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»Arbeitet Ihr schon lange?«

»Seit Sonnenaufgang.«

»Das ist wahrlich früh.«

»Die Gewohnheit eines Dörflers.«

»Eine … tägliche Gewohnheit?«

»Mein Meister hat mich gelehrt, daß ein einziger Tag des Müßiggangs zum Verhängnis werde. Allein das Herz könne lernen, sofern das Ohr offen und der Verstand fügsam sei; was gibt es Wirksameres als gute Gewohnheiten, um es dahin zu bringen? Andernfalls schickt sich der Affe, der in uns schlummert, zu tanzen an, und die Kapelle ist ihres Gottes beraubt.«

Der Tonfall des Gerichtsdieners wurde düster. »Das ist kein angenehmes Dasein.«

»Wir sind Diener der Gerechtigkeit.«

»Da fällt mir ein, meine Arbeitszeiten …«

»Acht Stunden am Tag, fünf Werktage auf zwei Ruhetage, zwei bis drei Monate freie Zeit wegen der verschiedenen Feste[21] … Sind wir uns einig?« Der Gerichtsdiener stimmte zu. Ohne daß der Richter darauf beharrte, begriff er, daß er hinsichtlich seiner Pünktlichkeit gewisse Anstrengung würde aufbieten müssen.

Eine dünne Unterlage erregte Pasers Neugierde. Der mit der Bewachung des Sphinx von Gizeh betraute Oberaufseher war kürzlich zu den Hafenbecken versetzt worden. Ein jäher Umschwung der Laufbahn: Der Mann mußte eine schlimme Verfehlung begangen haben. Nun war jedoch diese, im Gegensatz zum üblichen Brauch, nicht vermerkt. Gleichwohl hatte der Oberste Richter des Gaus sein Petschaft aufgedrückt; es fehlte bloß noch das von Paser, da der Soldat in seinem Bezirk wohnte. Eine einfache Formsache, die er, ohne nachzudenken, hätte vollziehen sollen.

»Ist die Stelle des Oberaufsehers des Sphinx nicht heftig begehrt?«

»An Bewerbern mangelt es nicht«, pflichtete der Schreiber bei, »aber der derzeitige Amtsinhaber entmutigt sie alle.«

»Weshalb?«

»Er ist ein Krieger mit Erfahrung und bemerkenswerten Dienstnachweisen und obendrein noch ein wackerer Mann. Er wacht über den Sphinx mit eifersüchtiger Sorgfalt, obwohl dieser alte Löwe aus Stein doch beeindruckend genug ist, um sich allein zu verteidigen. Wem würde es in den Sinn kommen, ihn anzugreifen?«

»Ein Ehrenamt, so scheint es.«

»Ganz und gar. Der Oberaufseher hat weitere Altgediente angeworben, um ihnen einen kleinen Ruhesold zu sichern; zu fünft haben sie die Nachtwache.«

»Wußtet Ihr über seine Versetzung Bescheid?«

»Versetzung … Ihr scherzt?«

»Hier ist das amtliche Schriftstück.«

»Äußerst erstaunlich. Welchen Verstoß hat er begangen?«

»Ich teile Euren Gedankengang; das ist nicht angegeben.«

»Sorgt Euch nicht darum; das betrifft zweifellos eine Entscheidung der Streitkräfte, deren innerer Sinn uns entgeht.«

Wind des Nordens stieß einen eigenartigen Schrei aus: Der Esel meldete eine Gefahr. Paser erhob sich und ging hinaus. Er fand sich von Angesicht zu Angesicht einem riesigen Babuin gegenüber, den sein Herr an der Leine hielt. Mit seinem angriffslustigen Blick, seinem massigen Kopf und der mit dichtem Fellkleid bedeckten Brust hatte dieser hundsköpfige Affe den wahrlich verdienten Ruf unbändiger Wildheit. Nicht selten geschah es, daß ein Raubtier seinen Hieben und Bissen erlag, und man hatte Löwen bei der Annäherung einer Horde blindwütiger Paviane die Flucht ergreifen gesehen. Sein Herr, ein Nubier mit vorspringenden Muskeln, beeindruckte ebensosehr wie das Tier. »Ich hoffe, Ihr haltet ihn gut fest.«

»Dieser Pavian[22] untersteht Euren Befehlen, Richter Paser, wie ich selbst.«

»Ihr seid Kem.« Der Nubier nickte.

