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XI. Das Geheimnis von Tell el-Amarna

»Ach, Ihr habt wohl schon gedacht, der alte Brugsch hat die Schaufel aus der Hand gelegt«, sagte der Berliner pfiffig. »Nee, nee, nicht ohne noch ein letztes Mal meine zweite Heimat bereist zu haben. Ich habe hier ein Vierteljahrhundert in den verschiedensten Lebenslagen gelebt, das kann man nicht so einfach vergessen . . .«

Die Wüstenebene von Teil el-Amarna, 250 Kilometer südlich von Kairo, war schon immer so steinig, staubig und abstoßend unwohnlich, daß selbst die Altertumsforscher einen weiten Bogen um sie machten. Und das, obwohl Felsengräber am Rand der Ebene und gelegentliche Funde auf eine ruhmreiche Vergangenheit hinwiesen. Aber die Gräber wurden schon vor Jahrhunderten ausgeraubt, und Skarabäen und Statuetten kamen auch an weniger abweisenden Orten nahe der Zivilisation ans Tageslicht. Doch dann geschah eines Tages für die Einwohner der Stadt Der Mauas das Unglaubliche: Der Zug von Kairo hielt in dem kleinen verkommenen Bahnhof, und Engländer luden Blechkoffer, Reisekisten, Werkzeuge und Lebensmittel aus und charterten ein Schiff zum Ostufer des Nils. Unterwegs warben sie Arbeitskräfte an, und die Fellachen rissen sich um einen Arbeitsplatz; denn der englische Anführer, Flinders Petrie, zahlte zehn Piaster am Tag - die meisten hätten sich auch für zwei Piaster verdingt.

Petrie, der seinen ersten Grabungsauftrag im Nildelta ausgeführt hatte, wurde nun vom Egypt Exploration Fund mit zwei Assistenten nach Teil el-Amarna geschickt, um zu erforschen, welche Geheimnisse dieser Hügel berge. Genaugenommen verdankte er diesen Auftrag Wallis Budge. Budge hatte seine 82 Tontafeln mit nach Mesopotamien genommen, sie von dort im Gepäck eines indischen Fürsten auf ein englisches Schiff geschmuggelt und schließlich wohlbehalten nach England gebracht, wo sie dem Britischen Museum zu hohem Ansehen verhalfen; denn in Berlin, wo sogar 200 Tafeln angelangt waren, hatten die Schriftgelehrten inzwischen die Keilschrift-Texte übersetzt und eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Bei den Täfelchen handelte es sich um die außenpolitische Korrespondenz der Pharaonen mit den Königen Vorderasiens. Mit einemmal galt die Wüstenebene, in der die Bäuerin jene Tafeln ausgegraben hatte, als vielversprechendes Grabungsgebiet.

Die ersten Tage verbrachten Petrie und seine Ausgräber damit, Steine und Ziegel zusammenzutragen, aus denen sie primitive Hütten bauten, die sie mit Nilschilf abdeckten. »Effendi! Effendi, look!« Der Vorarbeiter hielt Petrie eine aus Gips gepreßte Totenmaske unter die Nase. »Ich habe Lehmziegel aufgehoben«, berichtete er voll Stolz, »und da lag sie im Sand.«

Flinders Petrie begutachtete den Fund von allen Seiten. Das Gesicht kam ihm bekannt vor. War es nicht jener rätselhafte Pharao Echnaton, der vielerorts in Ägypten seine Spuren hinterlassen hatte, dessen ausgeraubtes Grab man am Randgebirge entdeckt zu haben glaubte und über den man doch so wenig, fast gar nichts wußte. »Wo hast du das gefunden? Zeig mir die Stelle!« sagte Petrie. Der Vorarbeiter führte den Forscher zu einer langen Mauer, fraglos die Begrenzung einer größeren Palastanlage. Nur einen Steinwurf entfernt waren die Keilschrift-Tafeln ans Tageslicht gekommen.

»Hier fangen wir an!« sagte Petrie und setzte einen Fuß besitzergreifend auf die Mauer. »Aber vorsichtig, das alles sind nur ungebrannte Nilschlammziegel, die keiner Spitzhacke standhalten!«

Was so erfolgreich begonnen hatte, erwies sich in den folgenden Tagen dann doch als Fehlanzeige. Petrie predigte seinen Arbeitern, sie sollten alle Scherben, jede Kleinigkeit, aufheben und in Körben sammeln. Die Fellachen befolgten es widerwillig, weil sie den Sinn dieser Arbeit nicht einsahen. Schließlich war Petrie der erste, der so vorging. Weder Franzosen, noch Deutsche hatten bei ihren Ausgrabungen bisher auf Tonscherben Wert gelegt. Inschriften und Bruchstücke von Skulpturen - ja, aber keine Tonscherben. Davon gab es im Niltal ohnehin viel zuviele.

Petries Überlegungen gingen dahin, daß Scherben Relikte einer Kulturepoche sind und daß ein und dieselbe Stelle oft von mehreren Kulturschichten überlagert ist. Scherben, die vom Material wie von der Bearbeitung gewisse stilistische Eigenarten aufwiesen, lieferten also bei entsprechender Sortierung interessante Hinweise. Allein die Menge der verschie -denen Tonscherben ließ Schlüsse zu: Eine größere Anzahl deutete auf eine längere Epoche hin, gab es nur wenig Scherben, so dauerte dieser Zeitabschnitt vermutlich nicht so lange.

Nach einer Woche Grabungsarbeit hatte Flinders Petrie in Teil el-Amarna nur Scherben gefunden, Scherben, auf denen er beim Sortieren jedoch zahlreiche Jahresangaben entdeckte. »Im fünften Jahr der Regierung des Pharao«, hieß es da zum Beispiel. Dabei handelte es sich offensichtlich um zu Bruch gegangene Vorratskrüge. Eines fiel sofort auf: Die Zahlenangaben bewegten sich allesamt zwischen eins und siebzehn. Es schien, als hätte dieser rätselhafte Pharao nur siebzehn Jahre regiert.