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Hier noch ein Wort über den jungen Neger, der schon seit zwei Jahren bei Max Real in Diensten stand und diesen auf seiner, an Ueberraschungen jedenfalls reichen Fahrt begleiten sollte.

Wie der Leser weiß, war es ein siebzehnjähriger, also frei geborener Jüngling, da die Emancipation der Sclaven bereits vor mehr als dreißig Jahren bei Beendigung des großen Bürgerkrieges, zur Ehre Amerikas und der Menschlichkeit, erfolgt war.

Der Vater und die Mutter Tommy’s lebten zur Zeit der Sclaverei als Eingeborene des Staates Kansas, wo der Kampf zwischen Abolitionisten und virginischen Farmern besonders heftig getobt hatte. Tommy’s Eltern war – es verdient das hervorgehoben zu werden – kein so hartes Los beschieden gewesen, sie hatten ein besseres Dasein gehabt, als viele ihresgleichen. Unter einem guten Herrn, einem mitfühlenden und gerechten Manne stehend, hatten sie sich fast wie zur Familie gehörig betrachtet. Als dann das Gesetz, das die Sclaverei aufhob, erschien, wollten sie ihren Herrn ebensowenig verlassen, wie diesem der Gedanke kam, sich von ihnen zu trennen.

Tommy war also von Geburt an frei, und nach dem Tode seiner Eltern und ihres Herrn fühlte er sich – war es ein Einfluß von Atavismus oder der Erinnerung an die glücklichen Tage der Kindheit – sehr bedrückt, als er plötzlich dem Leben und dessen Bedürfnissen ganz allein gegenüberstand. Vielleicht begriff sein junges Gehirn noch nicht die Vortheile, die der große Act der Emancipation ihm sicherte, wenn er nur auf seine eigene Kraft, sich durchs Leben zu schlagen, angewiesen war, wenn er an den nächsten Tag denken mußte, er, der sich niemals um die Zukunft bekümmert hatte und für den die Gegenwart alles war. Es giebt thatsächlich solche arme Farbige noch weit mehr, als man wohl allgemein glaubt, die es – sie sind eben Kinder geblieben – beklagen, daß sie freie Diener geworden sind, nachdem sie früher Sclaven gewesen waren.

Zum Glück für Tommy war dieser unserem Max Real empfohlen worden. Er war intelligent, offenherzig, führte sich gut auf und schenkte denen treue Zuneigung, die ihm nur einige Liebe erwiesen. So schloß er sich an den jungen Künstler an, bei dem er auch eine recht gesicherte Stellung finden sollte.

Eines nur beklagte er, ohne daraus ein Hehl zu machen, daß er seinem Herrn nicht ganz und gar, mit dem Leibe ebenso wie mit der Seele gehörte.

»Doch warum? fragte Max Real.

– Weil ich, wenn Sie mein Herr so wie früher einer wären, wenn Sie mich gekauft hätten, ganz Ihnen gehörte.

– Welchen Vortheil hättest Du davon, mein Junge?

– Ei, doch den, daß Sie mich nicht kurzer Hand wegschicken könnten, wie einen Diener, mit dem man nicht mehr zufrieden ist.

– Aber, Tommy, wer spricht denn davon, Dich wegzuschicken?… Uebrigens, wenn Du mein Sclave wärst, könnt’ ich Dich ja verkaufen…

– O, mein lieber Herr, das wäre doch ein Unterschied und jedenfalls sicherer…

– In keiner Weise, Tommy.

– Doch… doch… und dann stünde es auch mir nicht frei, zu gehen!

– Na, sei nur ruhig; ich bin ja mit Dir zufrieden. Ich werde Dich schon noch kaufen.

