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Petrie stellte dem Chef seine beiden Assistenten Haworth und Kennard vor, und zuletzt Howard Carter. »Ein begabter junger Mann«, bemerkte Petrie, »er hat die Stadtpläne von Amarna gezeichnet. Sie haben sie doch erhalten?« Morgan verneinte, er wisse nichts von Amarna-Plänen. Jedenfalls seien diese Pläne nicht in Kairo eingetroffen. Petrie sah Carter an: »Entweder du hast einen Feind, der dir deine Leistungen neidet, oder Grabräuber sind auf unseren Spuren. Wenn die Pläne in die Hände von Grabräubern gelangen, dann ist die Stadt des vierten Amenophis für uns verloren!«

»Verloren? - Wieso verloren?« erkundigte sich Jacques de Morgan.

»Monsieur«, meinte Petrie mit einem spöttischen Unterton, »Mister Carter ist ein sehr gewissenhafter junger Mann. Er hat Achetaton nicht nur exakt vermessen, er hat in seine Pläne auch alle Gebäudeteile, die wir bisher geortet haben, und alle Fundstellen eingezeichnet. Die Gangster brauchen nur noch hinzugehen und zu graben.« Morgan überlegte kurz, dann sagte er: »Sie haben recht, Petrie, das Verschwinden der Pläne ist kein Zufall. Ich werde sofort nach Minia telegrafieren. Man muß eine Polizeistreife nach Amarna schicken. Diesen Gangstern werden wir die Suppe versalzen!« Im Gehen rief er einem seiner Begleiter zu: »Kümmern Sie sich um die Herren Engländer! Wir sehen uns alle heute abend an Bord.«

Die am Ufer vertäuten Schiffe waren bunt beleuchtet und zauberten ein festliches Glitzern in den nächtlichen Nil. Die Schwüle des Abends war einer kühlen Brise gewichen. Kapitän Canaque, der sich selbst gern Kommandant des Schiffes nannte, begrüßte die Gäste und geleitete sie zum holzgetäfelten Konferenzraum, in dem ein festliches Diner für über zwanzig Personen gedeckt war. Aus den offenen Luken der Kombüse zog der herbe Duft stark gewürzter Hammelkoteletts. Sayce, Wilbour und Budge hatten ihre Frauen mitgebracht - sie reisten nie ohne sie. Allgemeines Aufsehen erregte Marguerite, die junge Frau Edouard Navilles. Die Tochter eines Grafen de Pourtales war nicht nur außergewöhnlich hübsch, sie verstand auch viel von der Wissenschaft und plauderte klug und kenntnisreich. Im Gegensatz dazu war an der Konversation von Madame Budge die Lautstärke das einzige Bemerkenswerte. Flinders Petrie und Victor Lo-ret, die jüngsten Ausgräber der Runde, waren noch unverheiratet. Sie kamen in Begleitung ihrer Assistenten. Als letzter nahm Howard Carter am unteren Ende des langen Tisches Platz. Wie zufällig blieb der Stuhl zur Rechten Morgans frei. »Da kommt wohl noch jemand!« sagte Wallis Budge in seiner gewohnt trockenen Art, und Morgan antwortete schlagfertig: »Wenn ich mich in dieser erlauchten Runde so umblicke, dann fehlt noch der Größte!« Morgan erhob sich, ging zur Schwingtür und stieß sie auf. In der Tür stand Heinrich Brugsch - weißhaarig, alt geworden, ein wehmütiges Lächeln um die heruntergezogenen Mundwinkel. 65 Jahre eines aufreibenden Lebens hatten im Gesicht dieses Mannes deutliche Spuren hinterlassen. »Brugsch Pascha!« Ein Ruf des Erstaunens kam wie aus einem Mund.

»Ach, Ihr habt schon gedacht, der alte Brugsch hat die Schaufel aus der Hand gelegt«, sagte der Berliner. »Nee, nee, nicht ohne noch ein letztes Mal meine zweite Heimat bereist zu haben. Ich habe hier ein Vierteljahrhundert in den verschiedensten Lebenslagen gelebt, das kann man nicht so einfach vergessen. An seiner Heimat hängt man doch, auch wenn's nur die zweite ist!«

Die Überraschung war gelungen. Umringt von den jungen Kollegen, die ihm bewundernd die Hand schüttelten und freundschaftlich auf die Schultern klopften, geleiteten sie den großen alten Mann der Ägyptologie, dem der Vizekönig den Ehrentitel eines Paschas verliehen hatte, zu seinem Platz. Ein dunkelhäutiger Diener fragte, was er zu trinken wünsche.

