– Damit werden wir nicht weit kommen, Jovita…
– Sehr weit, Lissy!
– Wenn wir aber in die Lage kommen, Einsätze zahlen zu müssen…
– Das kommt nicht vor… wir haben nur zu gewinnen!« erklärte Jovita Foley so bestimmten Tones, daß Lissy Wag es vorzog, ihr nicht weiter zu widersprechen.
Höchst wahrscheinlich wurden weder Lissy Wag noch Max Real die Objecte der amerikanischen Speculanten, da die Nichtzahlung eines Einsatzes sie zu Gunsten ihrer Mitbewerber von der Partie ausschloß.
»Wie, Max, Du wolltest die sich bietende Gelegenheit nicht beachten…« (S. 85.)
Was bei dem oder jenem vielleicht zum Vortheile Max Real’s sprechen konnte, war der Umstand, daß es ihm durch das Los beschieden war, zuerst abzureisen. Der Commodore Urrican geberdete sich wegen seines »Pechs« wie ein Wahnsinniger. Er konnte nun einmal nicht darüber hinwegkommen, daß ihm nach Max Real, Tom Crabbe, Hermann Titbury, Harris T. Kymbale und Lissy Wag erst die Nummer sechs zugefallen war. Und doch war das, wie hier wiederholt sei, von gar keiner ernsten Bedeutung. Der zuletzt Abreisende konnte ja alle seine Partner mit einem Schlage überholen, wenn er durch fünf und vier Augen beim ersten Würfeln sogleich nach dem dreiundfünfzigsten Felde, nach dem Staate Florida, versetzt wurde. Denn so wunderbar kann ja der Verlauf des Spieles sein, das man – wir folgen hier der Legende – der seinen und dichterischen Veranlagung der alten Hellenen verdankt.
Offenbar wollte die von Anfang an sehr erregte Allgemeinheit nichts von den Schwierigkeiten und noch weniger von den Anstrengungen der bevorstehenden Reise wissen. Sicherlich war es möglich, daß die ganze Sache in wenigen Wochen abgemacht war, sie konnte sich aber auch Monate, ja Jahre hindurch hinziehen. Die Mitglieder des Excentric Club, die Zeugen oder Theilnehmer der von William I. Hypperbone täglich veranlaßten, oft endlosen Partien gewesen waren, konnten darüber aus Erfahrung sprechen. Sich bei solcher Ueberanstrengung und mit der vorgeschriebenen Schnelligkeit von einem Orte zum andern zu begeben, legte die Gefahr nahe, daß einige der Partner durch Erkrankung aufgehalten werden und gezwungen sein könnten, selbst die besten Aussichten auf Erreichung des Zieles zu Gunsten eines energischeren oder vom Zufall mehr begünstigten Theilnehmers unbenutzt zu lassen.
Um eine derartige Möglichkeit kümmerte sich zunächst freilich niemand. Alle konnten es kaum noch erwarten, daß die Sache in Gang käme, um dann, wenn die »Sechs« unterwegs wären, an allem, was ihnen zustieß, theilzunehmen, sie im Geiste zu begleiten oder ihnen gar wirklich zu folgen, wie es oft Herrenradfahrer thun, wenn sie mit Berufsfahrern bei deren Rennen durch Amerika Schritt zu halten suchen.
Wie lief den Hôtelwirthen der von den Reisenden berührten Staaten da schon im voraus das Wasser im Munde zusammen!
Ueberlegte sich das Publicum auch nicht die Hindernisse jeder Art, die sich vor den Spielern aufthürmen konnten, so tauchte bei einigen von diesen jetzt doch ein übrigens recht nahe liegender Gedanke auf. Warum sollten sie denn nicht untereinander ein Abkommen treffen – ein Abkommen, wonach der Gewinner sich verpflichtete, seinen Gewinn mit denen, die das Schicksal nicht begünstigt hatte, zu theilen, oder wenigstens, wenn er etwa die Hälfte des ungeheuern Vermögens für sich behielt, doch die andere Hälfte den minder Glücklichen abzutreten? Dreißig Millionen Dollars für ihn und der Rest für die Verlierenden, das erschien ja annehmbar. In jedem Falle gesichert zu sein, fünf Millionen einzuheimsen – diese Aussicht schien praktischen und nicht abenteuersüchtigen Leuten einer ernsten Erwägung werth zu sein.
Irgend welche Verletzung der Vorschriften des Erblassers war damit nicht verbunden; die Partie wurde auf jeden Fall in der von ihm geregelten Weise gespielt und dem Gewinner war es freigestellt, über seinen Gewinn nach Gutdünken zu verfügen.
