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»Strafmaßnahmen?«

»Keine. Man hat uns in den Ruhestand entlassen und in unsere Heimatdörfer geschickt. Mein Genosse ist Bäcker geworden, ich hatte vor, Wagentischler zu werden. Seine Ermordung hat mich genötigt, mich zu verbergen.«

»Ermordung?«

»Er war ein äußerst vorsichtiger Mensch, vor allem mit Feuer. Ich bin zu der Gewißheit gelangt, daß man ihn hineingestoßen hat. Das Verhängnis des Sphinx verfolgt uns. Man hat uns nicht geglaubt. Man ist überzeugt, wir wüßten zuviel.«

»Wer hat Euch in Gizeh verhört?«

»Ein hoher Offizier.«

»Ist Heerführer Ascher mit Euch in Verbindung getreten?«

»Nein.«

»Eure Aussage wird entscheidend sein während der Verhandlung.«

»Welche Verhandlung?«

»Der Heerführer hat sich für ein Schriftstück verbürgt, das beurkundet, daß Ihr und Eure vier Gefährten bei einem Unfall ums Leben gekommen wärt.«

»Um so besser, dann gibt es mich nicht mehr.«

»Wenn ich Euch wiedergefunden habe, werden andere das auch schaffen. Sagt aus, und Ihr werdet wieder frei sein.« Der Kahn legte an.

»Ich … ich weiß nicht. Laßt mich in Frieden.«

»Das ist die einzige Lösung, um des Andenkens Eurer Gefährten willen und für Euch selbst.«

»Morgen früh, bei der ersten Überfahrt, werde ich Euch meine Antwort geben.« Der Fährmann sprang auf die Böschung und wickelte das Tau um einen Pflock. Paser, Kem und der Pavian entfernten sich. »Bewacht diesen Mann die ganze Nacht.«

»Und Ihr?«

»Ich werde im nächstgelegenen Dorf schlafen. Ich komme im Morgengrauen zurück.« Kem zögerte. Der erhaltene Befehl gefiel ihm nicht. Wenn der Fährmann Paser Enthüllungen gemacht hatte, war der Richter in Gefahr. Er konnte nicht die Sicherheit des einen wie des anderen gewährleisten. Kem entschied sich für Paser.

Der Schattenfresser hatte die von den Strahlen des Abendrots überflutete Fahrt des Kahns beobachtet. Der Nubier hatte am Heck, der Richter nahe bei dem Fährmann gestanden. Eigenartig.

Seite an Seite hatten sie auf das andere Ufer geschaut. Indes waren die Fahrgäste wenig zahlreich gewesen, jeder hatte über behaglich viel Platz verfügt. Weshalb diese Nähe, wenn nicht für ein Gespräch?

Fährmann … Der auffallendste und am wenigsten beachtete aller Berufe.

Der Schattenfresser warf sich ins Wasser und durchquerte den Nil, indem er sich von der Strömung treiben ließ. Am anderen Ufer angelangt, blieb er eine ganze Weile im Schilf hocken und kundschaftete die Umgebung aus. Der Fährmann schlief in einer Bretterhütte.

Weder Kem noch der Pavian trieben sich in der Nähe herum. Er geduldete sich noch etwas, versicherte sich, daß niemand die Hütte überwachte. Flink glitt er hinein und legte dem Schlafenden, der sogleich hochschreckte, einen Lederriemen um den Hals.

»Wenn du dich rührst, bist du tot.« Der Fährmann war ihm nicht gewachsen. Er hob den rechten Arm zum Zeichen der Unterwerfung.

Der Schattenfresser lockerte die Schlinge ein wenig.

»Wer bist du?«

»Der … der Fährmann.«

»Eine weitere Lüge, und ich erdrossele dich. Bist du Altgedienter?«

»Ja.«

»Zugehörigkeit?«

»Asien-Heer.«

»Deine letzte Stellung?«

»Die Ehrenwache des Sphinx.«

»Weshalb versteckst du dich?«

»Ich habe Angst.«

»Vor wem?«

»Das … das weiß ich nicht.«

»Was ist dein Geheimnis?«

»Ich habe keines!« Die Schlinge grub sich ins Fleisch. »Ein Überfall in Gizeh. Ein Gemetzel. Man hat den Sphinx angegriffen, meine Gefährten sind tot.«

