Vom Beifallsjubel der Menge begrüßt, hatte Max Real die Bühne erstiegen.
»Sind Sie bereit, abzureisen? fragte der Vorsitzende des Excentric Club. der sich dem Künstler näherte.
– Bereit abzureisen und… zu gewinnen!« antwortete der junge Maler lächelnd.
Der Commodore Urrican hätte ihn am liebsten wie ein Papuacannibale mit Haut und Haar verschlungen.
Der liebenswürdige Harris T. Kymbale trat freundlich an ihn heran.
»Glückliche Reise, Kamerad! sagte er ganz aufrichtig.
– Die wünsche ich auch Ihnen, wenn der Tag kommt, wo Sie Ihr Bündel zu schnüren haben werden!« erwiderte Max Real.
Damit wechselten beide noch einen herzlichen Händedruck.
Man wollte sich den jungen Maler bei seiner Abreise wenigstens angesehen haben.(S. 91.)
Weder Hodge Urrican noch Tom Crabbe, der eine wüthend, der andere stumpfsinnig wie immer, hielt es für angezeigt, sich den Glückwünschen des Journalisten anzuschließen.
Das Ehepaar Titbury vereinigte sich nur in dem einen Wuniche, daß sich alle ungünstigen Wechselfälle des Spiels auf das Haupt des ersten Abreisenden niedersenken möchten, daß er in den Schacht von Nevada gerathen, sich in das Gefängniß von Missouri verirren möchte, und sollte er auch gleich bis aus Ende seines Lebens darin sitzen bleiben müssen.
An Lissy Wag vorüberkommend, verbeugte sich Max Real respectvoll.
»Mein Fräulein, sagte er, Sie werden mir gestatten, Ihnen recht viel Glück zu wünschen…
– Damit sprechen Sie aber gegen Ihr eigenes Interesse, mein Herr, erwiderte das junge Mädchen etwas verwundert.
– Das thut nichts, mein Fräulein, seien Sie überzeugt, daß ich Ihnen den besten Erfolg wünsche!
– Ich danke Ihnen. Herr Real! antwortete Lissy Wag.
– Ein recht netter Mann, dieser Max Real, flüsterte da Jovita Foley ihrer Freundin zu, und noch hübscher von ihm, wenn er, seinem Wunsche entsprechend, Dich wirklich zuerst ans Ziel kommen läßt!«
Nach Schluß dieser Vorgänge entleerte sich allmählich der Saal des Auditoriums, und das Ergebniß des ersten Wurfes verbreitete sich sofort durch die ganze Stadt.
Der »Match Hypperbone« – wie man allgemein zu sagen pflegte – hatte seinen Anfang genommen.
Im Laufe des Abends vollendete Max Real seine Reisevorbereitungen, die ihm keine Schwierigkeiten machten, und am folgenden Morgen umarmte er zum Abschied seine Mutter, unter dem Versprechen, ihr möglichst oft zu schreiben. Dann verließ er die Nr. 3997 der Halsted Street mit dem getreuen Tommy, und zehn Minuten vor Abgang des gewählten Zuges trafen beide zu Fuß auf dem Bahnhofe ein.
Daß das Schienennetz um die Stadt Chicago nach jeder Richtung hin ausstrahlt, wußte Max Real schon längst; er konnte also zwischen den zwei oder drei Bahnlinien, die von hier nach Kansas führen, leicht die ihm passendste wählen. Kansas grenzt zwar nicht an Illinois, wird von diesem aber nur durch den Staat Missouri geschieden. Die von dem jungen Maler zurückzulegende Strecke betrug auch nur fünfhundertfünfzig bis sechshundert (amerikanische) Meilen, je nachdem er die eine oder die andere Linie vorzog.
»Ich kenne Kansas noch nicht, sagte er für sich, und das ist ja eine Gelegenheit, die, amerikanische Wüste’, wie man das Land früher nannte, in Augenschein zu nehmen. Unter den dortigen Ansiedlern befinden sich obendrein nicht wenige französische Canadier… ich werde da also unter Landsleuten sein. denn es ist mir ja nicht verwehrt, den Weg nach dem Orte, wo ich bleiben soll, nach Belieben zu wählen.«
Nein, das war nicht verboten. Auch der darum befragte Meister Tornbrock hatte sich in diesem Sinne ausgesprochen. William I. Hypperbone’s hinterlassene Vorschrift bestimmte nichts weiter, als daß er sich nach Fort Riley in Kansas zu begeben habe, und daß er dort am vierzehnten Tage nach der Abreise eingetroffen sein müsse, um durch Telegramm die Augenzahl des zweiten, ihn betreffenden Wurfes, des achten in der Spielpartie, mitgetheilt zu erhalten. Unter den fünfzig Staaten, die auf der Karte in der uns bekannten Weise geordnet waren, gab es nicht mehr als drei, wohin und nach dem darin bestimmten Orte die Partner sich so schnell als möglich zu begeben hatten, da sie dort möglicherweise schon durch die nächste Entscheidung der Würfel abgelöst werden konnten, das waren Louisiana, das neunzehnte Kartenfeld mit dem Gasthause, Nevada, das einunddreißigste Feld mit dem Schachte, und Missouri, das zweiundfünfzigste Feld mit dem Gefängnisse.
