An diesem Tage nun einsamer als ein in der Wüste verlorener Reisender, während ihn doch Hunderte von Höflingen mit Weihrauch umgaben, mußte er gegen eine Finsternis ankämpfen, die so dicht war, daß sie bald die Sonne verfinstern würde. Ramses war zu hellsichtig, um sich mit Selbsttäuschungen zu nähren; dieser Kampf war von vornherein verloren, da ihm das Gesicht des Feindes nicht bekannt war und er nicht den kleinsten Schritt unternehmen konnte. Als Gefangener in seinem eigenen Land und dem grauenvollsten Verfall geweihtes Opfer, dessen Geist ein unheilbares Übel zerfraß, tauchte der vergöttertste aller Könige Ägyptens in die Endzeit seiner Herrschaft wie in das grünlich trübe Wasser eines Sumpfes ein. Allein das Schicksal anzunehmen, ohne die Klagen eines Feiglings von sich zu geben, diese letztmögliche Würde konnte niemand ihm nehmen.
Als die Verschwörer sich zusammenfanden, eilte ein deutliches Lächeln über ihre Lippen. Sie beglückwünschten sich zu der angewandten List, welche von einem günstigen Geschick gekrönt wurde. War das Glück nicht mit den Eroberern? Wenn auch hier und da tadelnde Worte laut geworden waren, um dieses oder jenes Verhalten zu geißeln oder eine Unvorsichtigkeit zu brandmarken, so war Tadel in dieser Zeit des Sieges, dem Auftakt zur Geburt eines neuen Reiches, nicht mehr am Platze. Vergessen das vergossene Blut, verflogen die letzten Gewissensbisse. Jeder hatte seinen Teil zum Werk beigetragen, niemand war den Streichen dieses Richters Paser erlegen; als sie sich der heillosen Angst erwehrt hatten, hatte die kleine Verschwörerschar ihren Zusammenhalt bewiesen, ein kostbarer Schatz, den sie sich bei der in naher Zukunft anstehenden Verteilung der Macht würden bewahren müssen. Es blieb lediglich noch eine Kleinigkeit zu vollenden, um das Gespenst dieses Richters Paser endgültig aus dem Wege zu schaffen.
Das Schreien des Esels warnte Neferet vor einer feindseligen Anwesenheit. In tiefer Nacht zündete sie eine Lampe an, stieß den Fensterladen auf und schaute auf die Straße. Zwei Krieger klopften an ihre Tür. Sie hoben den Blick. »Ihr seid doch Neferet?«
»Ja, aber …«
»Folgt uns bitte.«
»Aus welchem Grund?«
»Höherer Befehl.«
»Wenn ich mich weigere?«
»Dann werden wir Euch dazu zwingen müssen.« Brav knurrte. Neferet hätte rufen, das Viertel aufwecken können, doch sie beruhigte den Hund, warf sich ein Tuch über die Schultern und stieg hinunter. Die Gegenwart dieser beiden Soldaten mußte mit Pasers Auftrag zusammenhängen. Was kümmerte sie ihre Sicherheit, wenn sie vielleicht endlich eine ernsthafte Kunde erhielt.
Die drei durchquerten die schlafende Stadt mit schnellem Schritt in Richtung der Hauptkaserne. Dort angelangt, übergaben die Krieger Neferet einem Offizier, der sie ohne ein Wort zu Heerführer Aschers Amtszimmer führte. Von entrollten Papyri umgeben auf einer Matte sitzend, behielt er die Aufmerksamkeit auf seine Arbeit gerichtet.
»Setzt Euch, Neferet.«
»Ich ziehe es vor, stehen zu bleiben.«
»Wünscht Ihr etwas warme Milch?«
»Weshalb diese Einbestellung zu einer so ungebührlichen Stunde?«
Die Stimme des Heerführers wurde herausfordernd. »Kennt Ihr den Grund von Pasers Abreise?«
»Er hatte keine Zeit gehabt, mit mir darüber zu reden.«
»Welch eine Halsstarrigkeit! Er hat seine Niederlage nicht hingenommen und einen Leichnam, den es nicht gibt, zurückbringen wollen! Weshalb verfolgte er mich mit solchem Haß?«
»Paser ist Richter, er sucht nach der Wahrheit.«
»Sie wurde in der Verhandlung aufgedeckt, doch sie gefiel ihm nicht! Es zählte allein meine Absetzung und meine Schande.«
»Eure Gemütszustände sind mir einerlei, Heerführer; habt Ihr mir nichts anderes zu sagen?«
»Doch, Neferet.« Ascher entrollte einen Papyrus. »Dieser Bericht ist mit dem Petschaft des Ältesten der Vorhalle gesiegelt; er ist überprüft worden. Ich habe ihn vor weniger als einer Stunde erhalten.«
»Was … was besagt er?«
»Paser ist tot.«
Neferet schloß die Augen. Sie hätte wie ein welker Lotos vergehen, in einem Hauch verschwinden wollen.
»Ein Unfall auf einem Gebirgspfad«, erläuterte der hohe Offizier. »Paser kannte das Gebiet nicht; mit seiner gewohnten Unvorsichtigkeit hat er sich in ein irres Abenteuer gestürzt.«
Die Worte brannten ihr in der Kehle, doch Neferet mußte die Frage stellen.
»Wann wird man den Körper in die Heimat geleiten?«
»Wir führen unsere Nachforschungen noch weiter, aber es gibt keine Hoffnung mehr; in diesem Landstrich sind die Sturzbäche ungestüm und die Klammen unbegehbar. Ich verneige mich vor Eurem Kummer, Neferet; Paser war ein Mann von Rang.«
»Es gibt keine Gerechtigkeit mehr«, sagte Kem, die Waffen niederlegend.
»Habt Ihr Sethi wiedergesehen?« fragte Neferet besorgt.
»Er wird seine Füße auf den Wegen zerschinden, doch er wird nicht aufgeben, bevor er Paser wiedergefunden hat; er bleibt überzeugt, daß sein Freund nicht tot ist.«
»Und falls …«
Der Nubier schüttelte den Kopf. »Ich werde die Untersuchung fortsetzen«, bekräftigte sie. »Sinnlos.«
»Das Böse darf nicht siegen.«
»Es siegt immer.«
»Nein, Kem; wenn das so wäre, bestünde Ägypten nicht mehr. Es ist die Gerechtigkeit, die dieses Land gegründet hat, sie ist es, der Paser zu strahlendem Glanz verhelfen wollte. Wir haben nicht das Recht, uns vor der Lüge zu beugen.«
»Ich werde an Eurer Seite sein, Neferet.«
Neferet ließ sich am Rand des Kanals nieder, an eben jener Stelle, wo sie Paser zum ersten Male begegnet war. Der Winter nahte; der stürmische Wind ließ den Türkis, der an ihrem Hals hing, schaukeln. Weshalb hatte der kostbare Talisman sie nicht beschützt? Zögernd rieb die junge Frau den erlesenen Stein zwischen Daumen und Zeigefinger, indem sie an die Göttin Hathor, die Mutter der Türkise und Herrscherin der Liebe, dachte.
Die ersten Sterne erschienen, gingen strahlend aus dem Jenseits auf; mit Macht spürte sie die Gegenwart des geliebten Wesens, als ob die Grenze des Todes sich verwischte. Ein aberwitziger Gedanke wurde Hoffnung: Hatte die Seele Branirs, des ermordeten Meisters, nicht über seinen Schüler gewacht? Ja, Paser würde zurückkehren. Ja, der Richter von Ägypten würde die Finsternis vertreiben, damit das Licht wiedererstünde.