»Roten Burgunder«, antwortete Heinrich Brugsch ohne zu überlegen und fügte schmunzelnd hinzu: »Ich weiß, daß alle französischen Ausgräber Burgunder im Reisegepäck haben!« Dann erzählte er von seiner ersten Begegnung mit Mariette und wie er mit ihm in einem der riesigen Stiersarkophage diniert und roten Burgunder getrunken habe. »So gut«, rief er aus und blickte in die Runde, »ging es uns damals nicht. Einen gedeckten Tisch und einen holzgetäfelten Konferenzraum bekamen wir oft ein halbes Jahr nicht zu Gesicht.«

Brugsch musterte jeden einzelnen am Tisch. Wen er kannte, zu dem sprach er ein paar freundliche Worte. Bei Wallis Budge konnte er sich den Hinweis nicht verkneifen, daß in Berlin mehr als doppelt so viele Keilschrift-Täfelchen aus Amarna zu bewundern seien wie in London. Budge konterte, er habe sich eben noch nie illegaler Methoden beim Erwerb von Kunstschätzen bedient, und erntete großes Gelächter.

Hinter vorgehaltener Hand, als sollte Morgan es nicht hören, sagte Brugsch: »Vielleicht können wir sogar ins Geschäft kommen. Ich reise nämlich nicht zu meinem Privatvergnügen. Die königlichen Museen Berlin haben meine Reise bezahlt, ich soll ein paar günstige Stücke erwerben. Ein alter Hochschullehrer kann sich teuere Reisen nicht mehr leisten.«

Die Anwesenden schüttelten ungläubig die Köpfe, jedes Kulturland der Erde würde sich glücklich schätzen, einen Forscher wie Heinrich Brugsch zum Ruhme der Nation arbeiten zu lassen.

»O weh«, kicherte Brugsch, »mit dem Ruhm des Vaterlandes ist es so eine Sache. Der liebste Ruhm ist dem Vaterland immer noch jener, der nichts kostet. Und so ziehe ich halt als Reiseprediger durchs deutsche Vaterland . . .« »Sie halten Vorträge?«

»Ich weiß sehr wohl, daß mancher Gelehrte den Kopf schüttelt über meinen Entschluß, die altägyptischen Geheimnisse vor profanen Augen zu enthüllen, und daß wohlbesoldete Priester der Weisheit sich über meine Wanderungen in ironischen Redensarten ergehen. Aber ich bin entgegengesetzter Meinung. Mir ist keine wissenschaftliche Erkenntnis zu hoch, um nicht in ihrer einfachen Gestalt, ohne gelehrte Verbrämung, auch von Uneingeweihten verstanden zu werden. Diese Vergangenheit«, Brugsch klopfte auf den Tisch, »ist unser aller Vergangenheit, die der Engländer, der Franzosen und der Deutschen, und jedermann hat das Recht, sie zu erfahren.« »Bravo!« rief Morgan, einige Männer klatschten, andere sahen betroffen vor sich hin.

»Aber«, meinte Brugsch, »all das ist das Geschwätz eines alten Mannes. Nun will ich von Euch Jungen hören, was hat der Boden Neues hergegeben? Was macht mein geliebtes Tal?«

Während das duftende Mahl aufgetragen wurde, berichtete Jacques de Morgan von den Grabungen im Tal der Könige. Naville und Loret würden an verschiedenen Stellen graben, aber die Sondierungen hätten bisher zu keinem Ergebnis geführt.

Der alte Brugsch schüttelte den Kopf: »Ist es nicht grotesk? Die größten Entdeckungen verdanken wir nicht unserer Forschungsarbeit, sondern dem Zufall.« »Die Grabräuber nicht zu vergessen!« warf Wilbour ein. Und Edouard Naville erklärte, ein Grabungsarbeiter, den er besonders ins Herz geschlossen habe, habe angedeutet, daß die Leute von el-Kurna einen neuen aufsehenerregenden Fund gemacht hätten. Näheres wüßte er selbst nicht zu berichten. Auch Budge erzählte, von dieser Entdeckung gehört zu haben. Er wisse aber nur, daß sie so umfangreich sei, daß es offenbar Schwierigkeiten bereite, sie auf dem schwarzen Markt zu veräußern.

»Wenn ich Ihnen da vielleicht behilflich sein kann«, meinte Brugsch an Morgan gewandt, »ich kenne die Leute von Kurna recht gut. Ich habe doch jahrelang mitten unter ihnen gelebt.« Der Direktor ging auf das Anerbieten gern ein, und sie verabredeten sich auf den frühen Morgen, noch bevor die Hitze derartige Exkursionen zur Qual machte.

Am nächsten Morgen erwartete Achmed Abd er-Rassul, der Hüter des Tales, Morgan und Brugsch am Fuße der Mem-non-Kolosse und begleitete die Besucher nach einer herzlichen Begrüßung den steinigen Weg hinauf nach Der el-Me-dina. Es gab viel zu erzählen. Voll Stolz zeigte Achmed hin-über nach Schech abd el-Kurna, wo sich ein neuerrichtetes weißes Gebäude von den übrigen deutlich abhob. »Mein Haus«, sagte Achmed, »schönstes Haus von Kurna.«