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Mohammed schien noch kaltblütiger zu sein als er selbst. Budge ließ sich das mit Reis und Melokhia-Blättern gekochte Gänsefleisch schmecken, als ein ausgemergelter Fellache unangemeldet den Raum betrat. Er wechselte mit Mohammed ein paar Sätze auf Arabisch, und der Hausherr erzählte ihm, der Alte komme mit ein paar Fundstücken, die er gerne begutachten lassen, eventuell auch verkaufen würde. »Aber wie ist er denn überhaupt hereingekommen?« fragte der Engländer verwundert.

Da verzog sich Mohammeds breites Gesicht zu einem Grinsen. Er hielt die geöffneten Handflächen vor die Brust und sagte: »Allah hat gemacht Melokhia nicht nur für dich und mich, Allah hat gemacht Melokhia für alle. Aufpasser essen Melokhia in der Küche.«

Budge unterbrach jäh sein Gelächter, als ihm der Fellache ein Tontäfelchen unter die Nase hielt. »Kadim?« fragte der Alte. »Ist das antik? Oder jadid - neu?« Der britische Gelehrte, der eine Reise nach Mesopotamien nur aufgrund eines Tips in Ägypten unterbrochen hatte, erkannte sofort, daß es sich um babylonische Keilschrift handelte. Aussehen, Form, Farbe und Struktur waren durchaus mit bekannten Stücken zu vergleichen - und das sprach für die Echtheit des Täfelchens - was dagegen sprach, war ei-gentlich nur die Tatsache, daß sich Budge am Ufer des Nils befand und nicht irgendwo zwischen Euphrat und Tigris. Kopfschüttelnd versuchte er sich in die Keilschriftzeichen einzulesen, da zeigte ihm der Besucher noch ein zweites und drittes Täfelchen, insgesamt waren es schließlich sechs an der Zahl. Budge staunte. Also entsprach die Nachricht, die man ihm bei dem Zwischenaufenthalt in Alexandria zugespielt hatte, der Wahrheit. Ein kleiner Junge hatte ihm beim Verlassen des Schiffes einen Brief in die Hand gedrückt, der in fehlerhaftem Englisch die Aufforderung enthielt, nach Lu-xor zu reisen. Dort würde ihn eine bedeutsame Entdeckung erwarten. Wallis Budge, der Museumsbeamte aus London, war für derlei geheimnisvolle Botschaften durchaus empfänglich. Auf diese Art und Weise hatte er für sein Museum bereits Schätze von höchstem Rang erworben. Je mehr Budge die Täfelchen in seinen Händen herumdrehte, verglich und betrachtete, je mehr er dabei zu der Überzeugung kam, daß er dreitausendjährige KeilschriftDokumente vor sich hatte, desto gleichgültiger und gelassener gab er sich nach außen hin.

»Willst du etwa behaupten, du habest das Zeug im Tal der Könige ausgegraben?« Budge klopfte mit dem Knöchel seines rechten Zeigefingers auf eine der Tafeln. Der fremde Besucher schüttelte den Kopf. »Er kommt aus El-Hagg Quandil«, mischte Mohammed sich in das Gespräch, »einem Dorf in der Mitte zwischen Kairo und Luxor.«

Budge schwieg in der Hoffnung, der Fremde würde weitere Erklärungen abgeben; aber der dachte genauso und wartete noch immer auf eine Antwort. »Du weißt natürlich, daß das keine Hieroglyphen sind«, sagte Budge ohne aufzusehen. Der Fremde nickte und meinte, deshalb sei er ja gekommen, schließlich gelte der Engländer als Schriftenexperte.

Als er merkte, daß er so nicht weiterkam, tat Budge etwas, wozu er sich sonst nie hinreißen ließ, er stellte die Frage: »Woher hast du das Zeug?«

