»Entfernt dieses Vieh von meinem Weg!« forderte er. Der Gerichtsschreiber Iarrot trat aus der Amtsstube und zog den Vierbeiner am Schwanz; da Wind des Nordens jedoch nur Pasers Stimme gehorchte, ging Denes in weitem Bogen an dem Esel vorbei, um seine kostspieligen Gewänder nicht zu besudeln. Paser war über einen Papyrus gebeugt. »Setzt Euch doch bitte.«
Denes suchte nach einem Sitz, doch offensichtlich war ihm keiner genehm.
»Gebt zu, Richter Paser, daß ich mich versöhnlich zeige, indem ich Eurer Ladung Folge leiste.«
»Ihr hattet keine andere Wahl.«
»Ist die Anwesenheit einer dritten Person unerläßlich?«
Iarrot stand auf, um sich bereitwillig davonzumachen.
»Ich würde gerne heimgehen. Meine Tochter …«
»Gerichtsschreiber, Ihr werdet Aufzeichnungen machen, wenn ich es Euch sage.« Iarrot drückte sich in einen Winkel des Raumes, in der Hoffnung, seine Gegenwart vergessen zu lassen. Denes würde sich nicht auf diese Weise behandeln lassen, ohne etwas zu unternehmen. Falls er gegen den Richter Vergeltungsmaßnahmen ergriffe, würde der Gerichtsdiener in den Sturm mitgerissen werden. »Ich bin sehr beschäftigt, Richter Paser; Ihr standet nicht im Verzeichnis der Unterredungen, die ich heute gewähren wollte.«
»Ihr standet in meinem, Denes.«
»Wir sollten nicht wie Feinde miteinander verfahren; Ihr müßt einen kleinen behördlichen Streitpunkt in Ordnung bringen, und ich muß mich dessen schnellstmöglich entledigen. Weshalb uns nicht verständigen?«
Der Ton wurde verbindlicher; Denes wußte sich seinen Mitmenschen im Gespräch verständlich zu machen und ihnen zu schmeicheln. Wenn ihre Aufmerksamkeit nachließ, setzte er dann zum entscheidenden Stoß an.
»Ihr geratet auf Abwege, Denes.«
»Verzeihung?«
»Wir unterhalten uns nicht über einen geschäftlichen Vergleich.«
»Laßt mich Euch eine lehrhafte Geschichte erzählen: Ein Zicklein brach aus der Herde aus, in der es sicher war; ein Wolf bedrohte es. Als es sah, wie sich dessen Maul öffnete, erklärte es: ›Herr Wolf, ich werde zweifellos ein Festschmaus für Euch sein, doch bedenkt, ich bin imstande, Euch zuvor zu zerstreuen. Ich kann zum Beispiel tanzen. Ihr glaubt mir nicht? Spielt auf der Flöte, und Ihr werdet sehen.‹ Zu Scherzen aufgelegt, willigte der Wolf ein. Mit seinem Tanz warnte das Zicklein die Hunde, die auf den Wolf einstürmten und ihn in die Flucht trieben. Das Raubtier nahm seine Niederlage hin; ›ich bin ein Jäger‹, dachte es, ›und ich habe den Musiker spielen wollen. Ich bin selbst schuld‹« [30]
»Wie lautet die Lehre Eurer Erzählung?«
»Jeder soll an seinem Platze bleiben. Wenn man eine Rolle spielen will, auf die man sich nicht gut versteht, läuft man Gefahr, einen falschen Schritt zu tun und ihn bitter zu bereuen.«
»Ihr beeindruckt mich.«
»Das beglückt mich; werden wir es dabei bewenden lassen?«
»Auf dem Gebiet der Märchen, ja.«
»Ihr seid verständnisvoller, als ich es mir vorstellte; Ihr werdet nicht lange in diesem armseligen Amtszimmer verkümmern. Der Älteste der Vorhalle ist ein ausgezeichneter Freund. Wenn er erfährt, daß Ihr die Lage mit Feingefühl und Klugheit einzuschätzen wußtet, wird er bei einem gewichtigeren Amt an Euch denken. Falls er mich um meine Meinung bittet, wird diese sehr gewogen ausfallen.«
»Es ist erquicklich, Freunde zu haben.«
»In Memphis sind sie unerläßlich; Ihr seid auf gutem Wege.« Nenophars Zorn war unberechtigt; sie hatte befürchtet, Paser könnte sich von all den anderen abheben, und sie hatte sich getäuscht. Denes kannte seinesgleichen gut; mit Ausnahme einiger in den Tempeln zurückgezogener Priester besaßen sie kein anderes Ziel als die Befriedigung ihrer Belange.
