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»Ich bin zwanzig Jahre alt.« Das puppenhafte Antlitz war fürwahr ein wenig pausbäckig, flößte jedoch weder Schrecken noch Abneigung ein.

»Weshalb nehmt Ihr Euch nicht so an, wie Ihr seid?«

»Mein Gemahl hat recht, ich bin abscheulich! Ich muß ihm gefallen.«

»Ist dies nicht eine allzugroße Ergebenheit?«

»Er ist so beeindruckend … Und ich habe es versprochen!«

»Überzeugt ihn davon, daß er im Irrtum ist.« Neb-Amun fühlte, wie der Zorn ihn übermannte. »Wir haben nicht über die Beweggründe der Kranken zu urteilen«, griff er barsch ein, »unsere Rolle besteht darin, ihre Wünsche zu befriedigen.«

»Ich weigere mich, diese junge Frau unnötigerweise leiden zu lassen.«

»Geht hinaus!«

»Mit Freuden.«

»Ihr tut unrecht, Euch so zu verhalten, Neferet.«

»Ich glaube, den höchsten Werten der Heilkunst treu zu sein.«

»Ihr wißt nichts, und Ihr werdet nichts erreichen! Eure Laufbahn ist beendet.«

Der Gerichtsschreiber Iarrot hüstelte; Paser hob den Kopf. »Eine Unannehmlichkeit?«

»Eine Einbestellung.«

»Für mich?«

»Für Euch. Der Älteste der Vorhalle will Euch augenblicklich sehen.«

Zum Gehorsam gezwungen, legte Paser Pinsel und Palette nieder.

Vor dem königlichen Palast, wie vor jedem Tempel, war eine Vorhalle aus Holz errichtet, in der ein Gerichtsbeamter Recht sprach. Dort hörte er Klagen an, schied Wahrheit von Unbilligkeit, schützte die Schwachen und rettete sie vor den Mächtigen. Der Älteste tagte vor dem Sitz des Herrschers; das kleine Bauwerk, dessen Dach von vier Pfeilern getragen wurde und sich an die Vorderseite des Palastes lehnte, hatte die Form eines großen Rechtecks, in dessen Tiefe der Anhörungsraum lag. Wenn der Wesir sich zu PHARAO begab, versäumte er es nicht, sich mit dem Ältesten der Vorhalle zu bereden. Der Gerichtssaal war leer. Auf einem Stuhl von vergoldetem Holz niedergelassen und mit einem geschlitzten Prunkschurz bekleidet, trug der hohe Beamte eine verstimmte Miene zur Schau. Ein jeder kannte seine Entschlossenheit und die Kraft seiner Worte.

»Seid Ihr der Richter Paser?« Der junge Mann verneigte sich achtungsvoll; dem Obersten Richter des Gaus entgegenzutreten, machte ihn bange. Diese jähe Einbestellung und dieses Zwiegespräch verhießen nichts Gutes. »Aufsehenerregender Beginn einer Laufbahn«, befand der Älteste. »Seid Ihr darüber zufrieden?«

»Werde ich es je sein? Mein teuerster Wunsch wäre, das Menschengeschlecht würde weise und die Amtsstuben der Richter verschwänden; doch dieser Kindertraum verflüchtigt sich.«

»Ich höre viel von Euch reden, obgleich man Euch erst seit kurzem in Memphis eingesetzt hat. Seid Ihr Euch Eurer Pflichten wohl bewußt?«

»Sie sind mein ganzer Lebensinhalt.«

»Ihr arbeitet viel und schnell.«

»Nicht genug, meines Erachtens; wenn ich die Schwierigkeiten meiner Aufgabe besser erfaßt habe, werde ich mich tüchtiger zeigen.«

»Tüchtiger … Was bedeutet dieser Begriff?«

»Allen dasselbe Recht zuteil werden zu lassen. Ist das nicht unser Bestreben und unsere Richtschnur?«

»Wer behauptet das Gegenteil?« Die Stimme des Ältesten war rauh geworden. Er erhob sich und ging auf und ab. »Ich habe Eure Bemerkungen bezüglich des Zahnheilkundlers Qadasch nicht schätzen können.«

»Ich verdächtige ihn.«

»Wo ist der Beweis?«

»Mein Bericht hebt hervor, daß ich einen solchen nicht erhalten habe; und eben deshalb habe ich keinerlei Verfahren gegen ihn eingeleitet.«

»Wenn dem so ist, weshalb dann diese unnötige Feindseligkeit?«

»Um Euer Augenmerk auf ihn zu lenken; Eure Kenntnisse über ihn sind zweifelsohne vollständiger als die meinen.«

Der Älteste hielt wutentbrannt inne. »Nehmt Euch in acht, Richter Paser! Solltet Ihr andeuten, ich unterdrückte einen Vorgang?«

»Dieser Gedanke liegt mir fern; falls Ihr es für nützlich erachtet, werde ich mit meinen Nachforschungen fortfahren.«