Der Fellache machte keine Anstalten, zu antworten. Erst als Mohammed ein paar ermunternde Worte auf arabisch an ihn richtete, erzählte er: Eine Bäuerin aus El-Hagg Quandil habe nach Sebach gegraben, dem fruchtbringenden Düngemergel, der um das Dorf herum reichlich vorkomme. Dabei sei sie auf ein Versteck mit über 300 solchen Tontafeln gestoßen. Sie habe zunächst eine große Entdeckung vermutet, bis man ihr sagte, daß es sich dabei nicht einmal um ägyptische Schriftzeichen handle. Also gab sie den Kram an einen Dorfbewohner weiter. Der zahlte zehn Piaster - damit konnte man zwei Laib Brot kaufen. Doch dieser Halsabschneider, Allah sei seiner üblen Seele gnädig, habe sie für zehn ägyptische Pfund an einen des Weges kommenden Antiquitätenhändler verschachert. Dem aber bereitete der Weiterverkauf große Schwierigkeiten, nachdem irgendein Altertumsforscher behauptet hatte, es handle sich um Keilschriftzeichen, und Keilschrift-Aufzeichnungen seien noch nie in Ägypten gefunden worden. Deshalb habe er die Tafeln für einen Bak-schisch weitergegeben. »Alle?«

Der Fremde nickte. Er selbst habe nur noch diese sechs; aber sein Freund Hassan nenne weitere 77 sein eigen, das heißt, jetzt seien es nur noch 76. Die größte Tafel sei diesem Dummkopf auf dem Bahnhof in Kairo aus der Kalabija gerutscht und zersprungen. Seither werde er im ganzen Land steckbrieflich gesucht. »Das ist doch ein Zeichen dafür, daß die Tafeln von Wert sind!« rief der Fellache. »Das kommt darauf an«, meinte Wallis Budge - »vorausgesetzt, sie sind echt!«

Wo denn sein Freund Hassan sei. - »Unten in der Küche, dieser Freßsack!« Er esse mit den Polizisten. Mohammed ging zur Tür, rief etwas Unverständliches, und im nächsten Augenblick erschien Hassan mit zwei Bün-dein unter dem Arm. Er legte sie vor dem Engländer auf den Boden und wischte sich mit dem Ärmel verlegen über den Mund. Budge öffnete eines der Stoffbündel und wickelte die sorgsam verschnürten Tontafeln aus. Während er eine um die andere in die Hand nahm und begutachtete, sagte Budge mit gespielter Ruhe: »Echt oder nicht echt, das ist eine sehr schwierige Frage. Dies festzustellen, kann Wochen dauern, und die Wahrscheinlichkeit, in Ägypten ein Keilschrift-Original zu finden, spricht eigentlich gegen diesen Fund . ..« Budge unterbrach sich. Gleich die erste Tafel aus dem einen Packen, den Hassan vor ihn hingelegt hatte, trug, deutlich erkennbar, die Schriftzeichen »A-na Ni-ib-mu-a-ri-ja« - an Nibmuarija. Wer war dieser Nibmuarija? Und da: »Ihar matu Mi-is-ri« - König des Landes Ägypten.

Doch plötzlich begriff Budge den Zusammenhang. Diese unscheinbaren Tontäfelchen waren Briefe an einen ägyptischen König und damit von größter historischer Bedeutung. »Wie immer die Prüfung ausgehen wird«, wiederholte der Engländer, »ich werde Euch die Tafeln zu einem fairen Preis abkaufen.«

Die beiden Ägypter sahen ihn argwöhnisch an. »Oder habt Ihr schon einmal etwas Gegenteiliges gehört?« fragte Budge. »Dann nehmt das Zeug wieder mit, zerreibt es zu Sebach, damit Eure Felder besser gedeihen!« Bei diesen Worten legte er die Tontafeln auf das Bündel zurück. Aber nein! Die Fellachen wehrten das Ansinnen des Engländers ab. Sie vertrauten ihm voll und ganz, er möge die Täfelchen behalten und auf ihre Echtheit prüfen. »Effendi! Effendi!« Mohammeds Diener stürzte atemlos in den Raum. »Die Polizei hat das Schatzhaus umstellt und den Zugang versiegelt!«

»Das Schatzhaus?« Mohammed machte ein kummervolles Gesicht. Mitten im Dorf, an der Rückfront des Hotels Luxor, gab es eine alte, halbverfallene Scheune, von der nie-mand wußte, was darin aufbewahrt wurde und wem sie überhaupt gehörte. In diesem heruntergekommenen Bauwerk, das keine Fenster, aber meterdicke Mauern hatte, bewahrten Antikenhändler ihre Schätze auf, jeder für sich. Hier verschwand keine einzige Perle, das war Ehrensache! »Jemand muß uns verpfiffen haben!« sagte Mohammed zornig. »Aber warum haben sie das Tor versiegelt?« »Die Polizei hat den Befehl, auf die Ankunft des Dampfers der Altertümerverwaltung zu warten«, sagte der Diener. Jetzt wurde auch Budge unruhig. In dem Lagerhaus, das über und über mit Schätzen aus zahllosen Raubgrabungen angefüllt war, bewahrte auch der Engländer seine neuesten Erwerbungen auf, Papyrusrollen, mehrere Kisten mit kleineren Kostbarkeiten, Jahrtausende alte Totenschädel, die er für einen englischen Anatomie-Professor erworben hatte, und eine Mumie samt Sarkophag.

