XIII. Männer, Träumer und Rivalen
Spät, nach Mitternacht, saß Borchardt, der nüchterne Planer und Architekt, bei Kerzenschein in seinem Zimmer, vor sich dieses lebendige Standbild der Königin, das edle, tadellose Profil, und es schien ihm, als bewegten sich ihre Lippen, als formten sie die Frage: »Warum hast du mich nicht in Ruhe gelassen -dort, wo ich war, im Schutt der Jahrtausende?« Und Borchardt, zwischen Traum und Wirklichkeit, antwortete beinahe andachtsvolclass="underline" »Weil es glücklich macht, nach den Anfängen zu forschen. Wir können dieses unser Leben nur dann verstehen, wenn wir unsere Anfänge kennen. Und hier, auf diesem Boden, liegen die Anfänge unserer Kultur.«
Er war klein, untersetzt und drahtig und hatte die nervösen Bewegungen eines Kettenrauchers. Aber er war voller Energie - was er sich in den Kopf setzte, das führte er auch aus. Und in den Kopf gesetzt hatte er sich nun einmal, im Tal der Könige zu graben, wenn es sein mußte bis in zehn Meter Tiefe. »Entweder«, tönte Theodore Davis selbstbewußt, »ich gehe in die Geschichte ein als lächerlicher Dummkopf, oder man wird mich als großen Entdecker feiern!« Der clevere Geschäftsmann Davis, der nichts im Leben dem Zufall überließ, hatte natürlich auch dieses Unternehmen bis ins kleinste durchkalkuliert, alle Möglichkeiten mit namhaften Forschern erörtert und war so zu der Überzeugung gelangt, daß das Tal noch manche Sensation verborgen hielt, nur müsse man mit ungeheuerem Aufwand arbeiten. Man müsse dreimal so tief graben wie alle bisherigen Forscher und Stellen angehen, an die sich bisher aufgrund technischer Schwierigkeiten kein Ausgräber gewagt hatte. Davis handelte Maspero eine Exklusiv-Konzession für das Tal ab. Der Marquis von Northampton und der britische Chemie-Industrielle Sir Robert Mond, die seit Jahren, jeder für sich, ihre eigenen Ausgrabungen betrieben, störten den kleinen Amerikaner bei seinem Vorhaben. Ein paar hundert Grabungsarbeiter wurden angeworben und drei Männer vom Fach, der 23jährige Arthur Weigall, sein etwas jüngerer Kollege Edward Ayrton und Inspektor Howard Carter, allesamt Engländer.
Carter hatte keinen leichten Stand seit dem mysteriösen Überfall auf das Grab Amenophis' II. Der Inspektor war felsenfest überzeugt, daß die Abd er-Rassuls hinter dem Komplott steckten, aber alle Ermittlungen waren im Sand von el-Kurna verlaufen, und seither wurde Carter von den Einheimischen gemieden, die Kinder warfen Steine hinter ihm her. Howard Carter war genau der richtige Mann für die aussichtslos scheinende Aufgabe, die sich Davis vorgenommen hatte. Aber wo sollte er ansetzen? Dort, wo Dutzende vor ihm aufgegeben hatten? Oder da, wo sich andere aufgrund der Unwegsamkeit des Geländes bisher nicht herangewagt hatten?
