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Auch die jüdischen Bankiers zeigten sich bereitwillig, machten ihre Zahlungen jedoch von der Erforschung biblischer Stätten in Ägypten abhängig. Reginald Stuard Poole, Archäologe und Leiter der Münzenabteilung im Britischen Museum, sah darin eine willkommene Gelegenheit, endlich auch das Nildelta wissenschaftlich zu erforschen. In diesem von Mücken verseuchten Gebiet hatten bisher nur einige wenige Grabungen unter Mariette und Lepsius stattgefunden. Wallis Budge, ein Museumsassistent, meldete sich freiwillig, wurde aber zurückgewiesen, weil man ihm eine Aufgabe in Mesopotamien übertragen wollte. Budge war damit einverstanden. Auch Flinders Petrie, ein junger Forscher aus Charlton, erklärte sich spontan bereit, im Delta nach der biblischen Stadt Ramses zu graben. Er sei unverheiratet und könne, wenn es gewünscht werde, sich schon morgen auf den Weg machen. Die alten Herren quittierten den Tatendrang des 29Jährigen beifällig.

Doch sie hatten einen anderen Mann im Auge, den Bibelwissenschaftler und Ägyptologen Edouard Naville. Dieser war eigentlich Schweizer, er stammte aus Genf, hatte aber bei Lepsius in Berlin studiert und sich am King's College vor allem mit der Entschlüsselung alter Texte in London einen Namen gemacht. Schließlich einigte man sich, Petrie und Naville loszuschicken und sie an verschiedenen Orten des Deltas graben zu lassen.

Jetzt brauchte das Unternehmen nur noch einen Namen, aber der war schnell gefunden: Egypt Exploration Fund -Stiftung zur Erforschung Ägyptens. Sir Erasmus Wilson übernahm die Präsidentschaft, als Sekretäre des Unternehmens fungierten Amelia Edwards und Reginald Poole. »In Zukunft«, sagte Pool zu Miß Edwards, während die Pferdedroschke durch das nächtliche London rumpelte, »in Zukunft werden die großen Entdeckungen stets mit dem Namen Englands verbunden sein!« Miß Edwards lachte: »Mein lieber Reginald, nehmen Sie lieber den Mund nicht zu voll. Bis jetzt ist England auf dem Gebiet der ägyptischen Altertumswissenschaft noch immer ein unterentwickeltes Land. Die Universitäten unseres Weltreichs haben noch nicht einmal einen Lehrstuhl für dieses Fach!« Pool nickte: »Das ist leider wahr.« Amelia Edwards wischte mit der Hand über die beschlage-nen Scheiben: »Aber ich glaube, ich habe da jemanden im Auge . .. «

Am Nachmittag, gegen 17 Uhr, wenn die Eisenbahn aus Oberägypten einlief, glich der Bahnhof von Kairo einem Hexenkessel. Kofferträger, Eseltreiber, Zeitungs- und Nüsseverkäufer stritten mit bunt uniformierten Bahnbeamten und verschleierten Frauen um einen der vorderen Plätze am Bahnsteig. Wurde dann endlich der Rauch der Lokomotive sichtbar, war die tausendköpfige Menge nicht mehr zu halten, sie rannte dem feurigen Ungetüm entgegen und gab der quietschenden, ächzenden Eisenbahn auf den letzten hundert Metern das Geleit. Obwohl sich dieser Vorgang tagtäglich wiederholte, war er jeden Tag wieder von besonderem Reiz.

Kaum hatte der Zug angehalten, da stürzten die Wartenden zu den Coupes erster Klasse, gleich hinter der Lokomotive, denen festlich gekleidete Menschen entstiegen, Damen in breitkrempigen Hüten, Herren im Gehrock, Geschäftsleute und ausländische Touristen. Sie brachten Geld in die Stadt. Wer aus den hinteren Wagen der dritten und vierten Klasse kletterte, genoß nicht die geringste Aufmerksamkeit, und so fiel der Mann in weißer Kalabija mit rotem Fez auf dem Kopf nicht weiter auf, als er dem Ausgang zustrebte, ein Fellache aus der Provinz.

Als er jedoch in Höhe der Lokomotive das Ende des Bahnsteigs erreicht hatte, prallte er mit einem Kofferträger zusammen, der es besonders eilig hatte. Der Fellache stolperte, rappelte sich wieder hoch, aber dabei rutschte aus den Falten seines weiten Gewandes ein tönerner Gegenstand, so groß wie ein Dachziegel, und zerschellte auf den schwarz-weißen Steinfliesen der Bahnhofshalle. Sofort bildete sich ein Kreis neugierig gaffender Menschen um den angstvoll dreinblickenden Fellachen, der verle -gen auf die Scherben zu seinen Füßen starrte. Das größte der graubraunen Bruchstücke trug unkenntliche Schriftzeichen, und auf einmal rief eine Stimme aus der Menge: »Kadim! Das ist ja antik!«

Der Mann aus der Provinz fühlte sich ertappt, in die Enge getrieben, er stieß einen alten Mann um, hetzte davon und tauchte irgendwo in der Menge unter. Zwei Ordnungshüter sperrten den Fundort ab, beschlagnahmten die Scherben und erstellten ein Protokoll. Eine Lawine kam ins Rollen.