Max Real konnte nun gar nicht besser thun, als seinem Bestimmungsorte auf dem »Schülerwege«, wie man in Frankreich sagt, zuzustreben. Ein Hitzkopf, wie der Commodore Urrican, oder ein Geizhals, wie Hermann Titbury, würde freilich nicht so viel Geduld und Geld daran setzen, gemächlich zu reisen. Solche Leute begäben sich mit Volldampf möglichst schnell, und ohne unterwegs auch etwas sehen zu wollen, nach ihrem Reiseziele.
Max Real hatte sich folgenden Weg ausgewählt: Statt unmittelbar nach Kansas City, schräg von Osten nach Westen durch Illinois und Missouri zu fahren, wollte er den Grand Trunk benutzen, den Schienenweg, der bei einer Länge von dreitausendsiebenhundertsechsundachtzig Meilen von New York nach San Francisco – »von Ocean zu Ocean«, sagt man in Amerika – hinführt. Eine weitere Fahrt von etwa fünfhundert Meilen sollte ihn nach Omaha an der Grenze von Nebraska bringen, und von da wollte er sich auf einem der Dampfer, die den Missouri hinabfahren, nach der Hauptstadt von Kansas begeben. Endlich würde er, als Tourist und als reisender Künstler, am bestimmten Tage in Fort Riley eintreffen.
Als Max Real den Bahnhof betrat, fand er da viele Neugierige versammelt. Ehe sie große Summen an die von heute ab geltende Partie wagten, wollten die Wettenliebhaber mit eigenen Augen den Ersten sehen, der sich auf die Reise machte. Obwohl bisher noch keine Wetteinsätze, die nach größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit des Erfolgs zu bemessen waren, angenommen wurden, wollte man sich den jungen Maler bei seiner Abreise doch wenigstens angesehen haben. Flößte sein Auftreten Vertrauen ein?… War er in »guter Form«?… Konnte man ihn als Favorit ansehen, obwohl die Möglichkeit, daß er mehrfache Einsätze zahlen müßte, die Befürchtung erweckte, ihn unterwegs aufgehalten zu sehen?
Max Real hatte, wir müssen es gestehen, nicht das Glück – doch was kümmerte er sich darum! – seinen Mitbürgern zu gefallen, schon weil er alle seine Malgeräthschaften bei sich trug. Jonathan, ein praktischer Mann, meinte, es handle sich hier nicht darum, Landschaften zu sehen und Bilder zu malen, sondern als Partner, nicht aber als Künstler zu reisen. Seiner Ansicht nach hatte die von William I. Hypperbone erklügelte Partie die Bedeutung einer nationalen Frage, die es verdiente, ernst genommen zu werden. Ging einer der »Sieben« nicht mit allem Eifer, mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft daran, so war das eine Nichtachtung der großen Mehrzahl der Bürger des freien Amerika. Die Folge dieser Betrachtungen war denn auch, daß keiner der enttäuschten Anwesenden sich entschloß, denselben Zug zu besteigen, um Max Real wenigstens bis zu dessen erstem Ziele zu begleiten und ihm sozusagen als Schrittmacher zu dienen. Die Bahnwagen füllten sich nur mit Leuten, die aus geschäftlichen Gründen von Chicago weggerufen wurden.
Max Real konnte es sich also ganz nach Belieben auf einer der Bänke bequem machen, und Tommy konnte noch neben ihm Platz nehmen, denn die Zeit war vorbei, wo die Weißen die Anwesenheit eines Farbigen in ihrem Wagenabtheil nicht geduldet hätten.
Endlich ertönte die Pfeife, der Zug setzte sich in Bewegung und die mächtige Locomotive athmete fauchend durch ihre oben erweiterte Esse, aus der mit Dampf vermischte Funkengarben emporsprühten.
Unter der auf dem Bahnsteig zurückgebliebenen Menge aber hätte man den Commodore Urrican bemerken können, der dem ersten Abreisenden drohende Blicke nachschleuderte.
Was die Witterung betraf, ließ sich die Reise schlecht an. Man darf nicht vergessen, daß in Amerika unter dieser Breite – obwohl sie der des nördlichen Spanien entspricht – der Winter im April noch nicht zu Ende ist. Ueber den weiten, von keinem Berge unterbrochenen Landstrecken hält er bis zu dieser Zeit des Jahres an, und die aus den Polargebieten heranziehenden atmosphärischen Strömungen machen sich da oft noch recht empfindlich bemerkbar Weicht später die Kälte auch vor den Strahlen der Maisonne, so toben doch Stürme noch häufig genug. Auch heute verhüllten niedrig stehende Wolken, aus denen der Regen bald herunterprasselte, den Horizont und zogen ihm recht enge Grenzen. Das war recht verdrießlich für einen Maler, der Lichteffecte und sonnige Landschaften zu sehen wünscht. Immerhin war es rathsamer, die Vereinigten Staaten im zeitigen Frühjahr zu durchstreifen, denn später herrscht dort oft eine unerträgliche Hitze. Es war ja auch zu erwarten, daß das schlechte Wetter nicht über den laufenden Monat hinaus anhalten werde, und schon verkündeten einzelne Anzeichen eine bevorstehende klimatische Aenderung.