Paser stieß die Tür seines neuen Reichs auf. Das Amtszimmer war ein recht großer Raum, mit Schränken und Truhen vollgestellt, in denen gebündelte oder gesiegelte Papyrusrollen verwahrt waren. Auf dem Boden lag eine nicht ganz geheure Schicht Staub. Angesichts dieser unerwarteten Not zögerte Paser keinen Augenblick. Der Würde seines Amtes zum Trotz ergriff er einen Besen, der aus langen, steifen, zopfartig gedrehten Faserbüscheln bestand, welche zwei Sechsfachverschnürungen zusammenhielten; der starre Stiel ermöglichte eine geschmeidige und gleichmäßige Handhabung.
Als die Säuberung beendet war, nahm er den Bestand der Schriftenkammer in Augenschein: Unterlagen des Amts für Liegenschaften und des Schatzhauses, verschiedene Berichte, Klagen, Buchhaltungsaufzeichnungen und Belege über Lohnzahlungen in Getreide, Körben oder Stoffen, Aufstellungen von Bediensteten … Seine Befugnisse reichten in die unterschiedlichsten Gebiete.
Im größten der Schränke fand sich die unerläßliche Ausrüstung des Schreibers: Paletten mit Aushöhlungen auf der Oberseite, um die rote und die schwarze Tinte darin aufzunehmen; feste Tuschesteine, Becher, Beutel mit zermahlenen Pigmenten, Beutel mit Pinseln, Schabmessern, Gummi; steinerne Mörser, Leinenschnürchen; ein Schildkrötenpanzer, um Mischungen vorzunehmen; eine irdene Pavianfigur, die Thot, den Herrn der Hieroglyphen, beschwor; Kalksteinstücke, die für Entwürfe benutzt wurden; Tafeln aus Ton, Kalk und Holz. Alles war von besonderer Güte.
In einem Kästchen aus Akazienholz ruhte einer der kostbarsten Gegenstände: eine Wasseruhr. Das kleine, kegelstumpfförmige Gefäß war im Innern nach zwei unterschiedlichen Maßeinheiten durch zwölf Kerben eingeteilt; das Wasser lief durch ein Loch im Boden der Uhr aus und maß auf diese Weise die Stunden. Ohne Zweifel mußte der Gerichtsschreiber es wohl als notwendig erachten, über die bei seiner Arbeit verbrachte Zeit genauestens zu wachen. Eine Pflicht drängte sich vor allen anderen auf. Paser nahm einen feinst zugeschnittenen Binsenpinsel, tauchte die Spitze in einen mit Wasser gefüllten Becher und ließ einen Tropfen auf die Palette fallen, derer er sich bedienen wollte. Er murmelte das Gebet, das jeder Schreiber vor seinem Werk aufsagte: »Wasser des Tintensteins für deinen Ka[16] Imhotep«; auf die Art wurde der Schöpfer der ersten Pyramide verehrt, der Baumeister, Heilkundige, Sterndeuter und Vorbild all jener, welche mit Hieroglyphen umgingen.
Hierauf stieg der Richter ins Obergeschoß. Die Dienstwohnung war seit langem nicht mehr benutzt worden; Pasers Vorgänger, der es vorgezogen hatte, ein kleines Haus am Rande der Stadt zu bewohnen, hatte versäumt, die drei Räume zu unterhalten, die nun Wanzen, Fliegen, Mäuse und Spinnen beherbergten.
Der junge Mann ließ sich nicht entmutigen; er fühlte sich Manns genug, den Kampf aufzunehmen. Auf dem Lande mußten die Behausungen häufig entseucht und von solch unerwünschten Gästen befreit werden.
Nachdem er sich die nötigen Mittel aus einem kleinen Laden des Viertels besorgt hatte, machte Paser sich ans Werk. Er besprengte die Wände und den Boden mit Wasser, in dem er Natron gelöst hatte, bestäubte sie dann mit einem Gemisch aus zerstoßener Kohle und der Pflanze bebet[17], deren kräftiger Geruch Geschmeiß und Ungeziefer fernhielt. Endlich vermengte er Weihrauch, Myrrhe, Cinnamomum[18] sowie Honig und nahm eine Ausräucherung vor, die das Gemäuer läuterte, indem es ihm einen angenehmen Duft verlieh. Um diese kostspieligen Stoffe zu erwerben, hatte er sich verschulden müssen und den größten Teil seines nächsten Gehalts ausgegeben.
