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Von allen Seiten eilten nun die Menschen herbei, bildeten einen Kreis um das sterbende Häufchen Elend. Es war, als warteten sie auf den Tod. Ein junger Araber beugte sich zu dem Jungen hinab, schob einen Arm unter seinen Kopf und strich ihm mit der anderen Hand die wuscheligen Haare aus der Stirne. Da klappte der Kopf des kleinen Eseltreibers zur Seite - er war tot.

Schreien, Rufen, wilde Gesten in die Richtung, in die der Christenhund geflohen sei. Auf einmal hatten alle irgendeine Waffe in der Hand, Messer, Knüppel, Stangen, eisernes Werkzeug. »Dorthin ist er gelaufen!« - »Wie sah er aus?« -»Dick!« - »Nein, dünn.« - »Aufjeden Fall ein Europäer!« -»Ein Europäer. Schlagt die Europäer tot. Schlagt alle Europäer tot!«

Dem planlos durch die Straßen hastenden Mob schlössen sich immer neue Trupps von haßerfüllten Ägyptern an. Fensterscheiben gingen zu Bruch, Kaufläden wurden geplündert, Menschen niedergetrampelt, erstochen, erschlagen. Die Hauptstadt Alexandria befand sich im Aufruhr. Es wurde Abend, bis die ersten Ordnungskräfte eingriffen; doch bis dahin waren bereits 5 3 Menschen, meist Europäer, verblutet. Als sich die Nacht über Alexandria senkte, machte sich eine gespenstische Ruhe breit, eine Ruhe, von der ein jeder wußte, daß sie trog. Die Lunte glimmte an einem Pulverfaß. Die Tumulte am 11. Juni 1882 waren in der Tat nur der Auftakt zu einem düsteren Kapitel der neueren Geschichte Ägyptens. Eng damit verbunden ist der Name des aus Zaga-zig im östlichen Nildelta stammenden Fellachensohnes Achmed Arabi. Der Offizier in der ägyptischen Armee war zum Führer einer nationalen Bewegung und schließlich zum übermächtigen Kriegsminister geworden. Hochaufgeschossen, aber schwerfällig und mit langsamen Bewegungen zog der zum Pascha avancierte Achmed Arabi sowohl gegen die türkische Oberhoheit als auch gegen die anglo-französische Bevormundung Ägyptens zu Felde. »Wir sind keine Sklaven!« polemisierte er gegen jeden fremden Einfluß. »Und wir wollen auch nicht als solche behandelt werden.« Besorgt um ihre finanziellen Investitionen beobachteten die europäischen Mächte argwöhnisch das Treiben Arabi Paschas. Der Nationalistenführer verstand es jedoch geschickt, seine Anhänger zu mobilisieren. Die Lage spitzte sich immer mehr zu. Kaum ein Tag verging ohne neue Ausschreitungen. Der britische Konsul in Alexandria wurde bei Straßenkämpfen in der Hauptstadt verletzt. Während Frankreich sich aus dem Konflikt zurückzog, stellten die Briten Arabi Pascha ein Ultimatum: Wenn er sich nicht innerhalb von 24 Stunden aus der Zitadelle über dem Hafen zurückziehe, würden sie das Feuer eröffnen.

Mit der Spannung wuchs die Angst der Bevölkerung. Wenn Arabi Pascha nachgab, würde man die nationale Bewegung zerschlagen, ehe sie etwas für Ägypten erreicht hatte. Das Ultimatum verstrich unbeachtet. Alle Schiffe hatten den Hafen verlassen. Die Nacht war gespenstisch still, der Morgen graute, als ein schwerer Donnerschlag die Stadt erschütterte. Die britische Flotte lag drohend im Dunst vor der Küste, die Kanonen auf Alexandria gerichtet. Ein Geschütz nach dem anderen feuerte seine todbringende Ladung in die Stadt. Mannshohe Löcher wurden in die Hauswände gerissen, ein großes Gebäude stand sofort in Flammen, das Feuer griff auf weitere Häuser über. Die ausgedörrten Palmen auf der Hafenpromenade loderten wie riesige Fackeln; dazwischen schreiende, flüchtende Menschen, schwerbeladene Handkarren, vereinzelte Schüsse. Die ägyptische Armee kämpfte erbittert und verzweifelt. Am Ende des ersten Kriegstages waren 2000 Ägypter gefallen und alle Befestigungsanlagen in Schutt und Asche gelegt. Arabi zog sich mit seiner Armee in die Wüste bei Kafs el Dawar zurück und schlug in einem Zelt des Khediven sein neues Hauptquartier auf. Einen nachfolgenden britischen Angriff wehrte er erfolgreich ab.

