»Wer hat Euch geschickt, Monthmose, wer hat diese Falle ausgeheckt?«
Die beiden Ordnungshüter packten Paser am Arm. Der Älteste zog den Vorsteher der Ordnungskräfte beiseite.
»Antwortet mir, Monthmose: Wart Ihr zufällig dort?«
»Nicht ganz. Eine nicht unterzeichnete Botschaft ist am Nachmittag in meiner Amtsstube eingegangen. Bei Einbruch der Nacht habe ich mich vor Branirs Wohnstatt auf die Lauer gelegt. Ich habe Paser eintreten sehen und bin sogleich eingeschritten, aber es war bereits zu spät.«
»Ist seine Schuld gewiß?«
»Ich habe nicht gesehen, wie er die Nadel in den Körper des Opfers gestoßen hat, aber wie könnte man daran zweifeln?«
»Der feine Unterschied ist gewichtig. Nach dem Ärgernis um Ascher ein solch unseliges Vorkommnis … Das dazu noch einen unter meiner Verantwortung stehenden Richter einbezieht.«
»Möge die Rechtsprechung ihre Pflicht tun, ich habe die meine erfüllt.«
»Ein Punkt bleibt dunkeclass="underline" der Beweggrund.«
»Der ist nebensächlich.«
»Gewiß nicht!«
Der Älteste der Vorhalle schien verstört. »Setzt Paser in geheime Haft. Amtlicherseits wird er Memphis wegen eines Sonderauftrags in Asien verlassen haben, der mit der Angelegenheit Ascher in Verbindung steht. Der Landstrich ist gefährlich; er könnte leicht Opfer eines Unglücks werden oder den Hieben eines Strauchdiebs zum Opfer fallen.«
»Monthmose, Ihr werdet doch nicht wagen …«
»Wir kennen uns seit langem, Ältester. Allein die Belange des Landes leiten uns. Ihr wollt doch nicht, daß ich weiter ermittle, um den Namen des Verfassers der heimlichen Botschaft herauszufinden. Dieser niedere Richter ist eine allzu hinderliche Person; Memphis liebt den Frieden.« Paser unterbrach das Zwiegespräch.
»Ihr tut unrecht daran, Euch an einem Richter zu vergreifen. Ich werde zurückkehren und die Wahrheit herausfinden. Beim Namen PHARAOS schwöre ich, daß ich zurückkehren werde!« Der Älteste der Vorhalle schloß die Augen und hielt sich die Ohren zu.
Schier wahnsinnig vor Sorge hatte Neferet die Bewohner des Viertels aufgescheucht. Einige hatten den Schrei des Esels gehört, doch niemand hatte ihr den kleinsten Hinweis über den Verbleib des Richters geben können. Auch Sethi, der in Kenntnis gesetzt worden war, konnte nichts Beachtenswertes in Erfahrung bringen. Branirs Haus war verschlossen. So blieb der völlig aufgelösten Neferet nur noch, sich an den Ältesten der Vorhalle zu wenden. »Paser ist verschwunden.« Der Hohe Gerichtsbeamte wirkte verdutzt. »Wo denkt Ihr hin! Seid unbesorgt: Er erfüllt einen Geheimauftrag im Rahmen seiner Ermittlung.«
»Wo ist er?«
»Wenn ich es wüßte, hätte ich nicht das Recht, es Euch zu enthüllen. Doch er hat mir nichts Genaueres genannt, und ich kenne seinen Reiseweg nicht.«
»Er hat mir nichts davon gesagt!«
»Ich beglückwünsche ihn dazu. Im gegenteiligen Fall hätte er eine Rüge verdient.«
»Er ist mitten in der Nacht ohne ein Wort aufgebrochen!«
»Zweifelsohne wünschte er, Euch einen beschwerlichen Augenblick zu ersparen.«
»Wir sollten übermorgen in Branirs Heim ziehen. Ich wollte ihn sprechen, doch er ist bereits unterwegs nach Karnak.«
Des Ältesten Stimme wurde düsterer. »Mein armes Kind … Seid Ihr denn nicht unterrichtet? Branir ist heute nacht verschieden. Seine ehemaligen Standesbrüder werden ihm eine prächtige Totenfeier ausrichten.«
41. Kapitel
Das grüne Äffchen spielte nicht mehr, der Hund verweigerte die Nahrung, die großen Augen des Esels weinten. Vom Tode Branirs und dem Verschwinden ihres Gemahls niedergeschmettert, fehlte es Neferet an Kraft zum Handeln.
