Der Traineur glaubte sich aber nicht von dem einmal bestimmten Reisewege entfernen zu sollen, um Tom Crabbe auf seinen ungeheuern Füßen durch die Stadt mit dem ägyptischen Namen wandern zu lassen. Ebenso hatte er keine Gelegenheit, weder zu fragen, warum wohl, da Memphis vom Meere weit entfernt liegt, die Regierung hier vor sechzig Jahren habe Arsenale und Schiffswerften erbauen lassen, die jetzt übrigens gänzlich verlassen dastehen, noch darauf die Antwort zu hören: In Amerika begeht man eben Dummheiten, ganz wie in andern Ländern.
Der Zug führte den zweiten Partner und seinen gegen alles gleichgiltigen Begleiter schnell durch die Ebenen des Staates Mississippi hin, wobei er Holly Springs, Grenada und Jackson berührte. Die letztgenannte Stadt ist die – übrigens ziemlich unbedeutende – Hauptstadt eines Gebietes, das infolge der ausschließlich betriebenen Baumwollcultur in Bezug auf Gewerbfleiß und Handel stark zurückgeblieben ist.
Die Ankunft Tom Crabbe’s, der hier eine Stunde Aufenthalt hatte, brachte indeß eine starke Wirkung hervor. Hunderte von Neugierigen hatten den berühmten Faustkämpfer einmal sehen wollen. Freilich hatte er nicht die Größe Adams, die man, vor der Berichtigung durch den berühmten Cuvier, auf neunzig Fuß schätzte, noch die Abrahams (angeblich achtzehn), oder die des Moses (angeblich zwölf Fuß), er bildete jedoch immerhin ein riesiges Muster der Menschenrasse.
Unter den Neugierigen befand sich ein Gelehrter, der hochachtbare Kil Kirney, der nach peinlich genauer Messung des Champions der Neuen Welt einige Bemerkungen über diesen nicht unterdrücken konnte und frischweg über den »Fall« zu docieren anfing.
»Meine Herren! Bei den von mir angestellten historischen Untersuchungen ist es mir geglückt, die wichtigsten Ergebnisse der Messungen, die sich auf gigantographische Studien beziehen und in Zahlen nach dem Decimalsystem ausgedrückt sind, wieder zu entdecken. Im siebzehnten Jahrhundert gab es einen gewissen Walter Parson, der zwei Meter siebenundzwanzig Centimeter maß; im achtzehnten Jahrhundert tauchte ein Deutscher, Müller aus Leipzig, auf, der zwei Meter vierzig hoch war, ferner der Engländer Burnsfield, zwei Meter fünfunddreißig groß, der Irländer Magrath, zwei Meter dreißig, der Irländer O’Brien zwei Meter fünfundfünfzig, der Engländer Toller, von derselben Größe, und der Spanier Elacegin, der zwei Meter fünfunddreißig Centimeter Körperlänge hatte. Aus dem neunzehnten Jahrhundert kennt man den Griechen Auvassab, zwei Meter dreiunddreißig groß, den Engländer Hales aus Norfolk, zwei Meter vierzig, den Deutschen Marianne, zwei Meter fünfundvierzig, und den Chinesen Chang, zwei Meter fünfundfünfzig Centimeter groß. Dem ehrenwerthen Traineur des Herrn Tom Crabbe diene nun zur Aufklärung, daß sein Schüler von der Fußsohle bis zur Scheitelhöhe nur zwei Meter dreißig mißt…
– Ja, was soll ich dabei thun, erwiderte John Milner etwas bitter, ich kann ihn doch nicht weiter in die Länge ziehen…
– Nein, gewiß nicht, bestätigte Herr Kil Kirney, das verlange ich auch gar nicht. Und doch, er ist nicht wenig kleiner…
– Tom, unterbrach ihn John Milner, gieb dem gelehrten Herrn doch einen tüchtigen Stoß in die Seite, damit er auch noch die Kraft Deines Biceps messen kann!«.
Das gelehrte Männchen zog es jedoch vor, sich nicht zu einem Experimente herzugeben, das ihm voraussichtlich die normale Zahl seiner Rippen nicht übrig gelassen hätte, und so zog sich Kil Kirney denn würdigen und gemessenen Schrittes zurück.
Tom Crabbe wurde auch mit reichen Beifallsbezeugungen überschüttet, als John Milner in seinem Namen die Liebhaber des Boxens zu einem Gange herausforderte. Niemand nahm aber die Herausforderung an, und der Champion der Neuen Welt hißte sich wieder in sein Coupé, während ihm die Umstehenden ihre Wünsche für gutes Gelingen zujubelten.
Die Bahnlinie verlief von hier in nordsüdlicher Richtung durch den Staat Mississippi und erreichte bei der Station Rocky Comfort die Grenze von Louisiana.
