Tiefe abseilen lassen.«
»Das soll geschehen. Und zwar sofort!«
»Wie es Euch beliebt«, meinte Mariette. »Leute, ans Werk!«
Sie seilten den Bimbaschi in einen alten Grabschacht und warfen, als er unten angelangt war, das obere Ende des Seiles hinterher.
Mariette spielte Entsetzen: »Monsieur le Major, uns ist das Seil entglitten. Aber seid unbesorgt, wir lassen aus Kairo ein neues kommen!«
Von unten hörte man die Stimme des Alten fluchen, schimpfen, drohen. Es sei überhaupt kein Goldschatz zu sehen, man habe ihn hereingelegt. Das werde Folgen haben. »Kein Goldschatz?« rief Mariette in die Tiefe. »Allah sei uns gnädig; dann haben ihn Diebe geraubt!« 24 Stunden dauerte das Possenspiel. In der Zwischenzeit lief ein sorgfältig geplantes Unternehmen ab. Mariettes Arbeiter schaufelten einen mit Sand zugedeckten Grabeingang frei. Staunend sah Brugsch, wie die Männer Holzkisten aus der Höhle schleppten und auf eine Kamelkarawane verfrachteten. Jede einzelne Kiste trug die Aufschrift: Louvre, Paris. Als das Schiff mit seiner kostbaren Fracht bereits nilab-wärts segelte, wurde der alte Major aus seinem Gefängnis befreit. Mariette dämpfte seinen Zorn sehr schnell, indem er ihm eine Handvoll französischer Goldmünzen in die Hand drückte. Auch die Bedenken, was er denn nun dem Pascha vorzeigen solle, verstand der Franzose zu zerstreuen. Aus einer zweiten Höhle ließ Mariette weitere Holzkisten hervorholen, die mit Scherben und zweitklassigen Funden gefüllt waren, was den Pascha im übrigen nicht weiter störte. Er ließ die Beute auf die Zitadelle schaffen, die Inschriften und Reliefs abschleifen, um ihnen ein hübscheres Aussehen zu verleihen, und präsentierte den Rest als besondere Merkwürdigkeiten ausländischen Besuchern.
Pascha Abbas I. lag mit über dem dicken Bauch gefalteten Händen auf dem Diwan, neben sich eine Peitsche. Sein schwarzbärtiges Gesicht hatte den gewohnt mürrischen Ausdruck, der Mund war nur ein Strich. Abbas trug weite Pluderhosen und einen Fez. Zu seinen Füßen gähnte ein Löwe. Zwei nackte schwarze nubische Sklaven hinter dem Diwan fächelten ihm mit Straußenfedern Kühle zu. Abbasija, ein selten geschmackloses Nilschloß bei Heliopolis, bevorzugt in himmelblauer Farbe gehalten, war nur eine von einem halben Dutzend Residenzen, in denen sich der ägyptische Vizekönig von des türkischen Sultans Gnaden wechselweise aufhielt. Wie die römischen Kaiser befürchtete er tagtäglich ein Attentat. Das Volk nannte ihn den »Grausamen«. Er war ein pathologischer Sadist. »Meine Enkel sollen ernten, was ich gesät habe«, soll sein weiser Großvater Mohammed Ali einst gesagt haben. Aber die Schulen, Universitäten und Fabriken, die Mohammed Ali hatte errichten lassen, wurden von seinem Enkel, der nahezu alles Europäische haßte, geschlossen. Abbas erntete nicht, er zerstörte nur. Die hinter seinen Aggressionen stehende Angst war nicht unbegründet; denn an der Spitze der Opposition, deren Druck zunehmend stärker wurde, standen sein Onkel Said und sein Neffe Ismail. Abbas klatschte in die Hände. Eine Horde rotlivrierter Diener drängte durch eine Seitentür in den Audienzraum. Vor sich her stießen sie eine an den Händen gefesselte junge Frau. Sie trug ein rosafarbenes durchsichtiges Gewand, das aus einer weiten Bluse und einer flatternden Pluderhose bestand. Den Mund bedeckte ein zarter Schleier. Das Mädchen fiel vor dem Diwan des Paschas auf die Knie und schluchzte leise. Der Anführer der Diener zog ein Schriftstück hervor und verlas theatralisch, Emine, die achte Ehefrau des Paschas Abbas L, sei des Ehebruchs überführt und durch allerhöchsten Befehl zum Tode durch Ertränken bestimmt.
Ohne ein Zeichen von Gefühlsregung nahm Abbas seine Peitsche und warf sie dem Anführer zu. Zwei Diener richteten die wimmernde Frau auf, rissen ihr die Kleider vom Leib und begannen auf sie einzuschlagen, daß rote Striemen über ihren weißen Körper liefen. Lautlos sackte sie zusammen. Schließlich warfen sie die Leblose zusammen mit einer wild fauchenden Katze und ihren Jungen in einen Sack und verschnürten das Ganze zu einem zuckenden Bündel. Abbas befahl den Dienern mit einer unwilligen Handbewegung, sich zu entfernen.