Der Warenbeförderer kehrte dem Richter den Rücken zu und schickte sich an hinauszugehen. »Wohin wollt Ihr?«
»Ein Schiff begrüßen, das aus dem Süden eintrifft.«
»Wir haben noch nicht ganz geendet.« Der Geschäftsmann wandte sich um. »Dies hier sind die wesentlichen Anklagepunkte: Erhebung einer unbilligen Gebühr und einer vom PHARAO nicht verordneten Steuer. Die Buße wird beträchtlich sein.«
Denes wurde weiß vor Wut; seine Stimme zischte. »Seid Ihr irrsinnig geworden?«
»Haltet fest, Gerichtsschreiber: Beleidigung eines Amtmannes.«
Der Warenbeförderer stürzte sich auf Iarrot, entriß ihm die Tafel und zerstampfte sie mit einem wütenden Fußtritt.
»Du, verhalte dich ruhig!«
»Zerstörung von Eigentum der Gerichtsbehörde«, bemerkte Paser. »Ihr verschlimmert Euren Fall.«
»Es genügt!«
»Ich übergebe Euch diesen Papyrus; Ihr werdet darauf die rechtlichen Einzelheiten und die Höhe der Buße finden. Werdet nicht rückfällig, sonst wird bald ein Eintrag auf Euren Namen in den Verzeichnissen des Großen Gefängnisses stehen.«
»Ihr seid nur ein Zicklein, und Ihr werdet gefressen werden!«
»In der Geschichte ist es der Wolf, der besiegt wird.« Als Denes das Amtszimmer durchschritt, versteckte sich der Gerichtsschreiber Iarrot hinter einer Holztruhe.
Branir beendete die Zubereitung einer erlesenen Speise. Er hatte bereits die Eier der bei einem der besten Fischhändler von Memphis erworbenen Meeräschen[31] entnommen und wusch sie nun, wie es die Vorschrift gebot, in leicht gesalzenem Wasser, um sie dann zwischen zwei Holzbrettchen auszudrücken und im Luftzug zu trocknen. Diese Rogenspeise würde köstlich werden. Zudem wollte er Ochsenrippen rösten und sie mit Saubohnenmus auftragen; Feigen und feines Backwerk würden das Mahl abrunden, ohne den aus dem Delta stammenden edlen Wein zu vergessen. Überall im ganzen Haus hingen Blumengebinde.
»Bin ich der erste?« fragte Paser. »Hilf mir, die Schüsseln anzuordnen.«
»Ich habe Denes offen angegriffen; meine Anklageschrift ist hieb- und stichfest.«
»Wozu verurteilst du ihn?«
»Zu einer schweren Bußgeldzahlung.«
»Du hast dir einen Feind von Rang gemacht.«
»Ich habe das Gesetz angewandt.«
»Sei vorsichtig.«
Paser hatte keine Zeit aufzubegehren; der Anblick Neferets ließ ihn Denes, den Gerichtsschreiber Iarrot, das Amtszimmer, seine Unterlagen vergessen. In einem duftig-blaßblauen Trägergewand, das die Schultern frei ließ, die Augenlider mit grüner Farbe geschminkt, erleuchtete sie zart und beruhigend zugleich die Wohnung ihres Gastgebers. »Ich habe mich verspätet.«
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Diese Fabel ist ein Klassiker. Äsop schöpfte seine Inspiration aus den ägyptischen Fabeln, an deren Überlieferung auch La Fontaines Meisterwerke anknüpfen.