»Ich glaube, er ist krank«, sagte Paser. Der Hund ließ sich untersuchen. »Es ist nichts Ernstes«, schloß sie, »ein einfaches Augenwasser wird ihn heilen.« Branir holte es ihr augenblicklich; Augenerkrankungen waren ein häufiges Leiden, und es mangelte nicht an Heilmitteln. Die Arznei tat rasch ihre Wirkung; während die junge Frau Brav noch streichelte, schwoll sein Auge ab. Zum erstenmal war Paser auf seinen Hund eifersüchtig. Er suchte nach einer Möglichkeit, sie zurückzuhalten und mußte sich damit begnügen, ihr bei ihrem Aufbruch seinen Gruß zu entbieten. Branir tischte ihm ein ausgezeichnetes, am Vortag hergestelltes Bier auf. »Du erscheinst mir müde; an Arbeit dürfte es dir nicht fehlen.«
»Ich bin mit einem gewissen Qadasch aneinandergeraten.«
»Dem Zahnheilkundler mit den roten Händen … Ein umtriebiger Mann und rachsüchtiger, als es den Anschein hat.«
»Ich halte ihn der Entführung von Bauern für schuldig.«
»Stichhaltige Beweise?«
»Nur eine Vermutung.«
»Sei unerbittlich gewissenhaft in deinem Tun; Ungenauigkeit werden dir deine Oberen nicht verzeihen.«
»Erteilt Ihr Neferet häufig Unterricht?«
»Ich gebe ihr meine Erfahrung weiter, denn ich habe Vertrauen in sie.«
»Sie ist in Theben geboren, nicht wahr?«
»Sie ist die einzige Tochter eines Riegelherstellers und einer Weberin; kennengelernt habe ich sie, als ich die Familie gepflegt habe. Sie hat mir tausend Fragen gestellt, und ich habe ihre erwachende Neigung ermutigt.«
»Eine Frau als Heilkundige … Werden ihr nicht Hindernisse begegnen?«
»Feinde auch; doch ihr Mut ist nicht geringer als ihre Sanftheit. Der Oberste Arzt des Hofes hofft, wie sie weiß, auf ihr Scheitern.«
»Ein Widersacher von Gewicht!«
»Sie ist sich dessen bewußt; eine ihrer wesentlichen Eigenschaften ist ihre Zähigkeit.«
»Ist sie … verheiratet?«
»Nein.«
»Verlobt?«
»Meines Wissens, nein.«
Paser verbrachte eine schlaflose Nacht. Unaufhörlich dachte er an sie, hörte ihre Stimme, atmete ihren Duft, schmiedete tausend und eine List, um sie wiederzusehen, ohne indes eine befriedigende Lösung zu finden. Und unablässig kehrte dieselbe Furcht wieder: War er ihr gleichgültig? Er hatte bei ihr keinerlei Regung, lediglich zurückhaltende Anteilnahme für seine Stellung wahrgenommen. Selbst die Rechtspflege nahm einen bitteren Beigeschmack an; wie ohne sie weiterleben, wie ihre Abwesenheit hinnehmen? Niemals hätte Paser geglaubt, daß die Liebe ein solcher Strom wäre, der imstande war, alle Dämme einzureißen und das gesamte Sein zu überfluten.
Brav bemerkte die Verstörtheit seines Herrn; sein Blick bekundete ihm eine Zuneigung, die, das spürte das Tier wohl, dennoch nicht genügte. Paser hielt sich selbst vor, seinen Hund unglücklich zu machen; er hätte es vorgezogen, sich mit dieser Freundschaft, die keinerlei Schatten barg, zufriedenzugeben, doch er war außerstande, den Augen Neferets, ihrem lauteren Gesicht, dem Strudel, in welchen sie ihn hineinzog, zu widerstehen.
Was sollte er tun? Schwieg er, verdammte er sich dazu zu leiden; wenn er ihr seine Leidenschaft offenbarte, drohten ihm Ablehnung und Verzweiflung. Er mußte sie überzeugen, sie betören, doch über welche Waffen verfügte er – er, ein kleiner Vorstadtrichter ohne Vermögen?
Der Sonnenaufgang linderte seine Qualen nicht, veranlaßte ihn jedoch, sich zur Zerstreuung in seine Aufgaben als Gerichtsbeamter zu stürzen. Er fütterte Brav und Wind des Nordens und vertraute ihnen die Amtsstube in der Überzeugung an, daß der Gerichtsschreiber sich verspäten würde. Mit einem Papyruskorb versehen, der Täfelchen, Pinselfutteral und vorbereitete Tinte enthielt, schlug er die Richtung zu den Hafenanlagen ein.
