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Der Richter, der Esel und der Hund gingen im Hafen Perunefer an Land, dessen Name »gute Reise« bedeutete. Hunderte Handelsschiffe von unterschiedlicher Größe lagen an den vor emsiger Geschäftigkeit wimmelnden Hafendämmen; die Waren wurden zu ungeheuren Speichern geschafft, die mit größter Sorgfalt bewacht und verwaltet wurden. Um den Preis einer Arbeit, die der Erbauer des Alten Reiches würdig war, hatte man einen Seitenkanal zum Nil ausgehoben, der an der Hochebene entlangführte, auf der die Pyramiden errichtet worden waren. Auf diese Weise konnten die Wasserfahrzeuge gefahrlos dahinsegeln, und der Verkehr von Lebensmitteln und anderen Dingen war bei jeder Jahreszeit gesichert; Paser bemerkte, daß die Wände des Kanals mit einer Maurerarbeit von beispielhafter Güte ausgekleidet waren. Die drei Weggefährten wandten sich zum nördlichen Viertel, wo Branirs Wohnstatt lag, durchquerten die Stadtmitte, bewunderten den berühmten Tempel des Ptah, des Gottes der Handwerker, und gingen am gesperrten Gebiet der Streitkräfte vorüber. Hier wurden die Waffen hergestellt und die Kriegsschiffe gebaut. Hier auch, zwischen den mit Streitwagen, Schwertern, Lanzen und Schilden angefüllten Waffenkammern, ertüchtigten sich die Einsatzverbände des ägyptischen Heeres, die in weiträumigen Kasernen untergebracht waren.

Im Norden wie im Süden, in Nachbarschaft der Gebäude des Schatzhauses, die Gold, Silber, Kupfer, Stoffe, Salben, Öle, Honig und andere Kostbarkeiten beherbergten, reihten sich von Gerste, Dinkel und den unterschiedlichsten Saaten strotzende Kornspeicher aneinander.

Dieses allzu ausgedehnte Memphis machte den jungen Mann vom Lande schwindeln. Wie sich im Geflecht der Straßen und Gäßchen zurechtfinden, in der Überfülle an Vierteln, die »Leben der Beiden Länder«, »der Garten«, »die Sykomore«, »die Mauer des Krokodils«, »die Feste«, »die beiden Hügel« oder »die Schule der Heilkunde« hießen? Während es Brav ziemlich unheimlich zumute zu sein schien und er seinem Herrn nicht von der Seite wich, folgte der Esel seinem Weg. Er geleitete seine beiden Gefährten durch das Viertel der Handwerker, wo diese in kleinen, zur Straße hin offenen Werkstätten Stein, Holz, Metall und Leder bearbeiteten. Niemals zuvor hatte Paser so viele Töpferwaren, irdene Gefäße, Tafelgeschirre und Gerätschaften für jeglichen Hausstand gesehen. Er begegnete zahlreichen Fremden, Hethitern, Griechen, Kanaanitern und aus den verschiedensten kleinen Reichen kommenden Asiaten; diese unbekümmerten, schwatzhaften Leute schmückten ihre Hälse mit Lotosketten, verkündeten, daß Memphis eine Schale Früchte sei, und begingen ihre Kulte in den Tempeln des Gottes Baal und der Göttin Astarte, deren Anwesenheit PHARAO duldete. Paser wandte sich an eine Weberin und fragte sie, ob er in die rechte Richtung gehe; er konnte feststellen, daß der Esel ihn nicht in die Irre geführt hatte. Der Richter bemerkte, daß die prunkvollen Herrenhäuser der Vornehmen mit ihren Gärten und Wasserflächen mitten unter den kleinen Behausungen der einfachen Leute standen. Hohe Säulenhallen, die von Türhütern bewacht wurden, öffneten sich auf blumenbestandene Alleen, an deren Ende sich zwei- oder dreigeschossige Wohnsitze versteckten. Dann endlich Branirs Wohnstatt! Sie war so hübsch, so reizend mit ihren weißen Mauern, ihrem mit einem Gebinde von rotem Mohn verzierten Türsturz, ihren von Kornblumen mit grünen Kelchen und von gelben Persea-Blüten[12] geschmückten Fenstern, daß der junge Richter sie eine Weile mit großem Gefallen bewunderte.

