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»Wissen Sie, was Sie sind -«, rief ihm Baron Pentz daraufhin in höchster Erregung zu und wartete, bis der Dragoman jedes einzelne Wort gedolmetscht hatte, »Sie sind der Nachkomme eines mazedonischen Tabakhändlers!« Nubar Effendi wurde bleich. Sir Charles lächelte gequält und Brugsch begann, um sein Leben zu fürchten. Da schleuderte Abbas den Schlauch der Pfeife von sich, daß das Rauchgefäß umstürzte und Funken über den kostbaren Teppich sprühten. Er sprang auf und verschwand durch eine Tapetentür. Brugsch ahnte nichts Gutes. An eine Grabungslizenz war jetzt nicht mehr zu denken. Und Ihr Entschluß ist unabänderlich, mon ami?« Brugsch nickte. »Wissen Sie, Mariette, ich glaube einfach, daß es besser ist, außerhalb der Reichweite des Paschas zu sein, zumindest für ein paar Monate, solange bis sich sein Zorn gelegt hat. Man muß bei diesem Mann ja mit allem rechnen.«

»Wenn er auch nur einen Schritt über diese Schwelle wagt. ..« Mariette griff zu seinem Gewehr, das wie immer in Reichweite lag. Nur Fledermäuse, die durch die offenen Fenster huschten, unterbrachen das nächtliche Gespräch im Ausgräberhaus über dem Serapis-Tempel. »Aber es ist nicht der Pascha allein, der mich nach Süden treibt«, begann Brugsch erneut, »ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, in mir steckt der Drang, selbst eine Entdeckung zu machen. Gewiß, hier gibt es noch viel zu tun, aber all das wird immer Ihre Entdeckung bleiben.« Mariette griff zum Glas und schüttete einen Raki in sich hinein. »Ich verstehe Sie, Monsieur Brugsch. Ihr Wissen ist größer als das meine. Sie haben Ihre eigene Chance verdient.

Obwohl ich Sie sehr vermissen werde. Ich glaube zu wissen, was Sie im Auge haben .. .« Brugsch sah seinen Freund fragend an. »Theben. Das Tal der Könige«, sagte Mariette zögernd. »Sie haben recht. Ich glaube, daß dort der Schlüssel zur Ägyptologie begraben liegt. All die Erkenntnisse, die wir bisher über die Geschichte des alten Ägypten erlangt haben, sind doch nur ein Gerüst ohne Fundament. Wir wissen manches, aber wir wissen nicht einmal, wann diese Geschichte anfängt. Gewiß, Ihr Franzosen besitzt seit zehn Jahren die Königstafel von Karnak, die die Reihenfolge der Pharaonen von der ältesten Zeit bis zur 18. Dynastie nennt. Und die Tafeln an den Apis-Särgen haben diese Liste bestätigt. Aber wenn es darum geht, die Regierungsjahre eines Ramses oder Thutmosis zu nennen, müssen wir alle passen. Dann sind wir mit unserer Weisheit am Ende.«

»Und wie wollen Sie an diese Daten herankommen? Die alten Schreiber haben ihre Aufzeichnungen nun einmal nicht mit der Einleitung >Im Jahre des Herren soundsoviel vor Christus< begonnen.«

»Das ist ein mühsam zu erreichendes Ziel, aber wir können uns ihm annähern, indem wir so viele historische Informationen wie irgend möglich sammeln und sie in Beziehung zueinander setzen. Ich bin überzeugt, eines Tages werden wir mit großer Sicherheit sagen können, wann die Pyramiden gebaut wurden oder wann Ramses der Große gelebt hat.«

»Und warum glauben Sie die Antwort gerade im Tal der Könige zu finden?«

»Ganz einfach. Weil die Könige es waren, die die Geschichte gemacht haben, und weil ihre Taten in ihren Gräbern verherrlicht worden sind.«

»Gut, gut, mon ami, aber ihre Gräber kennen wir ja. Bel-zoni hat schon vor 35 Jahren behauptet, daß es im Tal der Könige keine anderen Gräber mehr gebe als die von ihm ent-deckten, und Ihr Lepsius hat das der preußischen Expedition vor zehn Jahren ausdrücklich bestätigt.« Brugsch mußte husten: »Weder Belzoni noch Lepsius sind unfehlbar. Alle bisherigen Entdeckungen haben bestätigt, daß sich die Geschichte dieses Landes kontinuierlich entwik-kelt hat. Deshalb glaube ich nicht daran, daß im Tal der Könige nur jeweils ein oder zwei Pharaonen der 18., 19. und 20. Dynastie bestattet worden sein sollen. Wo hätten die anderen sonst ihre letzte Ruhestätte finden sollen?« Mariette schwieg. Er goß Raki nach. »Vielleicht gibt es noch ein anderes Tal.. .«

