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Leiter der Expedition war Gaston Maspero, jener Mas-pero, der vor dreizehn Jahren Mariette auf der Pariser Weltausstellung um eine Hieroglypheninschrift angebettelt hatte. Er hatte sie tatsächlich in einer einzigen Nacht übersetzt und damit die besten Empfehlungen des Direktors der Altertümerverwaltung erhalten. Sieben Jahre später war der junge Gelehrte bereits Professor für Philologie und Archäologie am College de France, und es schien keine Frage, daß der glatzköpfige Maspero mit dem breiten Gesicht und der viel zu kleinen Brille einmal Nachfolger Mariettes werden würde.

Wie Heinrich Brugsch war auch Maspero überzeugt, daß im Tal der Könige noch weitere Pharaonengräber existier-ten, nur wo, das wußte er nicht. Es gab keinen geeigneten Hinweis, nur vage Vermutungen und dann eben jene kostbaren Grabbeigaben, die seit einer Reihe von Jahren auf dem internationalen Antiquitätenmarkt auftauchten, Schmuckstücke und Gebrauchsgegenstände von Königen der 18. bis 20, Dynastie. Irgendwoher mußten sie doch kommen! Nach wochenlangen, vergeblichen Sondierungsarbeiten änderte Maspero sein Vorhaben, er gab die Suche nach neuen Entdeckungen auf und beschäftigte sich mit dem Vorhandenen. Der junge Professor skizzierte mit seinen Assistenten alle Darstellungen und Inschriften in den Königsgräbern, damit sie einem größeren Kreis von Forschern zugänglich gemacht werden konnten. Ihm war bewußt geworden, dem Geheimnis, das das Tal umgab, war nicht mit Hacken und Brechstangen beizukommen, dieses Geheimnis konnte nur jahrelange Forschungsarbeit am Schreibtisch lösen -oder der Zufall.

»Kommen Sie schnell, Mariette hat einen Blutsturz erlitten!« Mariettes Diener stand aufgeregt m der Türe. Heinrich und Emil Brugsch sprangen auf und eilten zu seinem Haus an der Nillände, das noch immer deutliche Spuren des Hochwassers trug.

»Ihr habt wohl gedacht, es ist schon soweit?« Mariette empfing die beiden im Bett sitzend mit ironischen Worten, wie es seine Art war. Aber sein Gesicht wirkte eingefallen, die Stimme klang matt, anders als sonst sprach er langsam, beinahe zögernd.

Mariette war nicht allein. Zwei Scheichs aus der Gegend von Sakkara, die Heinrich Brugsch noch von den ersten Grabungen im Serapis-Tempel her kannte, saßen an seinem Krankenbett. »Sie graben für mich in Sakkara«, sagte Mariette, »sie tun es freiwillig und ohne Entlohnung. Sie haben den Zugang von drei kleinen Pyramiden gefunden und eine Menge hieroglyphischer Inschriften.«

Heinrich Brugsch sah die Scheichs fragend an: »Inhalt?« »Ausgeraubt, Effendi!« beteuerten die Araber. »Könntet Ihr beide Euch die Entdeckung einmal näher ansehen?« Mariettes Stimme klang bittend, beinahe flehentlich, und keiner der beiden Männer wagte es, dem Freund diese Bitte abzuschlagen.

Die Brugsch-Brüder nahmen am nächsten Morgen die Eisenbahn nach Bedreschein, bestiegen zwei Esel und gelangten nach zwei Stunden zu dem Pyramidenfeld im Westen des Dorfes Sakkara. Sie wurden erwartet. Zusammen mit den Wüstenscheichs zwängten sie sich in den tiefliegenden Eingang der westlichen Pyramide, sorgfältig auf die über ihnen hängenden Steinblöcke achtend, die jeden Augenblick bei der leisesten Berührung herabstürzen und sie mit ihrem tonnenschweren Gewicht zermalmen konnten. Der finstere Gang, den sie stellenweise auf allen vieren kriechend zurücklegten, endete nach ein paar Ecken in einer Grabkammer, die von oben bis unten mit Hieroglyphen beschriftet war.

Heinrich deutete auf einen Königsring: »Das ist Phiops«, sagte er leise, als könnte er die Grabesruhe des Pharao stören, »ein König der sechsten Dynastie, am Ende des Alten Reiches.«

»Ein wichtiger Pharao?« erkundigte sich Emil. Sein Bruder zeigte auf die Inschriften: »Wenn wir sie entschlüsselt haben, werden wir mehr wissen.« An einer Seite der Kammer stand ein rotgesprenkelter Granitsarkophag, der beschriftete Deckel war zurückgeschoben, und daneben, auf dem Boden, lag eine Mumie. »Das ist Phiops!« sagte Heinrich Brugsch ergriffen. Die beiden knieten nieder und blickten in das Gesicht eines im Jünglingsalter gestorbenen Königs. Grabräuber hatten die Mumienbinden von seinem Leib gerissen, alle Schmuckstücke und Amulette geraubt, aber sonst war die Mumie unbeschädigt.