Mehrere Schiffe lagen an der Landungsstelle, welche die Seeleute unter der Leitung eines Schauermanns selbst löschten. Nachdem sie ein Brett am Bug festgekeilt hatten, legten sie sich Stangen auf die Schultern, an die sie mittels Stricken Säcke, Körbe und Ballen hängten, um dann den schiefen Steg hinabzusteigen. Die Kräftigsten unter ihnen trugen schwere Bündel auf ihren Rücken. Paser wandte sich an den Bootsmann. »Wo kann ich Denes finden?«
»Den Herrn? Der ist überall!«
»Sollten die Hafenanlagen ihm etwa gehören?«
»Die nicht, aber etliche Schiffe! Denes ist der bedeutendste Warenbeförderer von Memphis und einer der reichsten Männer der Stadt.«
»Werde ich das Glück haben, ihm zu begegnen?«
»Er bemüht sich nur bei der Ankunft eines großen Lastschiffs … Geht zum Hauptbecken. Eines seiner Schiffe hat soeben angelegt.« Mit seiner Länge von ungefähr hundert Ellen konnte das gewaltige Hochseeschiff mehr als sechshundertfünfzig Tonnen Fracht befördern. Der flache Rumpf bestand aus unzähligen in Vollendung gesägten und ziegelartig zusammengefügten Planken; die Bretter der Einfassung der Außenkante waren sehr dick und mit Lederriemen verbunden. Ein beachtliches Segel war an einem dreifüßigen, umlegbaren und fest verspannten Mast gehißt worden. Der Schiffsführer ließ gerade die am Bug vertäute Schilfreuse abnehmen und den runden Anker werfen. Als Paser an Bord gehen wollte, versperrte ein Seemann ihm den Weg. »Ihr gehört nicht zur Mannschaft.«
»Richter Paser.«
Der Seemann wich zur Seite; der Richter betrat den Laufsteg und kletterte bis zur Hütte des Schiffsführers, eines fünfzigjährigen Griesgrams. »Ich würde gerne Denes sehen.«
»Den Herrn, zu dieser Stunde? Das ist doch nicht Euer Ernst!«
»Ich verfüge über eine Klage in gehöriger Form.«
»In welchem Zusammenhang?«
»Denes nimmt eine Gebühr für die Löschung von Schiffen ein, die ihm nicht gehören, was unrechtmäßig und unbillig ist.«
»Ach, diese alte Geschichte! Das ist ein von der Obrigkeit eingeräumtes Vorrecht des Herrn; jedes Jahr wird aus Gewohnheit eine Anzeige eingereicht. Das ist ohne Belang; Ihr könnt sie in den Fluß werfen.«
»Wo wohnt er?«
»Im größten Herrenhaus hinter den Hafenbecken, am Eingang zum Palastviertel.«
Ohne seinen Esel verspürte Paser eine gewisse Mühe, sich zurechtzufinden; und ohne den Pavian des Ordnungshüters mußte er Aufläufen von Klatschbasen trotzen, die um die fliegenden Händler in hitzigem Wortgefecht zusammenstanden. Das ungeheure Herrenhaus von Denes war mit hohen Mauern umgeben und der beeindruckende Eingang von einem mit einem Stock bewaffneten Türhüter bewacht. Paser stellte sich vor und verlangte, vorgelassen zu werden. Der Türhüter rief nach einem Verwalter, der das Ersuchen vortrug und den Richter nach ungefähr zehn Minuten abholte. Er hatte kaum Muße, die Schönheit des Gartens, den Reiz des Lustteichs und die Pracht der Blumenbeete zu genießen, denn er wurde unmittelbar zu Denes geleitet, der sein Morgenmahl in einem weiträumigen Saal mit vier Säulen und mit von Jagddarstellungen ausgeschmückten Wänden einnahm. Der Warenbeförderer war ein stämmiger Mann um die Fünfzig von schwerem Körperbau, dessen kantiges, eher plumpes Gesicht ein feiner, weißer Bartkranz zierte. In einem tiefen Prunkstuhl mit Löwenklauen sitzend, ließ er sich von einem eilfertigen Diener mit kostbarem Öl salben, während ein zweiter ihm die Hände und Nägel pflegte. Ein dritter machte sein Haar zurecht, während ein vierter ihm die Füße mit Duftsalbe einrieb und ein fünfter ihm die Speisenfolge verkündete.
»Richter Paser! Welch glücklicher Zufall führt Euch hierher?«