Sethi und Kem kamen ihr zu Hilfe. Der eine wie der andere liefen von Kaserne zu Kaserne, von Verwaltung zu Verwaltung, von einem Beamten zum anderen, um irgendeine, wenn auch noch so winzige Kunde über die Paser anvertraute Sendung zu erhalten. Doch die Türen fielen zu, und die Lippen blieben verschlossen.
Fassungslos wurde Neferet sich bewußt, wie sehr sie Paser liebte. Aus Angst, sich leichtfertig zu binden, hatte sie ihre Gefühle lange Zeit unterdrückt; das Beharren des jungen Mannes hatte sie Tag um Tag anwachsen lassen. Sie hatte ihr Ich mit dem Pasers vereint; von ihm getrennt, würde sie verkümmern. Fern von ihm verlor ihr Leben seinen Sinn.
In Sethis Begleitung legte Neferet Lotos in Branirs Grabnische nieder. Der Meister würde nicht verlöschen als Gast der Weisen, die mit der wiedererstandenen Sonne verschmolzen. Seine Seele würde in ihr die nötige Kraft schöpfen, um unaufhörliche Reisen zwischen dem Jenseits und der Finsternis des Grabes zu vollbringen, von wo sie weiter strahlen würde.
In seiner Aufgeregtheit war Sethi nicht imstande zu beten. Er verließ die Nische, hob einen Stein auf und schleuderte ihn weit fort. Neferet legte ihm die Hand auf die Schulter. »Er wird zurückkommen, dessen bin ich mir sicher.«
»Zehnmal habe ich nun bereits versucht, diesen verfluchten Ältesten der Vorhalle in die Enge zu treiben! Er ist glatter als eine Schlange. ›Geheimauftrag‹ – er kennt nur noch dieses Wort. Mittlerweile lehnt er es sogar ab, mich zu empfangen.«
»Welches Vorhaben hast du erwogen?«
»Nach Asien aufzubrechen und Paser wiederzufinden.«
»Ohne irgendeine ernsthafte Fährte?«
»Ich habe Freunde beim Heer behalten.«
»Haben sie dir geholfen?« Sethi schlug die Augen nieder. »Niemand weiß irgend etwas, als ob Paser sich in Rauch aufgelöst hätte! Kannst du dir seine Verzweiflung ausmalen, wenn er vom Ableben seines Meisters erfährt?« Neferet fröstelte.
Sie verließen die Totenstadt mit beklommenem Herzen.
Der Babuin des Ordnungshüters verschlang mit grimmiger Gier einen Hühnchenschenkel. Erschöpft wusch Kem sich in einem Zuber lauwarmen und mit Düften angereicherten Wassers und kleidete sich mit einem sauberen Schurz. Neferet brachte ihm Fleisch und Gemüse. »Ich habe keinen Hunger.«
»Seit wann habt Ihr schon nicht mehr geschlafen?«
»Seit drei Tagen, vielleicht mehr.«
»Und keine Ergebnisse?«
»Keine. Ich habe es nicht an Anstrengungen mangeln lassen, aber meine Gewährsleute sind stumm. Ich besitze nur eine Gewißheit: Paser hat Memphis verlassen.«
»Demnach sollte er tatsächlich nach Asien aufgebrochen sein …«
»Ohne sich Euch anzuvertrauen?«
Vom Dach des Tempels des Ptah schaute Ramses über die bisweilen fiebrige, jedoch stets fröhliche Stadt. Jenseits der weißen Gemäuer standen grün schillernde Felder, von der Wüste umsäumt, in der die Toten lebten. Nachdem er beinahe zehn Stunden lang rituelle Feiern geleitet hatte, hatte sich der Herrscher abgesondert, um die belebende Luft des Abends zu kosten.
Im Palast, bei Hofe und in den Gauen hatte sich nichts verändert. Die Bedrohung schien sich, von der Strömung des Flusses fortgespült, entfernt zu haben. Doch Ramses entsann sich der Mahnworte des alten Weisen Ipu-wer, welche verkündeten, daß das Verbrechen sich ausbreiten, die Große Pyramide geschändet werden würde und daß die Geheimnisse der Macht in die Hände einer kleinen Zahl von Toren fallen würden, die bereit wären, eine jahrtausendealte Zivilisation zu vernichten, um ihre Gier und ihren Wahn zu stillen.
Da er als Kind diesen berühmten Text unter der Zuchtrute eines Erziehers gelesen hatte, hatte er sich gegen diese schwarzmalerische Sicht empört; er hatte sich geschworen, ihr auf immer zu begegnen, wenn er dereinst herrschte! In seiner eitlen Hoffart hatte er vergessen, daß kein einziges Wesen und wäre es auch PHARAO, das Böse aus den Herzen der Menschen ausmerzen konnte.