stone beehrt sich, Seiner königlichen Hoheit Mitteilung zu machen, daß die Goldbergwerke im Wadi Hammamat gefunden sind.«