Zurück blieb Hassan Pascha Monasterli, sein Vertrauter und Berater.
»Hassan«, fragte der Pascha besorgt, »weiß auch wirklic h niemand, daß wir hier sind?«
Nachdem Hassan dies beteuert hatte, fragte Abbas, »was bringst du für Neuigkeiten?« »Neuigkeiten keine. Aber du solltest daran denken, den Verkauf von Haschisch zu verbieten. Die Männer liegen nur och rauchend und träumend herum.« »Ach was«, rief Abbas unwillig, »die Männer brauchen irgendein Vergnügen. Wenn ich Haschisch verbiete, dann kaufen sie diesen griechischen Raki-Schnaps. Der verursacht in ihren Köpfen revolutionäre Ideen. Haschisch macht dumm, Raki macht das Gegenteil. Mir ist es lieber, wenn sie Haschisch rauchen.«
Hassan wußte, daß der Pascha keinen Widerspruch duldete, und versuchte erst gar nicht, irgendwelche Gegenargumente anzuführen. Er überreichte ihm ein Papier mit verschiedenen Zahlenreihen. »Das sind die Berechnungen der französischen Ingenieure zur Errichtung eines Nilstaudammes. Links die Kosten, wenn man dazu die Pyramiden abträgt, rechts die Kosten, wenn man das erforderliche Baumaterial aus den Steinbrüchen von Assuan gewinnt.« Abbas stutzte: »Wenn ich das recht erkenne, dann ist die Neugewinnung des Baumaterials billiger als die Abtragung der Pyramiden?« »So ist es, Pascha.« »Und du hältst das für möglich?« »Gewiß.«
Der Pascha schwieg; schließlich meinte er: »In Allahs Namen, dann laßt diese nutzlosen Kolosse eben stehen!« Vor dem Palasteingang verfrachteten die Diener den Sack mit der Todeskandidatin eben auf einen Karren, als eine schwarze Kutsche heranpreschte. Ihr entstiegen v. Pentz und Brugsch. Ein Lakai verwehrte beiden den Weg: »Bedauere Exzellenz melden zu müssen, daß Seine Hoheit das Schloß bereits verlassen hat!«
Pentz stieß ihn beiseite: »Melde Seiner Hoheit die Ankunft des preußischen Generalkonsuls und des Gelehrten Dr. Brugsch. Aber rasch, unsere Zeit ist knapp!« Der Lakai rannte davon.
»Man darf die Leute hier nicht anders behandeln. Sie verleugnen den Pascha, sooft es nur geht. Kommen Sie!« Ohne die Antwort des Dieners abzuwarten, schritten sie den plüschbespannten Gang entlang, in dem Spiegel und Kristallüster blinkten. Mit gedämpfter Stimme meinte v. Pentz: »Der Pascha ist ein rechter Rüpel, wir Preußen stehen bei ihm in nicht gerade hohem Ansehen. Außer den Briten haßt er alle Europäer, aber wenn Sie ihm reiche Schätze versprechen, dann werden Sie Ihre Grabungserlaubnis schon erhalten.«
»Warum gerade die Briten?« fragte Brugsch, »ich meine, warum gehört gerade ihnen seine Sympathie?« Der Diplomat lachte. »Die Engländer haben ein neues Spielzeug erfunden, die Dampfeisenbahn. Sie haben den Pascha überredet, von Kairo nach Alexandria Schienen durch das Nildelta legen zu lassen. Angeblich ist man schon am Ziel. Aber ich bezweifle, ob so ein Dampflokomobil den Wüstenritt übersteht.«
Der Lakai kam zurück, dienerte beinahe bis zum Boden und sagte: »Seine Hoheit lassen bitten!« »Na also«, brummelte Baron v. Pentz und schob Dr. Brugsch vor sich in den Audienzraum. Dort lag der Pascha noch immer mürrisch blickend auf dem Diwan vor dem bunten Fenster und zog an seiner Wasserpfeife. Hinter ihm stand Nubar Effendi, der Hofdragoman, dem die schwierige Aufgabe oblag, alle Gespräche vom Türkischen ins Französische zu übersetzen und umgekehrt, denn Hoheit sprachen nur türkisch.
Der preußische Konsul hatte soeben den Wissenschaftler vorgestellt, als unvermittelt der englische Konsul, Sir Charles Murray, eintrat. Der Pascha begrüßte ihn überschwenglich und hieß ihn Platz zu nehmen. Baron v. Plentz wurde wütend. Er forderte, der Engländer habe sich zu entfernen, da er zuerst gekommen, offiziell angemeldet und empfangen worden sei. Abbas machte eine ablehnende Geste, tuschelte mit Sir Charles einige Sätze auf türkisch und begann dann plötzlich mit Hilfe Nubar Effendis, auf die Preußen zu schimpfen und schließlich den Konsul persönlich zu attakkieren.