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»Ichbin im Unrecht. Die Verhandlung wird lange dauern, und was würde ich dabei gewinnen? Eine Verringerung der Strafe und einen Haufen Feinde.«

»Der Älteste der Vorhalle scheint Euch nicht sonderlich zu schätzen.«

»Es ist so seine Gewohnheit, junge Richter zu prüfen.«

»Ihr habt mir in einem schwierigen Augenblick geholfen; ich würde es Euch gerne vergelten. Laßt mich Eure Schuld begleichen.«

»Das lehne ich ab.«

»Wäre es Euch genehm, wenn ich Euch das Soll borgte? Ohne Zins, selbstverständlich. Erlaubt mir doch wenigstens, keinen Vorteil bei einem Freund herauszuschlagen!«

»Wie könnte ich es Euch zurückzahlen?«

»Durch Eure Arbeit. Bei meinen neuen Obliegenheiten als Schatzaufseher der Kornhäuser werde ich häufig auf Eure Sachkenntnis zurückgreifen müssen. Ihr selbst werdet berechnen, wie viele Beratungen dem Wert von zwei Sack Korn und einem Mastochsen entsprechen.«

»Wir werden uns oft wiedersehen.«

»Hier ist Eure Eigentumsbescheinigung der verlangten Güter.« Bel-ter-an und Paser umarmten sich herzlich.

Der Älteste der Vorhalle bereitete gerade die Sitzung des folgenden Tages vor. Ein Sandalendieb, eine angefochtene Erbschaft, eine Entschädigungsforderung nach einem Unfall. Einfache und rasch beizulegende Fälle. Unvermutet kündigte man ihm einen vergnüglichen Besuch an.

»Paser! Habt Ihr den Beruf gewechselt, oder kommt Ihr, um Euer Soll zu entrichten?« Der Gerichtsbeamte lachte über seinen eigenen Scherz.

»Der zweite Vorschlag trifft zu.« Heiter gestimmt, blickte der Älteste Paser sehr ruhig an.

»Das ist gut, Euch mangelt es nicht an Witz. Die Gerichtslaufbahn ist nichts für Euch; später werdet Ihr mir für meine Strenge danken. Kehrt in Euer Dorf zurück, vermählt Euch mit einer guten Bäuerin, macht ihr zwei Kinder und vergeßt die Richter und die Rechtspflege. Das ist eine allzu verwickelte Welt. Ich kenne die Menschen, Paser.«

»Dazu beglückwünsche ich Euch.«

»Ah, Ihr beugt Euch der Vernunft!«

»Hier ist meine Entlastung.« Der Älteste prüfte fassungslos die Besitzurkunde. »Die beiden Säcke Korn sind vor Eurer Tür abgelegt werden, der Mastochse stärkt sich in den Stallungen des Schatzhauses. Seid Ihr zufrieden?«

Monthmose hatte seine Leichenbittermiene aufgesetzt. Mit rosenrotem Schädel, verkniffenen Zügen und näselnder Stimme tat er seine Ungeduld offen kund.

»Ich empfange Euch aus reiner Förmlichkeit, Paser. Heute seid Ihr nur noch ein gesetzloser Untertan.«

»Wenn dem so wäre, hätte ich mir nicht erlaubt, Euch zu behelligen.«

Der Vorsteher der Ordnungskräfte hob den Kopf. »Was bedeutet?«

»Hier ist ein vom Ältesten der Vorhalle unterzeichnetes Schriftstück. Ich bin mit dem Schatzhaus im reinen. Er hat sogar befunden, der Mastochse übersteige das übliche Maß, und mir eine Anrechnung auf die Steuer des nächsten Jahres gewährt.«

»Wie habt Ihr …?«

»Ich wüßte Euch Dank, die gerichtlichen Siegel schnellstmöglich von meiner Tür entfernen zu lassen.«

»Selbstverständlich, werter Richter, selbstverständlich! Wißt, daß ich in dieser unseligen Angelegenheit Eure Verteidigung ergriffen habe.«

»Daran zweifele ich nicht einen Augenblick.«

»Eure zukünftige Mitwirkung …«

»Die kündigt sich unter den besten Vorzeichen an. Eine Kleinigkeit noch: Was das unterschlagene Korn angeht, ist alles geregelt. Ich weiß nun Bescheid, aber Ihr wußtet es ja vor mir.«

Wieder heiter gestimmt und erneut im Amt, bestieg Paser ein schnelles Schiff in Richtung Theben. Kem begleitete ihn. Vom Schaukeln gewiegt, schlief der Pavian gegen einen Ballen gelehnt. »Ihr erstaunt mich wirklich«, sagte der Nubier. »Ihr seid dem Stößel und dem Mühlstein entronnen; für gewöhnlich werden selbst die Widerstandsfähigsten zermalmt.«