Eine Tür ging auf das Gäßchen, in dem zwei Palmen wuchsen, die die Terrasse des Häuschens beschatteten. Gewiß, das Dorf war recht fern, doch dem alten Arzt war es gelungen, etwas vom Duft der ländlichen Heimat in der Stadt zu bewahren. Branir stand auf der Schwelle. »Ist deine Reise gut verlaufen?«

»Der Esel und der Hund sind durstig.«

»Ich kümmere mich um sie; hier hast du ein Becken, damit du dir die Füße waschen kannst, und Brot, auf das ich Salz gestreut habe, um dich willkommen zu heißen.«

Über einige Stufen stieg Paser in den ersten Raum hinunter; er sammelte sich vor einer kleinen Nische, welche die Statuetten der Ahnen barg. Dann entdeckte er den Empfangsraum, dessen Decke von zwei farbigen Säulen getragen wurde; an den Wänden standen der Aufbewahrung dienende Schränke und Truhen. Auf dem Boden lagen Matten. Eine kleine Werkstatt, ein Baderaum, eine Küche, zwei Kammern und ein Keller vervollständigten das wohlige Heim. Branir lud seinen Gast ein, die Treppe zur Terrasse zu erklimmen, wo er kühle Getränke und dazu mit Honig gefüllte Datteln sowie Backwaren aufgetischt hatte.

»Ich fühle mich verloren«, gestand Paser. »Das Gegenteil hätte mich überrascht. Ein gutes Abendmahl, eine Nacht Ruhe, und du wirst der feierlichen Einsetzung standhalten können.«

»Schon morgen?«

»Die Fälle stapeln sich.«

»Ich hätte mich gerne erst einmal in Memphis eingewöhnt.«

»Die Ermittlungen werden dich dazu nötigen. Hier ein Geschenk, da du ja noch nicht im Amt bist.« Branir überreichte Paser das Buch der Unterrichtung der Schreiber. Es ermöglichte ihnen, bei jeder Gelegenheit die angemessene Haltung dank der Achtung der Hierarchie einzunehmen. An der Spitze standen die Götter, die Göttinnen, die im Jenseits verklärten Geister, PHARAO und die Königin; dann die Königsmutter, der Wesir, der Rat der Weisen, die hohen Gerichtsbeamten, die Heerführer und die Schreiber des Hauses der Bücher. Es folgte eine Vielzahl von Ämtern, die, über PHARAOS Beauftragte in der Fremde, vom Leiter des Schatzhauses bis zum Vorsteher der Kanäle reichten.

»Ein Mann mit ungestümem Herzen kann nur ein Unruhestifter sein und ein Schwätzer ebenso; wenn du stark sein möchtest, werde zum Schmied deiner Worte, forme sie aus, denn die Sprache ist die mächtigste Waffe für den, der sie zu handhaben versteht.«

»Ich vermisse das Dorf.«

»Du wirst es dein ganzes Leben lang vermissen.«

»Weshalb habt Ihr mich hierher berufen?«

»Es ist dein eigenes Verhalten, das dein Geschick bestimmt.«

Paser schlief wenig und schlecht, seinen Hund zu seinen Füßen und den Esel an seinen Kopf gebettet. Die Ereignisse nahmen einen allzu raschen Verlauf und ließen ihm keine Zeit, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen; von einem Strudel erfaßt, verfügte er nicht mehr über seine gewohnten Bezugspunkte und mußte sich widerstrebend in ein Abenteuer mit ungewissen Wendungen einlassen.

Bereits bei Sonnenaufgang wachte er auf, nahm dann ein Schwallbad, reinigte seinen Mund mit Natron[13]und verzehrte in Gesellschaft von Branir sein Morgenmahl, der ihn darauf den Händen eines der besten Bader der Stadt überantwortete. Der Bader, der seinem Kunden gegenüber und wie dieser auf einem dreibeinigen Hocker saß, benetzte Pasers Haut und rieb sie mit sämigem Schaum ein. Aus einem Lederfutteral zog er ein aus einer Kupferklinge mit Holzgriff bestehendes Rasiermesser hervor, das er in vollendeter Geschicklichkeit handhabte. Wohlriechend und mit einem neuen Schurz sowie einem weiten, durchsichtigen Oberhemd bekleidet, schien Paser nun bereit, der Prüfung mutig entgegenzutreten.

»Ich habe den Eindruck, verkleidet zu sein«, vertraute er Branir an.

»Die Erscheinung ist unbedeutend, aber vernachlässige sie nicht; wisse, das Ruder zu führen, damit der Fluß der Tage dich nicht vom Recht entferne, denn das Gleichgewicht eines Landes hängt von dessen Anwendung ab. Sei deiner selbst würdig, mein Sohn.«

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12

Großer Baum, dessen Frucht wegen ihrer Süße geschätzt wird und einem Herzen gleicht und dessen Blatt die Form einer Zunge hat.

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13

Natron ist ein natürliches Gemisch aus Natriumkarbonat und -hydrogenkarbonat.