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Nun jedoch mußten sie einen Brunnenschacht überwinden, der durch das Innere des steinernen Kolosses hinaufstieg und auf den Gang traf, der hinter den drei granitenen Verschlußblöcken begann. Der leichteste von ihnen erklomm ihn, indem er sich an die Unebenheiten des Gesteins klammerte und sich mit den Füßen daran abstemmte; oben angekommen, ließ er den um seinen Leib gewickelten Strick hinunter. Aus jähem Luftmangel wäre einer der Verschwörer fast ohnmächtig geworden; seine Gefährten schleiften ihn bis zur Großen Galerie, wo er wieder zu Atem kam.

Die Erhabenheit der Stätte betörte sie. Welcher Baumeister war aberwitzig genug gewesen, ein solches, aus sieben Steinlagen bestehendes Gefüge zu errichten? Siebenundvierzig Meter lang und acht Meter fünfzig breit, trotzte diese große Halle, dieses wegen seiner Ausmaße und seiner Lage im Herzen einer Pyramide einzigartige Werk, den Jahrhunderten. Kein Baukünstler würde – wie Ramses’ Baumeister bekundeten – jemals wieder eine derartige Großtat verwirklichen.

Eingeschüchtert dachte einer der Verschwörer ans Aufgeben; der Anführer der Unternehmung stieß ihm heftig in den Rücken und nötigte ihn weiterzugehen. So kurz vor dem Ziel aufzugeben wäre töricht gewesen; zumal sie sich zu der Genauigkeit ihres gezeichneten Plans nur beglückwünschen konnten. Ein Zweifel blieb jedoch bestehen: Waren die steinernen Fallgatter zwischen dem oberen Ende der Großen Galerie und dem eigentlichen Zugang zur Kammer des Königs heruntergelassen worden? Wenn dem so war, würde es ihnen nicht gelingen, dieses Hindernis zu umgehen, und sie müßten unverrichteterdinge umkehren.

»Der Durchgang ist frei.«

Bedrohlich leer schienen die Hohlräume, die dazu bestimmt waren, die ungeheuren Blöcke aufzunehmen. Die fünf Verschwörer bückten sich, um in die Kammer des Königs einzudringen, deren Decke von neun Granitmonolithen gebildet wurde, die mehr als vierhundert Tonnen schwer waren. Der annähernd sechs Meter hohe Saal barg das Herz des Reiches, den Sarkophag des Pharaos, welcher auf einem Silberboden ruhte, der die Reinheit der Stätte bewahrte. Sie zögerten.

Bis zu diesem Moment waren sie wie Forscher auf der Suche nach einem unbekannten Land gewesen. Gewiß, sie hatten drei Verbrechen begangen, für die sie sich vor dem Gericht der anderen Welt würden rechtfertigen müssen, doch hatten sie nicht für das Wohl des Landes und des Volkes gehandelt, indem sie die Vertreibung eines Gewaltherrschers vorbereiteten? Wenn sie jedoch den Sarkophag öffneten, wenn sie ihn seiner Schätze beraubten, würden sie die Ewigkeit und nicht etwa die eines mumifizierten Menschen, sondern die eines in seinem Leib aus Licht gegenwärtigen Gottes schänden. Sie würden ihr letztes Band mit einer jahrtausendealten Zivilisation zertrennen, um eine neue Welt erstehen zu lassen, die Ramses niemals zulassen würde. Auch wenn sie gegen das Verlangen ankämpfen mußten, sich davonzumachen, empfanden sie doch ein Gefühl des Wohlbehagens. Durch zwei in die Nord- und die Südwand der Pyramide gehauene Schächte drang Luft herein, von den Steinplatten stieg eine unsichtbare Strahlung auf, die ihnen eine ungekannte Kraft einflößte.

Auf diese Art und Weise also verjüngte sich PHARAO, indem er die aus dem Stein und der Form des Bauwerks hervorgehende Ausstrahlung in sich aufsog!

»Die Zeit drängt.«

»Laßt uns gehen.«

»Das kommt nicht in Frage.« Zwei traten näher, dann der dritte, schließlich die beiden letzten. Gemeinsam hoben sie den Deckel des Sarkophags an und stellten ihn auf den Bodenplatten ab.