Mohammed gab seinem Diener Order, mit einer Flasche Cognac zum Schatzhaus zu gehen und die Polizisten zu einem Gläschen einzuladen. Doch der Lakai kam erfolglos zurück, die Wächter hätten ihm Prügel angedroht und den Cognac nicht einmal angerührt. Die Lage sei brenzlig, sie erforderte einen höheren Aufwand. Budge verließ das Haus Mohammeds durch den Hintereingang und eilte in sein Hotel, wobei er ebenfalls wieder den rückwärtigen Zugang wählte. In einem kurzen Gespräch schilderte er dem Hotelmanager seine prekäre Situation und die der Hehler von Luxor, dann weihte er ihn in seine Pläne ein. Es mußte schnell gehen. Vor dem Hotel Luxor nahm eine lärmende Folkloregruppe Aufstellung. Bildhübsche Bauchtänzerinnen warfen ihre breiten Hüften, Flötenspieler entlockten ihren Instrumenten schrille Töne, und Trommler schlugen ihre Felle, daß auch die letzten Hotelgäste aus dem Schlaf gerissen wurden, auf die Straße eilten und mitklatschten. Zur gleichen Zeit meißelte ein gut eingespieltes Team von Grabräubern im Hotel-Park die Rückseite des Schatzhauses auf. Während die Musiker und Tänzerinnen die Straße auf und ab zogen, lösten die Männer in der Dunkelheit Stein um Stein lautlos aus dem Mauerwerk. Sie waren diese Art von Arbeit von zahllosen Raubzügen gewöhnt. Nacheinander wurden die kostbaren Ausgrabungsgegenstände nun durch das enge Mauerloch gehoben und verschwanden irgendwo im Dunkeln. Wallis Budge stapelte seine Schätze im Schrank seines Hotelzimmers, den Sarkophag mit der Mumie mußte er zurücklassen. Er war der Ansicht, eine geringe Beute müsse den Kontrolleuren der Altertümerverwaltung in die Hände fallen, sonst würden sie weitersuchen. Außerdem versprachen die Hehler, umgehend eine neue, bessere Mumie nachzuliefern. Budge zahlte für die Tafeln hundert Pfund, und der Fella -che war es zufrieden. Der englische Forscher aber schloß sich in sein Hotelzimmer ein und versuchte mühsam, die Jahrtausende alten Dokumente zu entschlüsseln. Doch je mehr er sich in die tönernen Briefe vertiefte, hier und dort einen Namen, ein Wort, eine Zahl, einen Begriff entschlüsselte, desto bedeutungsvoller erschien ihm der Fund. Da feilschten Könige um Frauen und Mitgift, warben um Freundschaft und drohten sich Krieg an. Nur - wer hier an wen schrieb, das blieb Budge noch verborgen. Eines aber war gewiß: Diese unscheinbaren, abgestoßenen Stimmen aus dem zweiten Jahrtausend würden in nicht allzuferner Zeit große weiße Flecken in der Geschichte Ägyptens auffüllen. Der Brite machte sich nun auf die Suche nach den übrigen Tontafeln, brachte in Kairo drei Händler in Erfahrung und erlebte eine bittere Enttäuschung. Der erste hatte ein gutes Dutzend an unbekannte Privatsammler weiterveräußert, vom zweiten waren siebzehn Tafeln dem Museum zur Begutachtung vorgelegt und sofort beschlagnahmt worden -und Ali Abd el-Haj, der dritte, hatte über hundert Tafeln an einen Wiener Teppichhändler verkauft. Der aber wurde mit dem Kauf auch nicht gerade glücklich und gab den Schatz, mit Gewinn, versteht sich, an einen Ankäufer des Ägyptischen Museums in Berlin weiter. Dort wuchs inzwischen eine neue Generation von Altertumsforschern heran. Lepsius war tot, Adolf Erman hatte sein Erbe als Museumsdirektor übernommen. Und die Deutschen zeigten sich nicht bereit, das ägyptische Altertum nur den Engländern und Franzosen zu überlassen.