Militärische Berater bestürmten Arabi Pascha, den Suezkanal zu blockieren, da die Engländer vermutlich von See her angreifen würden. Doch Ferdinand de Lesseps hatte dem Nationalistenführer versichert, die Kanalgesellschaft sei und bleibe neutral. Arabi Pascha glaubte ihm. In der Nacht zum 13. September drang der englische General Wolseley dann jedoch mit seiner Flotte durch den Suezkanal vor, ging mit seinen Truppen unbemerkt an Land und stieß bei Tell el-Kebir auf die ägyptische Armee. Die Schlacht dauerte 3$ Minuten, Arabi Paschas Soldaten flohen in alle Himmelsrichtungen, er selbst wurde gefangengenommen und nach Ceylon in die Verbannung geschickt, Ägypten von britischen Truppen besetzt. Offiziell wurde Ägypten ein britisch-ägyptisches Kondominium. Taufik Pascha blieb zwar weiterhin ägyptischer Vizekönig, und auch das Kabinett behielt seine Funktion, aber der eigentliche Herrscher Ägyptens war der britische General-konsul Lord Cromer. Er reorganisierte zwar das hoffnungslos verfilzte Beamtentum und führte eine effektive Verwaltung ein; die Art, wie er die britischen Interessen vertrat, blieb jedoch fragwürdig.

Hatten bisher Franzosen und Deutsche das alte Ägypten und seine Erforschung als ihre Domäne betrachtet, so schien nun ein neues Zeitalter anzubrechen, und auch im Niltal sprach man auf einmal englisch und amerikanisch. Der Winter-Trip nach Ägypten wurde nun zur gesellschaftlichen Verpflichtung für einen britischen Lord. Man logierte im Shepard's an der Nilpromenade, einer Mischarchitektur aus Cote d'Azur-Hotel und Pharaonen-Palast, ließ sich zum Fünfuhrtee auf der Hotelterrasse sehen und tat der Bildung genüge, indem man einen Dampfer von Thomas Cook & Söhne bestieg und zu den Klängen der Bordkapelle nilaufwärts schipperte, um das Tal der Könige zu besichtigen, in dem immer neue, aufregendere Entdeckungen gemacht wurden.

London. Die langen Gänge im Britischen Museum wirkten bei Nacht noch unheimlicher als bei Tageslicht. Im Lampenschein, der lange, tanzende Schatten verbreitete, schien die riesige Ramses-Statue, die einst Belzoni nach England gebracht hatte, zu leben, den lächelnden Mund zu öffnen und zu sprechen. Die Figuren der Reliefs lösten sich von ihrem steinernen Untergrund und begannen zu wandern. Nur die Mumien, die pietätlos herumlagen, dämmerten vor sich hin. In diesen geheimnisumwitterten Hallen trafen sich an einem kühlen März-Abend zwei Dutzend ehrwürdige Herren und eine etwa 50jährige Dame. Ihr Name: Amelia Edwards. Die erfolgreiche Schriftstellerin, der die Verleger die Manuskripte aus den Händen rissen, trug das blonde Haar streng zurückgekämmt im Nacken gebunden. Ihr Ledermantel mit breitem Pelzkragen entsprach dem letzten Chic der Mode. Die Ärzte, Bankiers und Ägyptologen der hier versammelten Männergesellschaft begegneten ihr mit erkennbarem Respekt.

Schwaden von Zigarrenqualm zogen durch den diffus beleuchteten Konferenzraum, als Miß Edwards sich mit einem kraftvollen »Meine Herren!« Ruhe verschaffte. »Der Zweck unserer Zusammenkunft ist bekannt, und ich brauche, glaube ich, nicht viele Worte zu machen. Die Kultur des alten Ägypten ist für uns alle zu bedeutungsvoll, als daß wir sie Grabräubern, Dilettanten und der Zerstörung überlassen sollten!«

Die Männer in der Runde, unter ihnen alle namhaften Altertumsforscher Englands, nickten zustimmend. Einer der jüdischen Bankiers gab zu bedenken, ob man nicht mit der von den Franzosen in Beschlag genommenen Altertümerverwaltung in Konflikt gerate, wenn nun auf einmal Engländer sich um die Kunstschätze kümmerten. »Wir wollen weder Monsieur Maspero und seiner Altertümerverwaltung noch den Ägyptern irgend etwas wegnehmen!« warf Sir Erasmus Wilson ein. »Masperos Mittel sind äußerst beschränkt, und im übrigen ist ihm die Unterstützung durch eine englische Stiftung höchst willkommen.« Sir Erasmus war ein prominenter Chirurg und Universitätsprofessor. Mit 72 Jahren hatte er im Jahr zuvor zum erstenmal geheiratet. Seiner jungen Frau und dem alten Ägypten gehörte die ganze Leidenschaft seines Alters. So hatte er die für damalige Verhältnisse ungeheure Summe von 10000 Pfund aufgebracht und einen ägyptischen Obelisken zu Schiff nach London bringen lassen. Für die Stiftung hatte er eine größere Summe in Aussicht gestellt.