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Das Haus blieb jedoch geschlossen; die Berichterstatter der »Staatszeitung« mußten als »Schneider« abziehen.

Hermann und Kate Titbury bildeten das geizigste Paar, daß sich je zusammengefunden hatte, um vereint durch dieses Thränenthal zu wandern – obwohl sie übrigens noch keine Thräne etwa aus Mitleid für Unglückliche vergossen hatten. Es waren zwei verdorrte, gefühllose Herzen mit übereinstimmendem Schlage. Zum Glück hatte der Himmel diesem Bunde seinen Segen vorenthalten – ihre Linie sollte mit ihnen erlöschen. Sie waren reich, doch stammte ihr Vermögen weder vom Handel noch von einem Gewerbe her. Beide – die Frau hatte nämlich ebensoviel wie der Mann darin gearbeitet – hatten sich den Schmuggelgeschäften des Winkelbanquiers, des Pfandleihers, des Aufkäufers von Forderungen zu niedrigem Preise, des Bewucherers der kleinen Leute, kurz, des Halsabschneiders gewidmet, die ihre Mitmenschen ohne Uebertretung der Gesetze plündern – Gesetze, hat ein großer französischer Romandichter gesagt, die eine herrliche Sache für alle Schurken wären, wenn es… keinen Gott gäbe!

Ihre Vorfahren, soweit man diese »Ahnenreihe« verfolgen konnte, schienen deutscher Abstammung gewesen zu sein, wofür auch der Vorname Hermann des letzten Vertreters der Sippe sprach.

Dieser war ein dicker, untersetzter Mann mit rothem Barte, und auch sein Ehegespons hatte rothes Haar. Eine eiserne Gesundheit ersparte es den Leuten, je einen Dollar für Arzneien oder für den Besuch eines Arztes opfern zu müssen. Mit einem Magen, der alles zu verdauen fähig war, und um den sie viele ehrbare Leute beneideten, lebten sie sozusagen von nichts, und ihre Magd hatte sich schließlich auch darein gefunden. Seit Titbury sich von den Geschäften zurückgezogen hatte, unterhielt er keine Beziehungen mit der Außenwelt mehr und ließ sich völlig von seiner Frau leiten, einer Haustyrannin von schlimmster Art, die, wie man sagt, gleich mit dem Schlüsselbunde schlief.

Das Paar bewohnte ein Haus mit schmalen, vergitterten Fenstern, das schon mehr an einen versteckten eisernen Geldschrank erinnerte. Seine Thür öffnete sich übrigens niemals, weder für einen Fremden, noch für ein Mitglied der Familie, weil die Leute eine solche nicht hatten, auch für keinen Freund, weil sie nie einen gehabt hatten. Heute blieb sie natürlich auch vor den abgeschickten Auskunftsjägern hartnäckig geschlossen.

Immerhin war es auch ohne unmittelbare Befragung des Ehepaares Titbury leicht genug, dessen Gemüthsverfassung zu beurtheilen, wenigstens von dem Tage an, wo sie der Gruppe der »Sechs« zuzuzählen waren. Welch wunderbare Wirkung schon, als Hermann Titbury in der berühmten ersten Aprilnummer der »Tribune« seinen Namen las! Doch gab es denn keine anderen Chicagoer dieses Namens? – Keinen einzigen, wenigstens nicht in Nr. 77 der Robey Street. Von dem Argwohn, daß er das Opfer eines Spaßvogels sein könnte, war bei ihm gar keine Rede, Hermann Titbury sah sich schon im Besitz des sechsten Theils jenes ungeheueren Vermögens, und sein größtes Bedauern, ja sein Aerger war es nur, vom Schicksal nicht als einziger Erbe ausersehen zu sein. Er empfand gegen seine Miterben auch mehr als Neid, einen wirklichen Haß – ganz ebenso wie der Commodore Urrican – und was Frau Titbury und er von den andern Fünf dachten, das überlassen wir besser dem Leser sich selbst auszumalen.

Unzweifelhaft hatte das Schicksal einen seiner gewohnten groben Irrthümer begangen, als es diese uninteressante, wenig ansprechende Persönlichkeit berief, einen Theil der Hinterlassenschaft William I. Hypperbone’s zu erhalten, wenn das überhaupt in der Absicht dieses Sonderlings gelegen hatte.

Schon am Tage nach der Bestattung hatten Herr und Frau Titbury ihre Wohnung des Morgens um fünf Uhr verlassen und sich nach dem Oakswoodsfriedhofe begeben, wo sie den Grabwärter wecken ließen.

»Nichts Neues… vergangene Nacht? fragten sie lebhaft mit vor Unruhe zitternder Stimme.

– Nicht das Geringste, antwortete der Wärter.

– Er ist also wirklich todt?