Dem Laufe des Tangipaohaflusses folgend, rollte nun der Zug bis zum Ponchartrainsee hinunter und an dessen westlichem Ufer über die lange Erdzunge hinweg, die diesen See von dem Maurepasce scheidet und auf der der große Viaduct von Mauchac erbaut ist. Bei der Station Carrolton trifft die Bahn wieder auf den hier etwa vierhundertfünfzig Toisen breiten Strom, der die Stadt mit einer mächtigen Schleife umwindet.
Nach einer von Chicago aus ziemlich neunhundert Meilen (1500 Kilometer) langen Fahrt verließen Tom Crabbe und John Milner in New Orleans endgiltig die Eisenbahn. Sie waren hier am Nachmittage des 5. Mai eingetroffen; es blieben ihnen sonach noch dreizehn Tage, sich nach Austin, der Hauptstadt von Texas, zu begeben – eine reichlich genügende Zeit, wenn auch mit möglichen Verzögerungen zu rechnen war, die ja, ob man von hier aus mit der Southern Pacificbahn den Landweg wählte oder eine nicht lange Seefahrt vorzog, nicht ausgeschlossen waren.
Jedenfalls hätte man von John Milner nicht verlangen dürfen, daß er seinen Crabbe durch die Stadt spazieren führe, um ihn deren Merkwürdigkeiten bewundern zu lassen. Kam durch Zufall ein andrer von den »Sieben« hierher, so würde dieser das sicherlich gethan haben. Austin lag aber noch mehr als vierhundert Meilen entfernt von New Orleans, und John Milner hatte keinen andern Gedanken, als auf kürzestem und sicherstem Wege dahin zu kommen.
Den kürzesten Weg bot zwar die Eisenbahn, die beide Städte unmittelbar verband – vorausgesetzt, daß die Züge überall guten Anschluß hatten. Die Linie verläuft anfangs in westlicher Richtung quer durch Louisiana, und zwar über Lafayette, Rarelant, Terrebone, Tigerville, Ramos und Brashear zum Ende des Lake Grand, wo sie, hundertachtzig Meilen von New Orleans, die Grenze von Texas erreicht. Weiterhin ist sie dann, von der Station Orange bis Austin, noch zweihundertdreißig Meilen lang. Nichtsdestoweniger gab John Milner – vielleicht that er unrecht daran – einem andern Reisewege den Vorzug und hielt es für besser, in New Orleans zu Schiffe zu gehen und nach dem Hafen von Galveston zu fahren, den eine andre Bahnlinie mit der texanischen Hauptstadt verbindet.
Der Zufall wollte, daß der Dampfer »Sherman« schon bereit lag, am nächsten Tage nach Galveston abzugehen. Diese günstige Gelegenheit galt es zu benutzen. Dreihundert Meilen (500 Kilometer) Seefahrt auf einem Schiffe, das gut zwölf Knoten in der Stunde zurücklegte, das bedeutete eine Sache von anderthalb Tagen – höchstens, bei ungünstigen Windverhältnissen, von achtundvierzig Stunden.
John Milner hielt es nicht für nothwendig, Tom Crabbe hierüber zu fragen, so wenig, wie man seinen Koffer befragt, wenn dieser zur Abreise verschnürt ist. Nachdem der große Boxer in einem Hôtel seine sechste Mahlzeit eingenommen hatte, legte er sich nieder und schlief in einem fort bis zum hellen Morgen.
Es war um sieben Uhr, als der Capitän Curtis den Befehl ertheilte, die Haltetaue des »Sherman« vom Quai loszuwerfen, gleich nachdem er den berühmten Champion der Neuen Welt mit der dem zweiten Partner des »Match Hypperbone« gebührenden Hochachtung an Bord begrüßt hatte.
»Sehr geehrter Herr Crabbe, sagte er, ich fühle mich ausnehmend geschmeichelt durch die Ehre, Sie auf meinem Schiffe zu haben!«
Tom Crabbe sah nicht so aus, als verstände er die Anrede des Capitäns, seine Augen richteten sich vielmehr instinctiv nach der Thür des Speisesalons.
»Seien Sie überzeugt, fuhr der Capitän des »Sherman« fort, daß ich alles mögliche thun werde, damit Sie in kürzester Frist glücklich im Hafen anlangen. Ich werde weder meine Kohlenvorräthe schonen, noch meinen Dampf sparen. Ich werde die Seele meiner Cylinder, die Seele meines Balanciers und die meiner Schaufelräder sein, die sich mit möglichster Schnelligkeit drehen sollen, um Ihren Ruhm, Ihren Vortheil zu sichern!«
Tom Crabbe’s Mund öffnete sich, wie um zu antworten, schloß sich aber gleich wieder, um sich nochmals zu öffnen und zum zweitenmale zu schließen. Das war das Zeichen, daß die Magenuhr Tom Crabbe’s die erste Frühstückstunde geschlagen hatte.