»Ich möchte Euch mein Leben schenken. Schon morgen halte ich um Eure Hand an.« Sie lächelte, erobert und hingegeben. »Liebe mich, liebe mich, so sehr du kannst.« Er legte sich auf sie, den Blick in ihren blauen Augen verloren. Ihre Seelen und ihre Körper vereinigten sich unter der Mittagssonne.
Neferet lauschte der Rede ihres Vaters, eines Riegelschmieds, und der ihrer Mutter, die Weberin in einer Werkstatt mitten in Theben war. Weder er noch sie widersetzten sich der Vermählung, wünschten jedoch, ihren zukünftigen Eidam zu sehen, bevor sie sich entscheiden wollten. Gewiß, die junge Frau bedurfte keineswegs ihrer Einwilligung, aber die Hochachtung, die sie ihnen gegenüber empfand, erlaubte ihr nicht, diese zu übergehen. Ihre Mutter erhob einige Vorbehalte: War Paser nicht zu jung? Was seine Zukunft anbelangte, blieben noch gewisse Zweifel bestehen. Und dazu diese Verspätung, am Tage seines Heiratsantrages!
Ihre Aufgeregtheit übertrug sich auf Neferet. Ein schrecklicher Gedanke fuhr ihr jäh durch den Sinn: Und wenn er sie schon nicht mehr liebte? Wenn er, im Widerspruch zu seinen Bekundungen, nur nach einer Liebelei gesucht hätte? Nein, das war unmöglich. Seine Leidenschaft würde Bestand haben wie das Thebanische Gebirge.
Endlich schritt er über die Schwelle der bescheidenen Behausung. Neferet blieb zurückhaltend, wie es die Feierlichkeit des Augenblicks verlangte. »Ich bitte Euch, mir zu vergeben; ich habe mich in den Gäßchen verirrt. Ich muß gestehen, nicht den geringsten Ortssinn zu haben; für gewöhnlich ist es mein Esel, der mich führt.«
»Ihr besitzt einen?« wunderte sich Neferets Mutter. »Er heißt Wind des Nordens.«
»Jung und bei guter Gesundheit?«
»Krankheit ist ihm fremd.«
»Welche anderen Güter besitzt Ihr?«
»Nächsten Monat werde ich über ein Haus in Memphis verfügen.«
»Richter, das ist ein guter Beruf«, bemerkte der Vater.
»Unsere Tochter ist jung«, hob die Mutter hervor. »Könntet Ihr nicht etwas warten?«
»Ich liebe sie und hege den Wunsch, sie zu heiraten, ohne einen Augenblick zu verlieren.« Paser wirkte ernst und entschlossen. Neferet betrachtete ihn mit den Augen einer verliebten Frau. Die Eltern gaben nach.
Sethis Streitwagen durchfuhr in schneller Fahrt das Portal der Hauptkaserne von Memphis. Die Wachen ließen ihre Lanzen fallen und warfen sich auf die Erde, um nicht zerquetscht zu werden. Sethi sprang ab, während die Pferde ihre Hatz im großen Hof fortsetzten. Er erklomm, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe, die zur Unterkunft der höheren Offiziere führte, wo auch der Heerführer Ascher weilte. Mit einem Schlag des Ellbogens in den Nacken räumte er den ersten Ordnungshüter aus dem Wege, mit einem Fausthieb in den Bauch den zweiten und mit einem Fußtritt in die Hoden den dritten.
Der vierte hatte noch Zeit, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen und ihn an der linken Schulter zu verletzen; der Schmerz vervielfachte die Raserei des Offiziers der Streitwagentruppe; er schlug seinen Gegner, beide Fäuste zu einem Amboß vereint, ohnmächtig.
Auf einer Matte sitzend, eine Karte Asiens vor sich entrollt, drehte Heerführer Ascher den Kopf Sethi zu. »Was willst du hier?«
»Euch vernichten.«
»Beruhige dich.«
»Ihr entwischt der Gerechtigkeit, aber nicht mir.«
»Falls du mich angreifst, wirst du diese Kaserne nicht lebend verlassen.«
»Wie viele Ägypter habt Ihr mit Euren Händen getötet?«
»Du warst erschöpft, deine Sicht war getrübt. Du hast dich getäuscht.«
»Ihr wißt genau, daß das nicht stimmt.«
»Dann laß uns einen Vergleich schließen.«
»Einen Vergleich schließen?«
»Eine öffentliche Aussöhnung täte die beste Wirkung. Ich wäre in meiner Stellung bestärkt, dir käme eine Beförderung zugute.«
Sethi stürzte sich auf Ascher und drückte ihm die Kehle zu. »Verrecke, du dreckiger Schuft.«
Soldaten umfaßten den Wahnsinnigen, hinderten ihn daran, ihren Anführer zu erwürgen, und bleuten ihn durch.