»Bloßes Glück.«

»Eher ein hoher Anspruch. Ein derart mächtiger Anspruch, daß die Menschen und die Ereignisse Euch nachgeben.«

»Ihr meßt mir Kräfte bei, die ich nicht besitze.« Den Lauf des Stroms hinaufeilend, näherte er sich Neferet. Der Oberste Arzt Neb-Amun würde bald Rechenschaft verlangen. Die junge Ärztin würde ihre Tätigkeiten nicht einschränken. Der Zusammenstoß war unvermeidlich.

Das Boot legte in Theben gegen Ende des Nachmittags an. Der Richter setzte sich auf die Böschung, abseits der Fahrgäste. Die Sonne neigte sich, der Berg des Westens färbte sich rosenrot; mit den schwermütigen Weisen von Flöten kehrten die Herden von den Feldern zurück.

Der letzte Fährkahn beförderte nur eine kleine Anzahl von Fahrgästen. Kem und der Babuin blieben am Heck stehen. Paser trat auf den Fährmann zu. Er trug eine Perücke nach alter Sitte, die sein halbes Gesicht verbarg.

»Verringert die Fahrt«, befahl der Richter. Der Fährmann behielt das Gesicht über dem Steuerruder gesenkt.

»Wir haben miteinander zu reden; hier seid Ihr in Sicherheit. Antwortet mir, ohne aufzuschauen.« Wer schenkte einem Fährmann Aufmerksamkeit? Jeder hatte es eilig, das andere Ufer zu erreichen, man plauderte, träumte, warf jedoch keinen Blick auf den Mann, der den Kahn steuerte. Dieser begnügte sich mit wenig, lebte abseits von allem, mischte sich nicht unter das Volk.

»Ihr seid der fünfte Altgediente, der einzige Überlebende der Ehrenwache des Sphinx.« Der Fährmann widersprach nicht. »Ich bin Richter Paser, und ich wünsche die Wahrheit zu erfahren. Eure vier Genossen sind tot, wahrscheinlich ermordet. Und deshalb versteckt Ihr Euch. Allein Beweggründe von äußerster Schwere können eine solche Metzelei erklären.«

»Was beweist mir Eure Rechtschaffenheit?«

»Wenn ich Euch beseitigen wollte, wärt Ihr bereits verschwunden. Habt Vertrauen.«

»Für Euch, da ist das einfach …«

»Glaubt das nicht. Von welcher Ungeheuerlichkeit wurdet Ihr Zeuge?«

»Wir waren fünf … fünf alte Krieger. Wir bewachten den Sphinx während der Nacht. Ein gefahrloser Auftrag, ein ausgesprochenes Ehrenamt vor unserem Ruhestand. Ich und ein Waffenbruder saßen außerhalb der Umfriedungsmauer, die den Löwen aus Stein umringt. Wie gewöhnlich sind wir eingeschlummert. Er hat ein Geräusch gehört und ist aufgewacht. Ich war sehr müde und habe ihn beschwichtigt. Er war jedoch besorgt und gab keine Ruhe. Wir haben nachgesehen, die Umfriedung überwunden und die Leiche eines unserer Gefährten neben der rechten Flanke entdeckt, dann eine zweite auf der anderen Seite.« Er brach ab, mit zugeschnürter Kehle. »Und dann dieses Wimmern … es verfolgt mich noch heute! Der Oberaufseher lag zwischen den Pranken des Sphinx im Todeskampf. Blut floß aus seinem Mund, er konnte nur mit Mühe sprechen.«

»Was hat er gesagt?«

»Man habe ihn angegriffen, und er habe sich verteidigt.«

»Wer?«

»Eine nackte Frau und mehrere Männer. ›Fremde Worte in der Nacht‹: Das waren seine letzten Worte. Mein Gefährte und ich hatten heillose Angst. Weshalb so viel Gewalt … Sollten wir die zur Bewachung der Großen Pyramide abgestellten Soldaten warnen? Mein Waffenbruder hat sich dem widersetzt, da er überzeugt war, wir würden Unannehmlichkeiten bekommen. Vielleicht würden wir sogar angeklagt. Die drei anderen Altgedienten waren tot … Besser war es zu schweigen und vorzugeben, nichts gehört und nichts gesehen zu haben. Wir haben unsere Runde wieder aufgenommen. Als die Tageswache uns in der Frühe ablöste, hat sie das Gemetzel entdeckt. Wir haben Bestürzung vorgetäuscht.«