»Im Viertel spricht man bereits über Euch; angeblich wuselt Ihr viel herum für einen Richter.«

»Euer Ton mißfällt mir.«

»Ihr werdet Euch daran gewöhnen müssen.«

»Sicher nicht. Entweder Ihr zollt mir die einem Vorgesetzten schuldige Achtung, oder Ihr tretet zurück.« Die beiden Männer sahen sich eine ganze Weile herausfordernd an; des Richters Hund und der Pavian des Ordnungshüters taten es ihnen gleich. »Euer Vorgänger ließ mir völlige Bewegungsfreiheit.«

»Das ist nun nicht mehr der Fall.«

»Ihr tut unrecht daran; wenn ich mit meinem Pavian durch die Straßen schlendere, schrecke ich die Diebe ab.«

»Wir werden es überdenken. Wo und als was habt Ihr gedient?«

»Ich will Euch lieber sofort vorwarnen: Meine Vergangenheit ist dunkel. Ich gehörte einem Bogenschützenverband an, dem die Bewachung einer der Südfesten oblag. Ich hatte mich aus Liebe zu Ägypten verpflichtet, wie viele junge Leute meines Stammes. Mehrere Jahre lang bin ich so glücklich gewesen; eines Tages habe ich jedoch unbeabsichtigt einen Goldschmuggel unter Offizieren ans Licht gebracht. Die Führung hat mich nicht angehört; während einer Rauferei habe ich dann einen der Diebe, nämlich meinen unmittelbaren Vorgesetzten, getötet. Bei der Verhandlung hat man mich mit Naseabschneiden gestraft. Jene, die ich heute besitze, ist aus bemaltem Holz. Ich fürchte keine Schläge mehr. Die Richter haben indes meine Redlichkeit und Gesetzestreue anerkannt; und deshalb haben sie mir eine Stelle bei den Ordnungskräften gegeben. Wenn Ihr es nachprüfen wollt, meine Unterlagen befinden sich in der Schriftenverwahrung des Heers.«

»Nun, dann laßt uns gehen.« Kem war auf diese Reaktion nicht gefaßt gewesen. Während der Esel und der Gerichts­schreiber das Amtszimmer bewachten, wandten sich der Richter und der Ordnungshüter – von Pavian und Hund begleitet, die sich weiterhin beobachteten – zum Verwaltungssitz der Streitkräfte. »Seit wann wohnt Ihr in Memphis?«

»Seit einem Jahr«, antwortete Kem. »Ich vermisse den Süden.«

»Kennt Ihr den Verantwortlichen für die Sicherheit des Sphinx von Gizeh?«

»Ich bin ihm zwei- oder dreimal über den Weg gelaufen.«

»Scheint er Euch vertrauenswürdig?«

»Er ist ein berühmter Altgedienter; sein guter Ruf ist bis zu meiner Feste gelangt. Man vertraut ein derart ehrenvolles Amt nicht irgend jemandem an.«

»War dieses irgendwie gefährlich?«

»Keineswegs! Wer würde sich an den Sphinx heranwagen? Es handelt sich um eine Ehrenwache, deren Mitglieder vor allem die Versandung des Bauwerks im Auge behalten sollen.«

Die Vorübergehenden traten vor ihnen zur Seite; ein jeder wußte um die Schnelligkeit des Pavians, der imstande war, seine Reißzähne in das Bein eines Räubers zu schlagen oder diesem gar den Hals zu brechen, bevor sein Herr noch einschreiten konnte. Wenn Kem und sein Affe ihre Erkundungsgänge machten, verflüchtigten sich böse Absichten. »Kennt Ihr den Aufenthaltsort dieses Altgedienten?«

»Er bewohnt ein Diensthaus nahe der Hauptkaserne.«

»Mein Einfall war schlecht; kehren wir in die Amtsstube zurück.«

»Möchtet Ihr meine Unterlagen nicht mehr überprüfen?«

»Es waren die seinen, die ich nachsehen wollte; doch die werden mir keine weiteren Erkenntnisse bringen. Ich erwarte Euch morgen früh bei Sonnenaufgang. Wie ist der Name Eures Pavians?«

»Töter.«

6. Kapitel

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21

Der gewöhnliche Arbeitsrhythmus des ägyptischen Arbeiters.

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22

Auf einem im Kairoer Museum aufbewahrten Basrelief aus dem Grab des Tep-em-anch kann man einen beeindruckenden Pavian bei der Verhaftung eines Diebes sehen.