»Ich hätte gewünscht, daß Mariette diesen Augenblick miterleben kann«, sagte Heinrich Brugsch traurig. »Warum nehmen wir die Mumie nicht einfach mit?« meinte Emil. »Wir bringen sie ihm ans Krankenbett.« Heinrich zögerte. »Warum nicht«, sagte er schließlich, »er wird sich sicher freuen.«

Die Brüder holten einen schlichten, halb zerfallenen Holzsarg, der bei Grabungen an anderer Stelle entdeckt worden war, legten die Mumie des Königs Phiops hinein und schoben den kostbaren Fund durch das Gängelabyrinth ins Freie. Dann schwang sich Emil auf seinen Esel und legte den Königssarg quer über die Schenkel.

Das sperrige Gepäck müsse in den Gepäckwagen, meinte der Bahnhofsvorsteher und ließ sich auch nicht umstimmen, als die Brugsch-Brüder ankündigten, sie wollten Billetts erster Klasse kaufen. Um den drohenden Menschenauflauf auf dem Wüstenbahnhof zu vermeiden, nahmen die beiden dritter Klasse samt Reisegepäck und bestiegen, weil sie sich von Pharao Phiops nicht trennen wollten, selbst ebenfalls den Gepäckwagen.

Die Eisenbahn holperte in der flirrenden Hitze des Nachmittags in Richtung Kairo, doch eine halbe Stunde vor der Endstation kreischten die Bremsen, Räder polterten über die Schwellen, ein eisernes Krachen und Klirren: die Lokomotive war aus den Geleisen gesprungen - keine Besonderheit auf dieser Strecke.

Aufgeregt rannten Kondukteure, Heizer und Zugführer hin und her und vermittelten den Eindruck, daß in den nächsten 24 Stunden an ein Weiterkommen nicht zu denken war. Deshalb packten die Brugsch-Brüder ihren Holzsarg und machten sich, der eine vorne, der andere hinten, auf den Weg nach Kairo. Die Sonne stand schräg, und der Bahndamm reflektierte die Glut wie der Rost eines Backofens. König Phiops wurde von Minute zu Minute schwerer, das heißt, der Pharao wog gar nicht soviel, der hölzerne Sarg machte den größeren Teil des Gewichtes aus. Die Männer setzten die schwere, unhandliche Last ab, wischten sich den Schweiß von der Stirn und faßten den Entschluß, die Mumie aus dem Sarg zu nehmen und ohne den schweren Kasten nach Kairo zu transportieren. Heinrich faßte den Pharao am Kopfende, Emil an den Beinen - so trotteten sie schlapp vor sich hin. »Heinrich!« rief der hinter seinem Bruder herlaufende Emil noch. »Heinrich, bleib stehen!« Aber zu spät: Die Mumie des Königs brach in der Mitte auseinander und verbreitete eine weiße Staubwolke über dem Bahndamm. Da standen sie nun, jeder einen halben Pharao in den Händen, starrten sich erschrocken an, wußten nicht, ob die Situation zum Lachen oder zum Heulen war. Nur sehen durfte sie niemand! Deshalb nahm jeder seinen halben Pharao, und mit beschleunigtem Gang strebten sie der Bahnstation am Stadtrand von Kairo zu. Dort bestiegen sie eine Droschke zur Stadt.

Der Mautbeamte an der eisernen Brücke Kasr en-Nil erkundigte sich mit mißtrauischem Blick auf die Mumienhälften, was die Reisenden zu verzollen hätten. »Gar nichts«, sagte Heinrich, »mafisch!« »Und das da?« erkundigte sich der Zöllner. »Pökelfleisch«, sagte Heinrich Brugsch und drückte ihm ein Geldstück in die Hand.

Der Beamte legte die Hand an die Mütze: »Jallah«, ab! Mariettes Zustand hatte sich rapide verschlechtert. Er sprach mit leiser, heiserer Stimme, als die Brugsch-Brüder von ihrer erfolgreichen Entdeckung in Sakkara berichteten. »Also gibt es doch beschriftete Königspyramiden«, sagte Mariette schwach. »Henri, ich glaube, es gibt noch viel zu entdecken!«

Der Freund nickte und begann umständlich zu erklären, daß sie eine Überraschung bereithielten, sie hätten nämlich nicht nur das Grab des Pharao Phiops gefunden, sondern auch seine Mumie.

Mit aller Kraft, die er noch aufbringen konnte, richtete Mariette sich auf und sah die beiden fragend an. »Wir wollten die Mumie nicht unbewacht zurücklassen«, sagte Heinrich entschuldigend, »wir haben sie mitgebracht. Willst du sie sehen?«