»Möglich«, meinte der Deutsche, »dann müssen wir es suchen. Wir müssen alle Inschriften in den Tempelstätten von Karnak, Kurna und Luxor nach irgendwelchen Hinweisen absuchen. Vielleicht hilft uns das weiter. Fest steht jedenfalls, Diodorus, der griechische Geschichtsschreiber, welcher im ersten Jahrhundert vor Christus Ägypten bereiste, spricht von 47 Königsgräbern. Er konnte allerdings nur 17 finden. Und Strabo erwähnte dreißig Jahre später hinter dem Mem-nonium etwa 40 Gräber. Ob er sie gesehen hat oder nicht -wir wissen es nicht. Aber während der 18. bis 20. Dynastie regierten über dreißig Pharaonen. Wo sind sie , frage ich? Alle Grabzugänge im Tal der Könige, egal ob sie zu einem Prachtgrab führen oder zu einem Höhlenversteck, alle zusammen ergeben die Zahl 21. Und die allermeisten gehören nicht einmal Königen. Verstehen Sie jetzt, warum ich so neugierig bin?«

Lächelnd ergriff Mariette sein Glas und prostete Brugsch zu: »Ich sehe schon, es wäre zwecklos, Sie zu bitten, hierzubleiben. Ihr Herz und Ihr Verstand sind schon längst im Tal... «

II. Ein Mann und 5000 Jahre Vergangenheit

Der flackernde Schein einer Kerze warf tanzende Schatten auf die gegenüberliegende Wand und brachte die erhabenen Reliefs scheinbar zum Leben. Ein trächtiges Nilpferd mit aufgesperrtem Rachen tauchte vor ihm auf, da drüben wieder, hier noch einmal. Trug es nicht Krone und Zepter? - Ipet! schoß es Brugsch durch den Kopf. Er lag im Heiligtum der Göttin Ipet.

An der Stelle, wo schon vor mehr als dreitausend Jahren Gott Amun auf eine Nilbarke verfrachtet worden war, um in das jenseitige Theben, das Reich der Toten, gerudert zu werden, stand Dr. Heinrich Brugsch hilflos um sich blickend neben zwei Holzkisten mit Reisegepäck. Eseltreiber, Marktschreier und Bettler um ihn herum rempelten ihn an, und jeder versuchte, ihn in eine andere Richtung zu ziehen. Das sollte die Königin der Städte, das hunderttorige Theben sein? Für Brugsch war es zunächst einmal eine Enttäuschung. Luxor, das geschäftige Dorf in Oberägypten, hatte die Tempelanlagen regelrecht verzehrt, mit Häusern, Hütten und Viehställen überwuchert, und nur manchmal konnte man hinter Häuserwänden und unter hohen Fundamenten Reste alter Bauten erkennen.

Ein Fremder kam zu dieser Zeit nicht jede Woche nach Luxor und erregte deshalb unter den Einheimischen stets Interesse. »Francois?« fragte ein besonders Aufgeweckter.

»Non«, sagte Brugsch, »Prussien!« »Ah - Prussien.« Der Fellache bedeutete mit beiden Händen, Brugsch möge hier warten, dann rannte er davon. Bald kehrte er mit einem weißbärtigen alten Mann zurück, der dem Preußen schon von weitem zurief: »Eila mit Weila!« Brugsch war verblüfft. In einer Mischung aus Deutsch, Französisch und Arabisch erklärte der Alte, er sei Auad aus dem Dorf Scheich abd el-Kurna auf der jenseitigen Seite des Nils und habe vor zehn Jahren dem Preußen Richard Lepsius als Führer gedient. Ob er denn schon eine Unterkunft habe? Brugsch verneinte. »Ah, gutt«, sagte Auad, forderte ein paar tatenlos herumstehende Halbwüchsige auf, sich um das Gepäck des Effendi zu kümmern, und zog den Fremden hinter sich her.

Ob er eine gute Reise gehabt habe, fragte er, sich freundlich umblickend. Ja.

Und Lepsius, ob er ihn gekannt habe? Ja.

Ob er auch Forscher sei, wie Lepsius? Ja-

»Gutt!«

Brugschs Einsilbigkeit hatte ihren Grund: Vor ihm schälte sich das Bild eines gewaltigen Tempels aus der Häuserflut, Zum Teil bis zu den Querbalken der Säulen verschüttet, diente er als Fundament für verschiedene Häuser und eine Moschee. Sollte dies der Tempel des Amun von Theben sein? Über Berge von Trümmern und zwischen aus dem Schutt, ragenden Säulen hindurch führte Auad den Fremden zu eier aus Nilschlammziegeln errichteten Treppe mitten im Tempel. Brugsch blickte nach oben. Dort thronte in luftiger Höhe auf den Kapitellen der Säulen ein skurril geformtes Spukschloß. »La maison de France«, sagte Auad andächtig und bat seinen Begleiter, ihm über die steile Treppe zu folgen.