Erschöpft entrollte er seine Matte und breitete sie auf dem Boden aus. Etwas störte ihn jedoch und hinderte ihn am Einschlafen: der Petschaftsring. Doch er nahm ihn nicht ab. Der Hirte Pepi hatte sich nicht geirrt: Er hatte keine Wahl mehr.
4. Kapitel
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als der Gerichtsschreiber Iarrot mit schwerem Tritt in das Amtszimmer kam. Massig, pausbäckig, mit rotem, von Kupferrose gezeichnetem Gesicht, tat er keinen Schritt, ohne seinem Gang den Takt eines mit seinem Namen gezeichneten Stocks aufzuerlegen, welcher ihn zu einer bedeutenden und geachteten Persönlichkeit machte. Iarrot, gut und gern um die Vierzig, war glücklicher Vater eines Mädchens, Ursache all seiner Sorgen. Alle Tage nämlich stritt er sich mit seiner Gattin wegen der Erziehung des Kindes, das er unter keinerlei Vorwand hemmen und einschränken wollte. Das Haus erscholl ständig von ihrem zunehmend heftiger werdenden Gezänk.
Zu seiner großen Überraschung rührte gerade ein Arbeiter Gips unter zerstoßenen Kalk, um diesen weißer zu machen, prüfte dann die Beschaffenheit des Erzeugnisses, indem er es in einen Kalksteinkegel goß, und verstopfte schließlich ein Loch in der Vorderwand des richterlichen Wohnhauses.
»Ich habe keine Arbeiten angeordnet«, sagte Iarrot erzürnt.
»Ich schon. Und besser noch, ich führe sie unverzüglich aus.«
»Mit welchem Recht?«
»Ich bin der Richter Paser.«
»Aber … Ihr seid sehr jung!«
»Solltet Ihr mein Gerichtsdiener sein?«
»In der Tat.«
»Der Tag ist schon recht weit vorgeschritten.«
»Gewiß, gewiß … doch ich wurde von häuslichen Verdrießlichkeiten aufgehalten.«
»Welche dringenden Fälle stehen an?« fragte Paser, während er mit dem Verputzen fortfuhr. »Die Klage eines Baumeisters. Er verfügte über Ziegelsteine, doch es fehlte ihm an Eseln, um sie zu befördern. Er beschuldigt den Verleiher, sein Bauwerk absichtlich zu behindern.«
»Das ist in Ordnung gebracht.«
»Auf welche Weise?«
»Ich habe den Verleiher heute morgen aufgesucht. Er wird den Geschäftsmann entschädigen und die Ziegelsteine schon morgen befördern; eine Verhandlung wurde abgewendet.«
»Seid Ihr auch Verputzer?«
»Ein kaum begabter Laie. Die uns vom Schatzhaus zugeteilten Mittel sind ziemlich dürftig; daher werden wir uns in den meisten Fällen selbst helfen müssen. Weiter?«
»Ihr werdet zu einer Viehzählung erwartet.«
»Genügt der eigens dafür geschulte Schreiber nicht?«
»Der Gebieter des Anwesens, der Zahnheilkundler Qadasch, ist davon überzeugt, daß einer seiner Bediensteten ihn bestiehlt. Er hat um eine Untersuchung gebeten; Euer Vorgänger hat diese so lange wie möglich hinausgeschoben. Offen gesagt, ich habe ihn verstanden. Falls Ihr es wünscht, werde ich Beweggründe finden, um sie noch weiter zu verzögern.«
»Das wird nicht notwendig sein. Übrigens … wißt Ihr einen Besen zu handhaben?« Da der Gerichtsdiener stumm blieb, reichte der Richter ihm den kostbaren Gegenstand.
Wind des Nordens war nicht unzufrieden darüber, erneut die Landluft zu kosten; als Träger der richterlichen Ausrüstung schritt er kräftig aus, während Brav in der Gegend umherstreunte und freudig ein paar Vögel aufscheuchte. Wie gewohnt hatte Wind des Nordens sogleich die Ohren gespitzt, als der Richter ihm andeutete, daß sie sich zum Gut des Zahnheilkundlers Qadasch begeben würden, das zwei Stunden Fußmarsches südlich der Hochebene von Gizeh lag; der Esel hatte ohne Zögern die rechte Richtung eingeschlagen.
18
Strauchartige Gewürzpflanzen, Lorbeergewächse; aus manchen Arten wird Zimt gewonnen (Zimtbaum); hier ein Gewürz.