– Und von wem… ich gehöre doch niemand?…

– Von Dir… von Dir selbst… wenn ich einmal reich bin… und so theuer, wie Du dann willst!«

Tommy nickte wie zustimmend mit dem Kopfe, seine Augen leuchteten glänzender auf und er lächelte, wobei eine Doppelreihe blendend weißer Zähne zum Vorschein kam, so glücklich machte ihn der Gedanke, sich noch einmal an seinen Herrn zu verkaufen, um diesen nur noch mehr zu lieben…

Selbstverständlich war der junge Farbige hoch erfreut, ihn auf dieser Reise durch die Vereinigten Staaten begleiten zu dürfen. Es hätte ihm schweren Kummer bereitet, jenen allein abreisen zu sehen, auch wenn es sich nur um eine Trennung auf wenige Tage gehandelt hätte. Wer konnte aber wissen, ob die unter so seltsamen Umständen zu Stande gekommene Partie, wenn kein merkwürdiger Zufall ihre schnelle Beendigung herbeiführte, nicht Wochen lang, vielleicht viele Monate lang dauerte, ehe einer den dreiundsechzigsten Staat erreichte.

Mochte die Reise nun kurz oder lang werden, jedenfalls war der erste Tag zwischen den von Dunst und Regen erblindeten Fenstern des Waggons recht häßlich. Man fuhr durchs Land dahin, ohne etwas davon zu sehen. Alles – Himmel, Felder, Städte, Flecken, Häuser, Bahnhöfe – verlor sich in dem von den Malern verabscheuten grauen Tone. Nur schattenhaft trat das Landschaftsbild von Illinois aus den auf der Erde lagernden Dunstmassen hervor. Man sah nur die hohen Schornsteine der Mehlmühlen von Napiersville und die Dächer der Uhrenfabriken von Aurora – doch so gut wie nichts von Oswego, Yorkville, Sandwich, Mendoza, von Princeton oder Rock Island und seiner prächtigen Brücke über den Missouri, dessen geschäftiges Wasser die »Insel des Felsens« umrauscht, nichts von dem zu einem Arsenal verwandelten Staatsbesitzthum, wo Hunderte von Kanonen mit den Mündungen nach einem grünen Hag und blüthenprangenden Büschen hinausstarren.

Max Real war recht enttäuscht. Flog er so unter Regenschauern dahin, so konnte er keine später verwendbaren Eindrücke von der Landschaft in sich aufnehmen. Er hätte ebenso gut den ganzen Tag schlafen können – was Tommy übrigens gewissenhaft that.

Gegen Abend hörte der Regen auf, die Wolken zogen hoch am Himmel hin. Die Sonne verschwand hinter dem rothgolden leuchtenden Horizonte. Das war ein Hochgenuß für Künstleraugen. Fast sofort brach dann aber die Dämmerung herein und verdunkelte die Gegend, durch die die geodätische Grenze zwischen Iowa und Illinois verläuft. Trotz einer klaren Nacht bot auch die Fahrt durch den Nachbarstaat Max Real keine Befriedigung, so daß ihm bald die Augen zufielen, die er erst mit dem nächsten Frühroth wieder aufschlug.

Vielleicht hatte er aber doch Ursache zu bedauern, am Tage vorher bei Rock Island nicht ausgestiegen zu sein.

»Ja… das war unrecht… sehr unrecht, murmelte er beim Erwachen für sich hin. Die Zeit ist mir ja nicht so knapp zugemessen, und jetzt bin ich kaum vierundzwanzig Stunden von zu Hause weg. Den Tag, den ich für Omaha bestimmt habe, hätte ich Rock Island widmen sollen. Von da nach Davenport, der Stadt am Ufer des Mississippi, hat man nur den mächtigen Strom zu überschreiten, und dabei hätte ich ihn endlich gesehen, den berühmten »Vater der Gewässer«, dessen ganzen Verlauf ich vielleicht zu befahren berufen bin, wenn der Zufall mich nach den Gebieten in der Mitte der Union verschlägt!«

Für solche Betrachtungen war es jetzt freilich zu spät. Der Zug flog schon mit vollem Dampf durch die Ebenen von Iowa. Max Real konnte nichts sehen von Iowa City im gleichnamigen Thale, das sechzehn Jahre lang die Hauptstadt des Staates bildete, noch von Des Moines, der wirklichen Hauptstadt, an deren Stelle zuerst ein altes, an der Vereinigung des Flusses dieses Namens mit dem Racoon errichtetes Fort stand, und die jetzt eine, von einem dichten Eisenbahnnetz umschlossene Stadt von fünfzigtausend Einwohnern geworden ist.