Ohne eine Antwort abzuwarten, gingen die beiden hinaus und kamen stolz, ein jeder mit einer Pharao-Hälfte zurück, Mariette riß die Augen weit auf, rang nach Luft und sank bewußtlos in seine Kissen zurück. Zwei Tage später war Auguste Mariette tot. Man schrieb den 17. Januar 1880.
X. Stimmen aus dem zweiten Jahrtausend
Er könne alles haben, sagte der Fellache, sogar eine komplette Mumie, aber die habe natürlich ihren Preis.
Ob er der Chef des Unternehmens sei, wollte Brugsch wissen, und wie viele Mitwisser es gäbe. Der Araber winkte ab, nein, da brauche er sich keine Gedanken zu machen - er, Achmed, sei der Chef des Unternehmens, und nur noch drei Leute wüßten von dem Fund. Emil Brugsch war auf der richtigen Fährte.
»Dieses Land«, sagte Gaston Maspero, während er an der Reling stand und die Landschaft Oberägyptens an sich vorüberziehen ließ, »kann man nur lieben oder hassen. Eine Zwischenlösung gibt es nicht.« Gemächlich tuckerte der alte Raddampfer nilaufwärts, weiße Ibisvögel hingen wie Lampions über dem Flußschiff. Der Mann zu seiner Rechten hielt geblendet von der schrägstehenden Sonne die flache Hand vor die Augen und fragte, den Blick zum Ufer gewandt, zurück: »Sie meinen wegen der politischen Verhältnisse? Sonst sehe ich keinen Grund, dieses Land zu hassen?« - Maspero schwieg.
Nicht nur äußerlich waren die beiden Männer grundverschieden: Gaston Maspero klein, aber kräftig, unscheinbar, jungenhaft; daß er Professor für Ägyptologie war, sah man dem 34jährigen Spitzbart nicht an. Der andere, Charles Edwin Wilbour, ein paar Jahre älter, Amerikaner, ein Hüne von
Gestalt, mit buschigem Bart, eine auffällige Erscheinung, verwegen. Die beiden kannten sich seit sieben Jahren. Wil-bour hatte bei Maspero in Paris studiert, der Ältere beim Jüngeren; aber dafür hatte Wilbour auch schon eine Karriere als Journalist und Geschäftsmann hinter sich, als er, ein respektables Vermögen im Hintergrund, beschloß, ein neues Leben anzufangen. Sein Aufstieg vom kleinen Gerichtsreporter zum Verleger wurde mit der New Yorker Unterwelt in Verbindung gebracht; die Wahrheit kam jedoch nie ans Tageslicht.
Wie nicht anders zu erwarten, hatte Gaston Maspero die Nachfolge von Auguste Mariette angetreten, kein leichtes Erbe, denn die Mittel waren knapp, überall im Land herrschte Aufruhr. Nur der Optimismus seiner Jugend ließ Maspero nicht verzweifeln.
Sein Assistent, Emil Brugsch, trat hinzu und kündigte den beiden Herren an, man befinde sich wenige Meilen vor Lu-xor und werde in etwa einer Stunde anlegen. Maspero liebte die Deutschen nicht sonderlich, schließlich hatten sie seinen Landsleuten bei Sedan die größte Schmach angetan und ausgerechnet in Versailles Wilhelm I. zum deutschen Kaiser proklamiert. Unter diesen Umständen mußte man schon auf einen Deutschen angewiesen sein, um ihn zu schätzen. Und genauso war es.
Emil Brugsch, dessen Bruder Heinrich, seit Mariettes Tod die graue Eminenz der Ägyptologie, sich indigniert nach Berlin zurückgezogen hatte, galt inzwischen als erfahrener Altertumsforscher. Der Hilfskurator des Kairoer Museums war bei den Ausgräbern, die seiner Kontrolle unterstanden, ebenso angesehen wie bei manchen Hehlern, für die er schon einmal ein Auge zudrückte, wenn es sich nicht gerade um kapitale Funde handelte. Er selbst besserte aber auch bisweilen sein Gehalt durch die Veräußerung von Ausstellungsstücken aus dem Museum auf.
»Wir werden das Schiff nicht verlassen«, meinte Maspero an Wilbour gewandt, »die Leute sollen keinen Verdacht schöpfen. Brugsch schafft das ganz allein.« Der Deutsche nickte.
»Wie lange geht das nun schon mit den rätselhaften Funden?« fragte Wilbour, und Maspero meinte, genau könne er das auch nicht sagen, sicher sei nur, daß ihm ein englischer General schon Vorjahren einen Königs-Papyrus aus der 21. Dynastie gezeigt habe, den dieser in Luxor für hundert Pfund erworben hatte. Ein Jahr später sei dann eine zweite Schriftrolle aus dieser Zeit aufgetaucht, und Mariette habe über Mittelsmänner zwei weitere Königspapyri erworben -dabei habe man bisher kein einziges Pharaonengrab aus dieser Zeit entdeckt.