Die Mitbewerber und sonstigen Interessierten wurden denn auch, auf Betrieb des einen von ihnen – offenbar des Klügsten – zu einem Zusammentreten eingeladen, wo der erwähnte Vorschlag besprochen werden sollte. Hermann Titbury war sofort bereit, ihn anzunehmen – man bedenke nur: fünf Millionen Dollars, die einem jeden garantiert wären! Bei dem ihr eigenen Temperament einer alten Spielerin zögerte Frau Titbury anfänglich, ihrem Gatten die Erlaubniß, dem Vorschlage zuzustimmen, zu ertheilen, schließlich gab sie aber doch nach. Nach einiger Ueberlegung, denn er war ein etwas abenteuerlustiger Charakter, fügte sich auch Harris T. Kymbale jenem Vorschlage und ebenso Lissy Wag auf Anrathen ihres Chefs, des Herrn Marshall Field, und trotz des Widerspruchs der ehrgeizigen Jovita Foley, die entweder alles oder nichts haben wollte. Was John Milner betraf, so wünschte er gar nichts mehr, als daß das Abkommen, bei dem er von Tom Crabbe’s Antheil auch nicht wenig zu erhalten hoffte, zu Stande käme, und wenn sich Max Real erst ein wenig bitten ließ, so lag das daran, daß bei Künstlern ja gewöhnlich eine Schraube etwas locker ist. Uebrigens ließ er sich, wenn es ihm auch nur darum zu thun war, Lissy Wag, für deren Lage er sich lebhaft interessierte, nicht entgegenzutreten, leicht genug bereit finden, das geplante schriftliche Abkommen zu unterzeichnen.
Um dieses aber in jedem Falle wirksam werden zu lassen, bedurfte es der Unterschrift aller Theilnehmer der Spielpartie. Fünf stimmten nun der Uebereinkunft zu, den Starrsinn des sechsten vermochten jedoch die besten Vernunftgründe nicht zu beugen. Der Leser erräth wohl, daß es Hodge Urrican war, der keine Vernunft annehmen wollte. Er war vom Schicksal auserkoren, an dem Spiele theilzunehmen und wollte das auch bis zum Ende ausführen. Die Besprechung mußte abgebrochen werden, denn der Commodore blieb bei seinem unüberwindlichen Widerspruch, trotz der Drohung eines kräftigen Fauststoßes, den Tom Crabbe auf Anstiften John Milner’s schon bereit war, ihm zukommen zu lassen und der ihm gewiß einige gesunde Rippen gekostet hätte. Ueberdies vergaß man noch eine Sache, daß nach dem Codicill nicht sechs, sondern sieben Spieler vorhanden waren; es kam doch der Unbekannte, jener von William I. Hypperbone gewählte X. K. Z. hinzu. Wer war es?… Wohnte er in Chicago?… Hatte vielleicht Meister Tornbrock nähere Kenntniß von ihm?… Das Codicill bestimmte, daß der Name der geheimnißvollen Persönlichkeit nur genannt werden sollte, wenn diese die Partie gewönne. Das ließ den Geistern nun gar keine Ruhe übrig und verlieh der Geschichte ein neues Object der Neugier. Da dieser X. K. Z. das vorgeschlagene Abkommen gut zu heißen nun gar nicht im Stande war, konnte es also auch nicht zu einem völlig befriedigenden Abschlusse kommen, selbst wenn der Commodore Urrican seine Zustimmung dazu gegeben hätte.
Es blieb nun nichts anders übrig, als zu warten, wie die Würfel das erstemal fallen würden, und das sollte am 30. April im Theatersaale des Auditoriums bekanntgegeben werden.
Heute war der 24. April – sechs Tage dauerte es noch bis zu dem schicksalsschweren Termine. Was die nöthigen Reisevorbereitungen anging, so fehlte es dazu dem Commodore Urrican, der erst als Sechster aufbrechen sollte, nicht an Zeit, auch nicht den vier andern, Tom Crabbe, Hermann Titbury, Harris T. Kymbale und Lissy Wag, die alle noch vor ihm abreisen sollten.
Gerade der aber, der sich als erster auf den Weg machen sollte, schien. sich über die Reise am wenigsten den Kopf zu zerbrechen. Der phantastische Max Real verrieth wenig oder gar nicht, daß er an die ganze Geschichte dachte. Frau Real, die nach ihrem Weggange von Quebec nun ebenfalls in dem Hause ihres Sohnes in der Halsted Street wohnte, ging die Angelegenheit offenbar mehr zu Herzen; sie ermahnte den jungen Maler deshalb, seine Vorbereitungen zu beschleunigen.
»Ich habe ja noch Zeit genug! antwortete er darauf.
– O nein… nicht mehr viel Zeit, mein Kind!
– Aber, liebe Mutter, was hat es denn nur für Zweck, sich in dieses thörichte Abenteuer einzulassen?