Großmütig reichte Heerführer Ascher keine Klage gegen Sethi ein. Er verstehe, so bekundete er, die Regung seines Angreifers, wenngleich dieser sich in der Person des Schuldigen irre. An seiner Stelle hätte er auf dieselbe Art und Weise gehandelt. Dieses Verhalten spreche zu seinen Gunsten. Sogleich nach seiner Rückkehr von Theben setzte Paser alles ins Werk, um seinen in der Hauptkaserne festgesetzten Freund Sethi zu befreien. Ascher war sogar bereit, die Strafmaßnahmen wegen Ungehorsams und Beleidigung eines Vorgesetzten aufzuheben, falls der Held seinen Austritt aus den Streitkräften erklärte. »Nimm an«, riet Paser.
»Vergib mir, ich habe mein Versprechen vergessen.«
»Mit dir bin ich stets zu nachsichtig.«
»Du wirst Ascher nicht besiegen.«
»Ich bin beharrlich.«
»Er ist gerissen.«
»Vergiß das Heer.«
»Die strenge Zucht mißfällt mir. Ich habe andere Pläne.« Paser fürchtete, sie zu kennen. »Wirst du mir helfen, einen Festtag auszurichten?«
»Zu welchem Anlaß?«
»Meiner Vermählung.«
Die Verschwörer fanden sich in einem verlassenen Hof zusammen. Jeder hatte sich versichert, daß niemand ihm gefolgt war.
Seitdem sie die Große Pyramide geplündert und PHARAOS Herrschaftszeichen gestohlen hatten, hatten sie sich damit begnügt, die Dinge zu beobachten. Die inzwischen eingetretenen Ereignisse zwangen sie nun, eine Entscheidung zu treffen. Allein Ramses der Große wußte, daß sein Thron auf wanderndem Sand ruhte. Sobald seine Macht nachließe, müßte er sein Verjüngungsfest begehen, folglich dem Hof und dem Lande eingestehen, daß er das Testament der Götter nicht mehr besaß. »Der König ist widerstandsfähiger, als wir vermutet hatten.«
»Geduld ist unsere beste Waffe.«
»Die Monate verstreichen.«
»Welches Wagnis gehen wir ein? PHARAO sind Hände und Füße gebunden. Er ergreift Maßnahmen, verhärtet seine Haltung gegenüber seiner eigenen Verwaltung, kann sich jedoch niemandem anvertrauen. Die ihm eigene Standhaftigkeit zerbröckelt; der Mann ist dem Untergang geweiht, und er ist sich dessen bewußt.«
»Wir haben das himmlische Eisen und den Dächsel verloren.«
»Ein Gefechtsfehler.«
»Ich, für meinen Teil, habe Angst. Wir sollten der Sache entsagen, die gestohlenen Gegenstände zurückerstatten.«
»Töricht!«
»Laßt uns nicht so nahe am Ziel aufgeben.«
»Ägypten ist in unseren Händen; morgen werden das Reich und seine Schätze uns gehören. Solltet Ihr unser großes Vorhaben aus dem Blick verlieren?«
»Jede Eroberung bringt Opfer mit sich, diese hier noch mehr als irgendeine andere! Kein Gewissensbiß darf uns aufhalten. Ein paar Leichen am Wegesrand haben keinerlei Bedeutung im Hinblick auf das, was wir vollbringen wollen.«
»Dieser Richter Paser ist eine wahrhaftige Gefahr. Allein seine Vorgehensweise ist der Grund, daß wir uns heute versammelt haben.«
»Ihm wird der Atem ausgehen.«
»Gebt Euch keiner Täuschung hin! Er ist der verbissenste aller Ermittler.«
»Er weiß nichts.«
»Er hat sogar seine erste große Gerichtsverhandlung meisterlich durchgeführt. Manche seiner Eingebungen und Erkenntnisse sind furchteinflößend; er hat bedeutsame Punkte zusammengetragen und könnte unser Werk in Gefahr bringen.«