Eine lichtstrahlende Mumie … eine mit Gold, Silber und Lapislazuli bedeckte Mumie, die so erhaben war, daß die Plünderer ihren Blick nicht ertragen konnten. Mit jähzorniger Bewegung riß der Anführer der Verschwörer die Goldmaske herunter; seine Helfershelfer bemächtigten sich des Halsschmucks und des Skarabäus aus demselben Metall, welcher auf die Stelle des Herzens gelegt war, der Amulette aus Lapislazuli und des Dächsels aus himmlischem Eisen, jenes Schreinerbeitels, der zur Öffnung von Mund und Augen in der anderen Welt diente. Diese Wunderwerke schienen ihnen beinahe nichtig beim Anblick des goldenen Krummstabs, welcher das ewige Gesetz versinnbildlichte, dessen alleiniger Bürge PHARAO war, vor allem aber angesichts eines kleinen Futterals in Form eines Schwalbenschwanzes. Im Innern: das Testament der Götter. Durch diesen Text empfing PHARAO das Reich zum Erbe und sollte es glücklich und gedeihend bewahren. Wenn er sein Sed-Fest, sein Verjüngungsfest, begehen würde, wäre er genötigt, diesen als Beweis der Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft dem Hof und dem Volke vorzuzeigen. Wäre er außerstande, dieses Schriftstück zu erbringen, würde er früher oder später zur Abdankung gezwungen sein. Unglück, Not und Plagen würden bald über das Land hereinbrechen. Indem sie das Allerheiligste der Pyramide entweihten, störten die Verschwörer den wichtigsten Kraftquell des Reiches und beeinträchtigten das Ausströmen des Ka, der körperlosen Kraft, die jede Form von Leben beseelte.

Die Diebe bemächtigten sich noch einer Kiste mit Barren himmlischen Eisens – ein so seltenes und kostbares Metall wie Gold. Es würde ihnen dazu dienen, ihre Pläne zu vollenden. Nach und nach würde das Unrecht sich in den Gauen[5] ausbreiten, Murren sich gegen PHARAO erheben und eine zerstörerische Flutwelle auslösen. Nun blieb ihnen nur noch, aus der Großen Pyramide wieder hinauszugelangen, ihre Beute zu verbergen und ihr Netz zu spinnen.

Bevor sie auseinandergingen, leisteten sie einen Eid: Wer auch immer sich ihnen in den Weg stellte, würde beseitigt werden. Die Eroberung der Macht forderte diesen Preis.

1. Kapitel

Nach einer langen, der Kunst des Heilens gewidmeten Laufbahn genoß Branir einen friedlichen Ruhestand in seinem Hause in Memphis. Kräftig gebaut und mit stattlicher Brust, trug der alte Arzt eine erhabene silbrige Haarpracht zur Schau, die sein Ehrfurcht gebietendes Gesicht krönte, aus dem Güte und Aufopferung sprachen. Seine natürliche Würde hatte die Großen wie die Gemeinen bezwungen, und man entsann sich keiner Begebenheit, bei der irgendjemand es ihm gegenüber an Achtung hätte fehlen lassen.

Als Sohn eines Perückenmachers hatte Branir den Schoß der Familie verlassen, um Bildhauer, Maler und Zeichner zu werden; einer von PHARAOS Baumeistern hatte ihn in den Tempel von Karnak berufen. Im Verlauf eines Festmahls der Zunft dann hatte sich einer der Steinmetze unwohl gefühlt; ohne längeres Nachdenken und einem inneren Antrieb folgend, hatte Branir ihn durch Handauflegen hypnotisiert und so dem sicheren Tod entrissen. Die für die Gesundheitsfürsorge Zuständigen des Tempels hatten eine so kostbare Gabe nicht brachliegen lassen und Branir die Möglichkeit gegeben, sich im Umgang mit Lehrmeistern auszubilden, bevor er schließlich selbst Heiler wurde. Für die Ersuchen des Hofes unempfänglich und Ehrungen gegenüber gleichgültig, hatte er allein für die Heilkunst gelebt. Indes, wenn er die große Stadt im Norden verlassen hatte, um sich in eine kleine Ortschaft des thebanischen Bezirks zu begeben, so war dies nicht seines Berufes wegen geschehen. Er hatte eine andere, eine derart heikle Aufgabe zu erfüllen, daß sie zum Scheitern verurteilt zu sein schien; doch er würde nicht aufgeben, bevor er nicht alles versucht hätte. Bewegt fand er sein inmitten eines Palmenhains verstecktes Dorf wieder. Branir ließ die Sänfte neben einer Gruppe dicht ineinander stehender Tamarisken anhalten, deren Äste bis zum Boden reichten. Die Luft und die Sonne waren mild; er bemerkte die Bauern, die der Weise einer Flöte lauschten. Mit der Hacke zerkleinerten ein Alter und zwei Junge die Erdschollen auf dem Hochfeld, das sie gerade bewässert hatten; Branir dachte an die Jahreszeit, in welcher der von der Nilschwelle zurückgelassene Schlamm die Saat aufnahm, die Schweine- und Schafherden dann eintraten. Die Natur bot Ägypten unschätzbare Reichtümer, welche die Menschen mit ihrer Arbeit bewahrten; Tag für Tag verstrich in den Gefilden dieses von den Göttern geliebten Landes eine glückselige Ewigkeit.

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5

Größte Verwaltungseinheiten des Landes; der geneigte Leser möge bedenken, daß der Begriff auch im deutschen Mittelalter, also vor der semantischen Belastung durch die Nationalsozialisten, bereits verwendet wurde (s. Breisgau, Rheingau … ). (Anm. d. Ü.)