Klein, gedrungen, mit listigen Äuglein hinter der schmalen Nickelbrille, saß er in der Halle des Hotels Luxor, musterte jeden Vorbeikommenden kritisch, lächelte den Damen freundlich zu und blies den Rauch seiner Zigarre genußvoll in die Luft. Wallis Budge galt, zumindest bei den einfachen Leuten, als der beliebteste Altertumsforscher in ganz Ägypten. Bei den Behörden dagegen genoß er einen fragwürdigen Ruf, und jedesmal, wenn der Museumsassistent aus London in Alexandria an Land ging, schlugen die Zollbehörden Alarm, sehr zum Vergnügen des Forschers aus Cornwall. Budges Beliebtheit bei den Ägyptern kam daher, daß er nie Fragen stellte, wenn man ihm irgendwelche Ausgrabungsgegenstände oder Papyri anbot. Außerdem zahlte er faire Preise. Das hatte sich herumgesprochen. Doch diesmal, das merkte der clevere Engländer sofort, stimmte etwas nicht. Mit gespielter Teilnahmslosigkeit musterte er die Gäste in der turbulenten Hotelhalle, die nicht nur als Rezeption und Aufenthaltsraum, sondern auch als Reisebüro für ausländische Touristen diente. Zwei Männer paßten nicht in das Ambiente dieses Hotels, zwei Ägypter in europäischer Kleidung, die sich halb hinter den Säulen versteckt hielten. Der eine tarnte sich zusätzlich mit einer englischen Zeitung, der andere blickte unaufhörlich in eine der Spiegeltüren und ließ Budge nicht aus den Augen. Wallis Budge überlegte: Sollten sie ihn heute nacht beobachtet haben, als er im Boot über den Nil setzte und auf einem Esel zum Tal der Könige geritten war? Das war unmöglich !

Budge hatte in der Nacht einen zwanzig Meter langen Papyrus von einem unbekannten Mann erworben. Soweit er beim Kerzenschein in dem Höhlenversteck erkennen konnte, enthielt er für einen königlichen Schreiber namens Ani Gebete und Hinweise für den Weg ins Jenseits, das sogenannte Totenbuch.

Der Kupferschmied! Budge überlegte. Bei einem Kupferschmied im Basar von Luxor hatte er eine Blechbüchse in Auftrag gegeben und im voraus bezahlt. Hatte sich der Mann Gedanken gemacht, was er wohl in dieser großen Büchse transportieren wolle? - Nervös sprang er auf, ging in der Hotelhalle auf und ab, da stieß ihn ein Araber in schwarzer Kalabija an. »Mister!« sagte er, während er sich beiseite drehte. »Das Haus von Bey Mohammed wird beobachtet, er kann nicht kommen. Aber wenn Sie wollen, sollen Sie ihn nach Einbruch der Dunkelheit aufsuchen und den Hintereingang benutzen.« Der Araber verschwand grußlos, und der Engländer zog sich auf sein Zimmer zurück. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte Wallis Budge, daß er sich nicht getäuscht hatte: Die beiden Männer, die zuvor betont teilnahmslos in der Hotelhalle gewartet hatten, hielten nun sein erleuchtetes Zimmerfenster im Auge. Budge stellte den Docht seiner Lampe noch einmal besonders hoch, schlich dann die Treppe hinab und verließ das Hotel Luxor durch einen Hinterausgang.

Mohammed Muhassib begrüßte den Engländer wie einen langjährigen guten Freund - dabei sahen sich die beiden zum allererstenmal. Mohammed, einst als Hausdiener bei Lady Duff Gordon, galt nun als beste Adresse unter den Antiquitätenhehlern. Sein Konkurrent Mustafa Aga Ayat war alt und gebrechlich geworden.

Der Hausherr klatschte in die Hände, ein Diener trug Me-lokhia auf, das ägyptische Nationalgericht. Mohammed schlürfte die Suppe mit hörbarem Genuß. Wallis Budge unterbrach das schmatzende Geräusch und erkundigte sich nach den Gründen für die ungewöhnlich strengen Bewachungsmaßnahmen.

Mohammed lächelte: »Wenn Sie glauben, daß das alles nur wegen Ihnen stattfindet, dann muß ich Sie leider enttäuschen, Sir. Die Altertümerverwaltung macht beinahe jede Woche irgendwo eine Razzia auf vermeintliche Antiquitätenhändler, läßt Leute verhaften und muß sie meist am nächsten Tag wieder freilassen, weil man ihnen nichts nachweisen kann. Diese Woche sind eben wir dran. Das soll Sie nicht weiter stören, Sir.«