– So todt wie irgend möglich! Beruhigen Sie sich getrost!« antwortete der brave Mann, der vergebens eine Belohnung für seine tröstliche Auskunft erwartete.

Ja, sie konnten wohl etwas ruhiger sein! Der Verstorbene war aus dem ewigen Schlummer nicht erwacht und nichts hatte die Ruhe der stillen Bewohner des Oakswoodsfriedhofes gestört.

Herr und Frau Titbury kehrten nach Hause zurück, doch am Nachmittage und am Abend machten sie nochmals, und darauf auch am folgenden Morgen, den langen Weg, um sich persönlich zu überzeugen, daß William I. Hypperbone nicht in diese niedere Welt zurückgekommen sei.

Nun war das Paar, das in dieser seltsamen Geschichte eine Rolle mitspielen sollte, seiner Sache endlich sicher und auf jedem Schritte brachten ihm Nachbarsleute ihren Glückwunsch zu den glänzenden Aussichten, die es hätte. mehr oder weniger aufrichtig entgegen.

Als die beiden Reporter der »Freien Presse« nach dem nicht weit von der Mitte der Stadt gelegenen Calumetsee und der in einem volkreichen, gewerbthätigen Viertel gelegenen Calumet Street gekommen waren, erkundigten sie sich bei den Schutzleuten nach dem Hause Tom Crabbe’s.

Das Haus Tom Crabbe’s, oder richtiger das seines Traineurs, hatte die Nr. 7. In der That war es John Milner, der jenen zu den denkwürdigen Kämpfen abrichtete, aus denen die theilnehmenden Herren sehr häufig mit geschwollenen Augen, zerschmetterter Kinnlade, von ein oder zwei Seiten eingedrückter Brust und mit um einige Zähne gekommenem Munde, zur Ehre der Meisterschaft im volksthümlichen Boxen, hervorgehen.

Tom Crabbe war ein Berufsboxer, zur Zeit der Champion der Neuen Welt, seitdem es ihm gelungen war, den berühmten Fitzsimons, der 1897 den nicht weniger berühmten Corbett besiegt hatte, zweifellos zu überwinden.

Die Berichterstatter drangen ohne Schwierigkeiten in das Haus John Milner’s ein und wurden hier im Erdgeschoß von diesem Faustkampflehrer empfangen. Das war ein Mann von mittlerer Größe, aber von unglaublicher Magerkeit, dessen Haut unmittelbar über die Knochen gespannt zu sein schien – dagegen war alles an ihm Muskel, alles Nerv; dazu hatte er durchdringende Augen, spitze Zähne, ein glatt rasiertes Gesicht und zeigte die Beweglichkeit der Gemse und die Gewandtheit des Affen.

»Tom Crabbe?… fragte man ihn.

– Der vollendet eben sein erstes Frühstück, antwortete eine scharfe Stimme.

– Können wir ihn sehen?

– Um was handelt es sich?

– Um das Testament William I. Hypperbone’s; auch wollten wir von ihm in unserer Zeitung sprechen.

– Ah, wenn von Tom Crabbe öffentlich die Rede sein soll, ist er immer zu sprechen.«

Die Reporter traten in das Speisezimmer ein und sahen sich hier dem Gesuchten gegenüber. Er verschlang eben die sechste Schnitte rohen Schinkens, die sechste Scheibe Butterbrot, die sechste Pinte Halb und Halb in Erwartung des Thees, der in einem großen Kessel angesetzt war, und die sechs Gläschen Wisky, die gewöhnlich sein erstes Frühstück abschlossen, welches er früh halb acht Uhr verzehrte und dem im Laufe des Tages noch fünf andere regelmäßige Mahlzeiten folgten. Man erkennt hieraus schon die hervorragende Rolle, die die Zahl sechs im Leben des berühmten Boxers spielte, und vielleicht war es deren geheimer Einfluß gewesen, dem er seine Zugehörigkeit zur Gruppe der Erben William I. Hypperbone’s verdankte.

Tom Crabbe war ein Koloß, zehn Zoll über sechs englische Fuß hoch und drei Fuß von einer Schulter zur andern breit. Er hatte einen großen Kopf mit straffem schwarzen Haar, das auf dem Schädel fast ganz glatt weggeschoren war, unter dichten Brauen runde, glotzende Augen, eine niedrige, stark abfallende Stirn, abstehende Ohren, mächtige Kiefer, einen starken, an der Verbindungsstelle der Lippen abgeschnittenen Schnurrbart, noch alle seine Zähne, denn auch die heftigsten Faustschläge hatten keinen davon in ihrer Grube lockern können, einen Brustkasten wie eine Biertonne, Arme wie Bläuelstangen und Beine wie Granitpfeiler, die auch nothwendig waren, dieses gewaltige menschliche Bauwerk sicher zu tragen.