»Und der Angreifer?«

»Ich habe nichts gesehen.«

»Hat der Richter dich verhört?«

»Ja.«

»Was hat er dich gefragt?«

»Dasselbe wie Ihr.«

»Was hast du geantwortet?«

»Er hat mir mit dem Gericht gedroht, aber ich habe nichts gesagt. Ich möchte keine Schwierigkeiten mit der Gerechtigkeit.«

»Was hast du ihm mitgeteilt?«

»Daß ich ein Fährmann sei, kein Altgedienter.«

»Ausgezeichnet.«

Die Schlinge löste sich. In dem Augenblick aber, als der Altgediente erleichtert seinen schmerzenden Hals betastete, schlug der Schattenfresser ihn mit einem Hieb gegen die Schläfe nieder. Daraufhin schleifte er den Körper aus der Hütte, ließ ihn in den Fluß hinunterrutschen und hielt den Kopf des Fährmanns einige lange Minuten unter Wasser. Dann ließ er die Leiche nahe dem Kahn treiben.

Ein gewöhnlicher Ertrunkener, nichts weiter …

Neferet stellte gerade eine Verordnung für Sababu zusammen. Da die Dirne sich ernsthaft pflegte, ging das Übel zurück. Und weil sie sich wieder bei Kräften und von den beißenden Schmerzanfällen ihrer Gelenkentzündung befreit fühlte, hatte sie die junge Ärztin um die Erlaubnis gebeten, mit dem Türhüter ihres Hauses des Bieres, einem kerngesunden, jungen Nubier, zu schlafen. »Dürfte ich Euch stören?« fragte Paser. »Ich beende soeben mein Tagwerk.« Neferet hatte abgespannte Gesichtszüge.

»Ihr arbeitet zu viel.«

»Nur eine vorübergehende Erschöpfung. Neuigkeiten von Neb-Amun?«

»Er hat sich nicht bemerkbar gemacht.«

»Lediglich eine kurze Gefechtsruhe.«

»Ich fürchte, ja.«

»Und Eure Ermittlung?«

»Sie kommt mit großen Schritten voran, auch wenn ich vom Ältesten der Vorhalle kurzfristig abgesetzt worden war.«

»Erzählt mir davon.«

Er berichtete von seinen Mißgeschicken, während sie sich die Hände wusch.

»Ihr seid von Freunden umgeben. Unser Meister Branir, Sethi, Bel-ter-an … Ein großes Glück.«

»Fühlt Ihr Euch etwa allein?«

»Die Dorfbewohner erleichtern mir meine Mühsal, doch ich kann niemanden um Rat fragen. Manchmal ist das recht bedrückend.«

Sie setzten sich auf eine Matte, mit Blick auf den Palmenhain. »Ihr wirkt bewegt.«

»Ich habe gerade einen Zeugen von entscheidender Wichtigkeit aufgespürt. Ihr seid die erste, die davon erfährt.«

Neferets Blick entzog sich nicht. Er las Aufmerksamkeit, wenn nicht gar Zuneigung darin.

»Man kann Euch daran hindern, weiter voranzukommen, nicht wahr?«

»Das schert mich nicht. Ich glaube an das Recht wie Ihr an die Heilkunde.«

Ihre Schultern berührten sich. Erstarrt hielt Paser den Atem an. Als ob sie sich dieser flüchtigen Fühlung nicht bewußt geworden wäre, rückte Neferet nicht von ihm ab.

»Würdet Ihr so weit gehen und Euer Leben opfern, um die Wahrheit zu erfahren?«

»Wenn es sein müßte, ohne Zögern.«

»Denkt Ihr noch an mich?«

»In jedem Augenblick.«

Seine Hand streifte die Neferets, legte sich auf sie … leicht, unmerklich.

»Wenn ich aller Dinge überdrüssig bin, denke ich an Euch. Was auch geschieht, Ihr wirkt unzerstörbar und zieht unbeirrt Euren Weg.«

»Das ist bloßer Schein, der Zweifel befällt mich häufig. Sethi bezichtigt mich der Arglosigkeit. Für ihn zählt allein das Abenteuer. Sobald ihm die Gewohnheit droht, ist er bereit, irgendeine Tollheit anzustellen.«

»Fürchtet Ihr die Gewohnheit denn auch?«

»Sie ist eine Verbündete.«

»Kann ein Gefühl lange Jahre währen?«

»Ein ganzes Leben, sofern es mehr als ein Gefühl ist, eine Verpfändung des ganzen Seins, die Gewißheit einer Glückseligkeit, eines Seelenbündnisses, welche die Morgenröten und die Sonnenuntergänge nähren. Eine Liebe, die nachläßt, war nur eine Eroberung.«