»Vergeßt Qadasch. Weshalb plagt Ihr Denes?«

»Bei diesem Fall ist das Vergehen offenkundig.«

»War die gegen ihn vorgebrachte Klage nicht mit einer Empfehlung versehen?«

»›Folgenlos zu schließen‹ in der Tat; deshalb habe ich mich auch vorrangig darum gekümmert. Ich habe mir geschworen, diese Art von Vorgehen mit letzter Kraft zu bekämpfen.«

»Wußtet Ihr, daß ich der Urheber dieses … Rates war?«

»Ein Hoher soll ein Beispiel geben und sich seines Reichtums nicht bedienen, die einfachen Leute auszunutzen.«

»Ihr vergeßt die Notwendigkeiten des Handels.«

»An dem Tag, an dem diese die Gerechtigkeit in den Hintergrund drängen werden, wird Ägypten zum Untergang verurteilt sein.«

Pasers Erwiderung erschütterte den Ältesten der Vorhalle. Auch er hatte in seiner Jugend diese Meinung mit derselben Inbrunst vertreten. Dann waren die schwierigen Fälle gekommen, die Beförderungen, die notwendigen Versöhnungen, die Anpassungen, die Zugeständnisse an die Führung, das reife Alter …

»Was legt Ihr Denes zur Last?«

»Ihr wißt es.«

»Meint Ihr, sein Verhalten rechtfertige eine Verurteilung?«

»Die Antwort ist offensichtlich.« Der Älteste der Vorhalle konnte Paser nicht enthüllen, daß er sich soeben mit Denes besprochen und daß der Warenbeförderer von ihm verlangt hatte, den jungen Richter zu versetzen. »Seid Ihr entschlossen, Eure Ermittlung weiterzuverfolgen?«

»Das bin ich.«

»Wißt Ihr, daß ich Euch noch in dieser Stunde in Euer Dorf zurückschicken kann?«

»Das weiß ich.«

»Ändert diese Aussicht Euren Standpunkt nicht?«

»Nein.«

»Solltet Ihr für jede Form von vernünftigem Zureden unzugänglich sein?«

»Es handelt sich lediglich um einen Beeinflussungsversuch. Denes ist ein Betrüger; ihm kommen nicht zu rechtfertigende Vorrechte zugute. Weshalb sollte ich seinen Fall übergehen, da er doch in meine Zuständigkeit fällt?«

Der Älteste dachte nach. Für gewöhnlich entschied er ohne Zögern, mit der Überzeugung, seinem Land zu dienen; die Haltung Pasers rief derart viele Erinnerungen in ihm wach, daß er sich anstelle dieses jungen Richters sah, der sein Amt ohne Schwäche auszufüllen bestrebt war. Die Zukunft würde schon dafür sorgen, seine Wunschvorstellungen zurechtzustutzen, doch tat er unrecht daran, das Unmögliche zu versuchen?

»Denes ist ein reicher und mächtiger Mann; seine Gemahlin ist eine angesehene Geschäftsfrau. Dank ihrer vollzieht sich die Warenbeförderung auf geordnete und befriedigende Weise; wozu soll es gut sein, sie zu stören?«

»Versetzt nicht mich in die Rolle des Angeklagten. Wenn Denes verurteilt ist, werden die Frachtschiffe nicht aufhören, den Nil hinauf- und hinunterzufahren.«

Nach langem Schweigen faßte der Älteste sich wieder. »Waltet Eures Berufs, wie Ihr es versteht, Paser.«

9. Kapitel

Neferet sammelte sich seit zwei Tagen in einer Kammer der berühmten Schule der Heilkunde von Sais, im Delta, wo die zukünftigen Praktiker einer Prüfung unterworfen wurden, deren Inhalt nie enthüllt worden war. Viele scheiterten; in einem Land, in dem nicht selten das achtzigste Lebensjahr erreicht wurde, trachteten die Zuständigen der Gesundheitsfürsorge danach, Menschen von besonderem Wert anzuwerben.

Würde die junge Frau ihren Traum, gegen die Krankheit anzukämpfen, verwirklichen können? Ihr würden gewiß Niederlagen widerfahren, doch sie würde nicht aufgeben, den Leiden entgegenzuwirken. Indes mußte sie zunächst den Anforderungen des Gerichts der Heilkunde von Sais genügen. Ein Priester hatte ihr Dörrfleisch, Datteln, Wasser sowie Papyri zur Heilkunst gebracht, die sie wieder und wieder durchgelesen hatte; manche Begriffe begannen sich zu verwirren. Mal besorgt, mal vertrauensvoll, hatte sie sich in die Versenkung geflüchtet, indem sie ihren Blick auf dem weiten, mit Karobenbäumen[25] bepflanzten Garten rund um die Schule ruhen ließ.

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25

Der Johannisbrotbaum trägt eine Frucht – Karobe oder Johannisbrot –, eine Hülse, deren süßliches Mark in den Augen der Ägypter die Süße schlechthin verkörperte.