Der eigensinnige Engländer entschied sich für den steilabfallenden Südosthang des Tales, sehr zum Leidwesen seines Geldgebers, der meinte, ein Stück weiter unten würde er sich die Schuhe weniger schmutzig machen. Aber Davis redete dem Experten nicht drein. Dicht unterhalb des Weges, der über das Gebirge nach Der el-Bahari führt - jeder in der Gegend war ihn Hunderte Male gegangen -, stieß Carter schon nach drei Tagen auf einen gemauerten Eingang. Theodore Davis war entzückt, glaubte den größten Fund der Geschichte gemacht zu haben und verschickte Einladungen nach Amerika zur Eröffnung »seines Grabes«. Aber Carter ließ sich nicht beeindrucken, nach einer Woche öffnete er die Gruft. Altertumsforschung sei keine Theatervorstellung. Zunächst mußte Carter feststellen, daß das Grab schon in alter Zeit ausgeraubt worden war. Ausstattung und Größe ließen einen wenig bedeutenden König mit nur kurzer Regie -rungszeit vermuten. Inschriften verwiesen auf Thutmosis IV., der acht Jahre über das Nilreich herrschte und mit der Schwester des Mitanni-Königs Schutarna verheiratet war. Abgesehen von einem Wagen und ein paar Kleinmöbeln hatten die Grabräuber nichts zurückgelassen. Theodore Davis konnte seine Enttäuschung nicht verbergen und versuchte seine Ausgräber mit Geldprämien zu motivieren. Carter dagegen war stolz über seine erste Entdek-kung und beruhigte den Amerikaner, das sei doch alles erst ein Anfang.
»Und wo wollen Sie nun weitergraben?« erkundigte sich der 66jährige.
Carter deutete auf ein wenige Schritte entferntes Loch im Boden. »Ich will endlich wissen, wo dieser Gang hinführt.« Ayrton und Weigall warnten den Inspektor mit erhobenen Händen, an dieses Projekt heranzugehen. Seit hundert Jahren hätten Ausgräber sich an diesem verschütteten Felsstollen versucht, Napoleon hätte nach 26 Meter aufgegeben, Lepsius nach 46, und die einzige Erkenntnis, die beide aus der mörderischen Arbeit gewonnen hätten, sei die Tatsache, daß sich der endlos scheinende abwärts führende Gang im Uhrzeigersinn nach rechts drehe. »Weder Napoleon noch Lepsius konnten auf elektrisches Licht zurückgreifen«, verteidigte Carter seinen Plan, »aber gerade die Beleuchtung ist das größte Problem bei diesem Grab. Es ist mir überhaupt ein Rätsel, wie die Grabbauer ihre Arbeit bewältigten; denn mit Sonnenspiegeln konnten sie nicht graben, und Fackeln raubten ihnen die Luft.« Ayrton fragte, warum gerade dieses Grab keinen geradli-nigen, sondern einen gewundenen Zugang habe; aber Carter winkte ab, bei näherer Prüfung des Gesteins werde das durchaus klar. Schon nach den ersten zehn Metern hätten die Steinhauer gemerkt, wie morsch und brüchig der Fels war, untauglich für jede Bearbeitung und Malerei, also hätten sie unter der Erde die Richtung geändert, auf der Suche nach besserem Gestein.
»Ich habe natürlich keinen Beweis in Händen«, sagte Carter, »aber ich glaube, wenn es sich um einen unbedeutenden König gehandelt hätte, dann hätte man nach 40 Metern eine Grabkammer geschlagen und den Pharao bestattet. Doch in diesem Fall scheint der König weder Mühen noch Kosten gescheut zu haben, und das spricht für eine bedeutende Persönlichkeit.«
»Carter hat recht«, sagte Theodore Davis, der die Diskussion mit sichtlichem Interesse verfolgte, »wenn sogar Napoleon den Stollen aufgegeben hat, so wird dadurch die Wahrscheinlichkeit nur um so größer, daß auch Grabräuber nicht bis in das Innerste vorgedrungen sind.« Weigall wurde unruhig: »Um welchen Pharao könnte es sich dabei handeln, Mister Carter?« »Ich lehne solche Spekulationen ab«, bemerkte Carter schroff. »Wie wir gesehen haben, wurden schon einige Pharaonen im Grab ihrer Vor- oder Nachfahren gefunden, außerdem entdecken wir immer neue Könige, die aus irgendwelchen Gründen in den alten Königslisten nicht geführt wurden. Denken Sie nur an den rätselhaften König Echn-aton oder an Tut-ench-Amun, von dem im Tempel von Lu-xor die Rede ist.«