»Und wie wollen Sie dieses Geheimnis lüften, Mister Brugsch?« fragte Charles Wilbour skeptisch. »Brugsch ist der einzige Mann, der mir helfen kann«, sagte Maspero. »Er muß herausfinden, wer hinter diesem Antiquitätenschwindel steckt!«
»Sie glauben doch nicht etwa, daß ich selbst etwas mit der Sache zu tun habe«, erwiderte der Deutsche abwehrend. »Der kleine Brugsch«, wie man ihn zur Unterscheidung von seinem Bruder Heinrich nannte, war tatsächlich nicht in diesen Fall verwickelt. Das aber erleichterte ihm seine Aufgabe keineswegs. Er war eher verärgert darüber, daß er am Coup nicht mitverdiente.
Bisher hatte es Emil Brugsch immer verstanden, im Hintergrund zu bleiben, wenn es um Antiquitätenhehlerei ging. Dies erwies sich jetzt als Vorteil; denn als er in Luxor ankam und sich im gleichnamigen Hotel einquartierte, brauchte er nicht einmal einen falschen Namen anzugeben, da ihn kein Mensch hier kannte.
Das Hotel, ein alter Kasten im morbiden Zuckerbäckerbarock des 19. Jahrhunderts, galt als Edelabsteige für Adelige und Abenteurer, gehobene Gauner und wohlsituierte Globetrotter. Doch die Hoffnung, man würde dem kleinen Brugsch gleich ein ganzes Pharaonengrab zum Kauf anbie -ten, trog. In den ersten zwei Wochen passierte gar nichts. Also mußte Brugsch die Initiative ergreifen. Er trieb sich in den Kaffeehäusern des Basars herum, trank mit den Einheimischen Tee und bezahlte dabei stets demonstrativ mit großen Scheinen. Gelegentlich ließ er durchblicken, daß er sich für Antiquitäten interessiere. Die Stücke, die ihm jedoch angeboten wurden, gab Brugsch nach eingehender Betrachtung lächelnd zurück: »Nein, danke!«
Er erkannte die von den Bewohnern von Luxor damals wie heute mit Geschick fabrizierten Imitationen auf Anhieb. Das imponierte den Dealern durchaus, die ungewöhnliche Sachkenntnis des Fremden sprach sich herum. Eines Tages wurde der kleine Brugsch im Basar am Ärmel gezupft: »Look, Mister!« Ein alter Fellache, der einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck machte, hielt eine kleine Figur in der Hand. Figürchen dieser Art, sogenannte Dienerfiguren, wurden den Königen zu Hunderten mit ins Grab gegeben; sie sollten dem verstorbenen Herrscher im Jenseits bestimmte Arbeiten abnehmen. Brugsch betrachtete das Fundobjekt mit Interesse, vermied es jedoch, irgendeine Reaktion zu zeigen. Keine Frage, das Stück war echt und stammte aus einem Königsgrab. Was er dafür haben wolle, fragte Brugsch. »Fünf Pfund«, antwortete der Alte. »Ich gebe dir zwei«, sagte Brugsch. Der andere winkte ab. Er müsse erst bei seinem Auftraggeber rückfragen.
Ob er mehrere solcher Stücke habe, wollte Brugsch wissen.
Der Alte nickte.
Brugsch zog ein paar Geldscheine aus der Tasche und hielt sie dem Fellachen vor das Gesicht; er sei bereit, auch mehr zu bezahlen, wenn es gute Stücke seien. Für den Abend vereinbarten beide ein Treffen am selben Ort. Die Methode des jungen Deutschen blieb nicht ohne Wir-kung. Als Brugsch zum vereinbarten Zeitpunkt im Basar erschien, berührte ihn erneut jemand an der Schulter. Er hatte den Mann nie gesehen; der aber lächelte und radebrechte auf englisch, er könne herbeischaffen, was immer der Fremde wünsche. Und zum Beweis zog er mehrere kleine Gegenstände aus den Falten seines Gewandes, Figürchen, Amulette und kleine Gefäße.
Das Gezeigte verschlug Brugsch diesmal die Sprache. Was der Ägypter da aus seinen Taschen fingerte, war ein Vermögen wert. Noch erregender aber erschien, daß jedes Stück den Namensring eines anderen Pharaos trug, daß also offensichtlich nicht ein Königsgrab, sondern eine ganze Galerie von Pharaonengräbern entdeckt worden war. Ob er noch mehr wolle, fragte der Araber. Brugsch mühte sich, ein möglichst gelangweiltes Gesicht zu machen: Ja, wenn er noch bessere Stücke anzubieten habe. Er könne alles haben, sagte der Fellache, sogar eine komplette Mumie, aber die habe natürlich ihren Preis. Ob er der Chef des Unternehmens sei, wollte Brugsch nun wissen, und wie viele Mitwisser es gebe. Der Araber winkte ab, nein, da brauche er sich keine Gedanken zu machen - er, Achmed, sei der Chef des Unternehmens, und nur noch drei Leute wüßten von dem Fund. Emil Brugsch war auf der richtigen Fährte. Er wagte nicht, den Fellachen noch mehr auszuhorchen, er versprach vielmehr, am nächsten Tag zur gleichen Stunde am selben Ort zu sein. Bis dahin solle Achmed klären, was eine Königsmumie koste, man wolle weiterverhandeln. Und damit schnappte die Falle zu.